⊱Kapitel 65⊰

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Im ersten Moment befürchte ich, dass Evan davonstürzen oder etwas zertrümmern wird, so heftig zittert seine Hand in meiner. Doch dann wird sie mit einem Mal ruhig und er streckt die andere vorsichtig nach Juliette aus. Zärtlich streicht er eine blonde Haarsträhne aus ihrer Stirn.

»Hallo Juliette«, murmelt er, wobei Kate und ich fast gleichzeitig erleichtert ausatmen. Evan scheint es nicht aufzufallen.

Nachdem sich Kate sicher ist, dass alles in Ordnung ist, kehrt ihr Lächeln auf ihre rot bemalten Lippen zurück. Ihre blauen Augen strahlen.
»Möchtest du sie mal halten?«, fragt sie sanft, aber nun schreckt Evan doch zurück. Dafür ist er noch nicht bereit und es ist okay. Niemand verlangt das von ihm.

Heute hat er bereits mehr getan, als ich für möglich gehalten hätte und ich bin mir nicht sicher, ob ich es an seiner Stelle ebenfalls gekonnt hätte, einen Schritt auf den Mann zuzugehen, der mich in meiner Kindheit im Stich gelassen und nun eine neue Familie hat.

»Maggie?« Kate lächelt schief und ich spüre wie ich leicht nicke, obwohl ich Angst habe etwas falsch zu machen. Die kleine Juliette wiegt fast nichts, als ihre Mutter sie mir vorsichtig in die Arme legt. Plötzlich zerreißt ein seltsames Geräusch die Stille und Kate springt hastig auf.

»Ich muss nur schnell nach dem Essen sehen. Ruft mich, falls etwas sein sollte. Ich bin gleich zurück.«
Evan und ich bleiben mit Juliette allein im Wohnzimmer zurück, was uns etwas Zeit für uns gibt.
»Sie ist süß«, flüstert Evan und legt einen Arm um meine Hüfte, als könne er den wenigen Abstand zwischen uns nicht ertragen.

»Ist sie und sie kann stolz sein einen großen Halbbruder wie dich zu haben.«
Evan legt seinen Kopf auf meiner Schulter ab, während unsere Augen unentwegt auf der kleinen Juliette ruhen.
»Was macht dich da so sicher? Vielleicht wird sie mich eines Tages nicht ausstehen können.«

Als hätte die kleine Evans Satz verstanden, öffnet sie plötzlich ihre Augen. Sie sind nicht grün wie die von Evan, sondern strahlend Blau, wie die von Kate. Als sie uns und nicht Kate oder William erblickt, wirkt sie kurz verwundert, ehe sich ein strahlendes Lächeln auf ihre Lippen schleicht und sie beherzt mit ihren kleinen Händen nach Evans greift, bis er ihr seine Hand reicht und sie seinen Zeigefinger fassen kann.

»Ich denke, du musst dir keine Sorgen machen. Sie wird dich anhimmeln.«
Evan lächelt ein schiefes Lächeln, welches die Grübchen auf seinen Wangen hervorzaubert und mich innerlich dahinschmelzen lässt.

Kurze Zeit später kommen William und Kate zu uns zurück. Während Evans Vater am Esstisch allen außer seinem Sohn ein Glas Wein einschenkt, da dieser später noch fahren muss, nimmt Kate mir Juliette ab und legt sie anschließend in das Babybettchen, dass in einer Ecke des Wohnzimmers seinen Platz findet. Juliette döst ohne Theater schnell wieder ein, was William und Kate wohl zu wahren Glückspilzen unter Eltern macht.

Das Essen, das uns Kate serviert schmeckt genauso köstlich wie es aussieht. Das Steak ist butterweich und das Gemüse knackig. Himmlisch. Selbst Evan scheint es zu schmecken, denn er holt nur zu gern nach.

Kate nippt an ihrem Glas Rotwein und lächelt unentwegt und imitiert damit unbewusst William, der glücklich zu sein scheint, dass sein Sohn mit ihm an einem Tisch sitzt.

»Wie lange seid ihr zwei denn schon ein Paar?«, fragte Kate schließlich neugierig und sieht mich dabei an. Doch ehe ich antworten kann, tut es bereits Evan.

»Offiziell seit etwa zwei Wochen«, meint Evan, der fast schon wieder aufgegessen hat. Bisher ist mir überhaupt nicht aufgefallen, wie schnell und wie viel er isst. »Inoffiziell seit Beginn dieses Schuljahres.«

Ich hätte beinahe laut aufgelacht, da es am Anfang überhaupt nicht danach ausgesehen hatte, dass Evan und ich mal ein Paar werden würden. Das Einzige, was wir nur zu gut gewusst hatten, war, dass wir so verschieden wie Tag und Nacht waren und uns nicht im selben Raum aufhalten konnten, ohne über kurz oder lang in einen heftigen Streit zu geraten.

»Soweit ich weiß, gehst du bereits in die elfte Klasse, oder?«, möchte nun Evans Dad von mir wissen, was ich mit einem zustimmenden Nicken kommentiere. »Weißt du schon, was du nach der Schule machen möchtest?«

»Nein, noch nicht wirklich«, gestehe ich und spüre, wie Evan unter dem Tisch nach meiner Hand tastet, um sie mit seiner zu verschränken. »Ich habe mit dem Gedanken gespielt Kunst oder Fotografie zu studieren. Früher habe ich immer die Fotos für unsere Schülerzeitung geschossen, aber dann ist meine Kamera kaputtgegangen. Ich habe mir nie einen Ersatz beschafft. Keine Ahnung warum. Seit dem macht jemand anderes die Fotos.«

Überrascht wirft Evan mir einen Blick zu, was kein Wunder ist, da ich, dass mit der Fotografie noch nie ihm gegenüber erwähnt habe.
Nach dem Essen möchte ich Kate beim Abräumen helfen, aber sie lässt es nicht zu und verdonnert stattdessen ihren Mann dazu.
»Ich habe später noch Nachtisch, wenn ihr möchtet.«

Begeistert stimme ich zu.
»Das wäre wirklich schön, Kate.«
Ich fühle mich in der Gesellschaft von ihnen pudelwohl, was mittlerweile auch auf Evan abzufärben scheint. Wir lassen die beiden allein und Evan führt mich sichtbar entspannt die Treppe empor.

Wir laufen an der ersten Tür vorbei, hinter der sich meines Wissens nach die Heimbibliothek befinden müsste zur nächsten, hinter der Evans Schlafzimmer liegt. Er lässt mich als Erstes eintreten und ich habe gerade mal Zeit um zu bemerken, dass alles noch so aussieht, wie ich es in Erinnerung habe, als mich Evan auch schon gegen die geschlossene Tür presst und meine Lippen leidenschaftlich in Besitz nimmt.

Ich nehme die Hitze seiner Haut ebenso wahr, wie seinen unvergleichlichen Duft nach Sommer, Regen und etwas, was mich im entferntesten an frische Minze erinnert.

»Ich liebe dich«, haucht Evan, als er sich kurz von mir löst. Seine Augen wandern über mein Gesicht, scheinen sich jedes Detail von mir einprägen zu wollen. »Ohne dich, würde ich das hier nicht durchstehen. Ohne dich wäre das Essen die reinste Qual gewesen.«

Und wie um mir zu beweisen, wie dringend er mich in diesem Moment an seiner Seite braucht, küsst Evan mich erneut. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals, vergrabe meine Hände in seinen weichen Locken und erwidere jeden seiner Küsse genauso drängend wie er es tut.

Überrascht keuche ich auf, als sein Mund die empfindliche Haut an meinem Hals küsst, dann die Linie meines Kinns, bis er wieder bei meinen nun leicht geöffneten Lippen ankommt und den Kuss vertieft, sodass seine Zunge meinen Mund erforschen kann. Ich spüre, wie mein Körper Feuer fängt und mich ein völlig neues Gefühl durchströmt.

»Ich liebe dich, Evan.«

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