⊱Kapitel 76⊰

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Als ich nach dem Sportunterricht bei Mrs Morgan aus der Umkleide und ins Freie trete, fängt mich Nici direkt ab. Natürlich, sie hat auf mich gewartet und stand nicht nur zufällig am Rand des Sportplatzes oder ist gegangen. Ich hätte es eigentlich wissen müssen.

Ihre braunen Augen sind hinter einer schwarzen Sonnenbrille verborgen. Ich hatte erst gehofft, sie sei wegen Zara hier, um sie zu bequatschen, nachdem diese ihr die Freundschaft gekündigt hat, doch den Gefallen tut mir die Latina natürlich nicht.

»Ich muss mit dir reden«, sagt sie, aber ich habe nicht vor mich mit ihr zu unterhalten und mich beleidigen zu lassen. Genervt dränge ich mich an ihr vorbei, als sie keine Anstalten macht aus dem Weg zu gehen. Etwas zu ihr zu sagen, fühlt sich wie die reinste Verschwendung an.

»Bitte, Maggie. Es ist wichtig!« Sie lässt nicht locker und geht neben mir her. Dabei bemerke ich verwundert, wie sie sich schon nach kurzer Zeit die Seite hält. Ich gebe nicht nach, doch da packt sie mein Handgelenk. Ihr Griff ist sanfter, als ich von ihr erwartet hätte, aber es stört mich trotzdem.

»Was willst du von mir?«, bringe ich nur mühsam beherrscht hervor und entziehe ihr grob mein Handgelenk.
»Es geht um Keith. Ich war so dumm ihm zu helfen. Ich hätte es nicht tun dürfen«, meint sie und schiebt die Sonnenbrille nach oben in ihr Haar.

Mir stockt der Atem, als ich das zugeschwollene und violett verfärbte Auge entdecke. Ich vergesse, dass ich sie eigentlich hasse und empfinde plötzlich Mitgefühl.
»Was ist passiert?«, entflieht es mir.

Nici verzieht ihre Lippen zu einem traurigen Lächeln.
»Es ist meine Schuld«, sagt sie. »Die Strafe, dafür, dass du dich meinetwegen von Evan getrennt hast und ich dadurch Keith’ Plan zunichtegemacht habe.«

Keith. In den letzten Tagen geht es immer nur um ihn. Erst Ron, dann Shane und jetzt kommt Nici seinetwegen zu mir. Warum denken alle, dass ich etwas über ihn wissen muss, nachdem ich mich von Evan getrennt habe? Er gehört zu seiner Vergangenheit, nicht zu meiner. Aber gehört Evan wirklich zu meiner Vergangenheit oder versuche ich mir das nur einzureden?

»Sprich weiter«, fordere ich sie auf, als sie eine viel zu lange Pause macht.
Sie atmet hörbar aus und nickt. Ist es Erleichterung, die ich in ihrem Blick ausmachen kann?

»Danke«, sagt sie. Die nächsten Worte fallen ihr sichtlich schwerer. »Es tut mir leid, dass ich Evan geküsst und ihn deswegen in Schwierigkeiten gebracht habe. Das was ich mit ihm und mir gesagt habe ... es war gelogen. Evan hat mich nicht mehr angefasst, seit der Partynacht, wo du im Büro auf uns gewartet hast. Wir haben danach nur noch ab und zu was unternommen, weil ich ihn dazu gedrängt habe.«

Misstrauisch verschränke ich die Arme vor der Brust und bin noch lange nicht bereit ihr zu glauben.
»Du hattest nur Unterwäsche an.«
Schuldbewusst nickt sie und beißt sich auf ihre aufgeplatzte Lippe. Eine dunkle Kruste hat sich gebildet.

»Es war dumm von mir, Evan verführen zu wollen«, gibt sie zu und Schamröte kriecht über ihre Wangen. »Er liebt dich ... nicht mich. Auch wenn es mir schwerfällt, ich muss es akzeptieren.«

Nici ist in Evan verliebt. Keine Ahnung warum ich bis jetzt noch nicht daran gedacht habe, wo es doch offensichtlich war. Nicht ohne Grund hat sie mir immer wütende Blicke zugeworfen und Evan als ihren Besitz markiert. Sie wollte mich loswerden, die ganze Zeit schon.

Ich hätte Evan vertrauen müssen, anstatt Nici sofort zu glauben. Mit einem Mal komme ich mir nicht nur erbärmlich, sondern auch naiv und dumm vor.

Evan hat mich sicher nicht angerufen, weil er enttäuscht von mir ist. Bestimmt will er mich niemals mehr wieder sehen, weil ich mein Vertrauen zu ihm viel zu leichtsinnig weggeworfen habe. Unbewusst habe ich ihn zusammen mit meinem Vater und Zack in einen Topf geworfen und bin davon ausgegangen, es nicht wert zu sein aufrichtig geliebt zu werden. Dabei hat Evan nie einen Fehler begangen, mich nie betrogen.

»Was hat das mit Keith zu tun?«, frage ich und bereue es zu tiefst so überstürzt gehandelt zu haben. Spätestens jetzt muss ich wirklich mit Evan sprechen, dringend.

»Keith ist mein Cousin. Er hasst Evan und will sich an ihm rächen, weil er sein Leben zerstört hat. Zunächst wollte Keith, dass Evan sich in mich verliebt, mich anschließend ›entführen‹ und ihn um Geld erpressen. Aber dann kamst du dazwischen. Keith hat versucht dich loszuwerden, aber das hat nicht geklappt. Deswegen hat er dich schließlich als Druckmittel benutzt, damit Evan stattdessen einen Laden überfällt. Keith wollte, dass er geschnappt wird. Mit einer Vorstrafe wie Evan sie besitzt, wäre er wie Keith einst für einige Jahre ins Gefängnis gekommen.«

Bis jetzt hat sie mir fast das Gleiche wie Ron erzählt. Noch nichts Neues, aber eine Bestätigung, die mir die Ernsthaftigkeit der Lage aufzeigt und mir langsam aber sicher Angst einjagt. In was bin ich da bloß hineingeraten?

»Kannst du mir sagen, was Keith jetzt von Evan will?« Nach Nicis letzten Worten schließe ich, dass auch ihre letzte Erläuterung schiefgelaufen sein muss.

Ich öffne und schließe meine Hände, weil zu viele Gefühle gleichzeitig auf mich einströmen. Evan hatte eine schreckliche Kindheit und mir tut es vom Herzen weh, zu wissen wie oft er schon enttäuscht uns benutzt wurde. Keith bildet dabei nur die Spitze des Eisberges.

Nicis Gesicht wird aschfahl.
»Ursprünglich sollte alles gestern über die Bühne laufen, aber Evan hat einen Rückzieher gemacht und ist nicht aufgetaucht. Keith ist ausgerastet, als ich ihm von eurer Trennung berichtet habe und gibt nun mir die Schuld dafür. Er ist völlig durchgedreht und so sehr von seiner Rache besessen, dass er zu allem fähig ist. E-er hat mich geschlagen und ist seitdem genauso unauffindbar wie Evan. Ich weiß nicht was er vorhat, aber es kann nichts Gutes sein. Meinetwegen seit ihr nun alle in Gefahr.«

»Es ist Keith’ Schuld, nicht deine«, sage ich grimmig, obwohl sie es eigentlich nicht verdient hat aufgemuntert zu werden. Es ist schließlich auch ihre Schuld, weil sie Keith geholfen hat.

Ein eisiger Schauer erfasst mich und auf meinen Armen breitet sich trotz der hohen Temperaturen, die selbst jetzt im Herbst noch herrschen eine Gänsehaut aus. Obwohl es ein Fehler sein könnte, glaube ich Nici. Sie sieht nicht so aus, als würde sie mich absichtlich belügen, um Keith zu helfen.

Ich muss etwas tun, irgendetwas. Entschlossen straffe ich die Schultern.
»Was hast du jetzt vor?«
Bilde ich es mir nur ein oder wirkt Nici etwas weniger verbittert? Sie sollte ihre Hoffnungen, Keith von seinem irrwitzigen Plan – wie auch immer der mittlerweile aussehen mag – abzubringen, nicht auf mich setzten, ich könnte sie enttäuschen.
»Ich werde mit Evan reden.«

»Aber ich habe dir doch gesagt, dass wir nicht wissen, wo er ist. Selbst seine Mitbewohner wussten es nicht und er hat sein Auto da gelassen!«

»Es gibt nur einen Ort, wo er sein kann«, erwidere ich und pokere in diesem Moment höher, als mir lieb ist. Die Wahrheit ist, dass ich keine Ahnung habe, wo er stecken könnte, aber mir fällt nur ein einziger Platz ein, an dem ich nach ihm suchen könnte.

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