⊱Kapitel 51⊰

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Wir sprechen nicht viel miteinander, was dazu führt, dass ich ehrlich erleichtert bin, als Nina schließlich mit unserer Rechnung erscheint.
»Freddy lässt dir liebe Grüße ausrichten, Maggie. Bei dem Ansturm heute schafft er es leider nicht aus der Küche, um dich persönlich zu begrüßen.« Nina lächelt entschuldigend und legt die Rechnung zwischen Evan und mir auf den Tisch.

Ich will schon nach dem Zettel greifen, als Evan mir mit einer geschickten Handbewegung zuvor kommt, sodass ich mir sicher bin, dass er auch ein passables Talent als Hütchenspieler hätte.
»Danke. Sag ihm, dass ich bald wieder komme und wir das nachholen, ja?«

Auch ich hätte Freddy gern gesehen. Er ist ein stets freundlicher, rundlicher Mann in den Vierzigern und noch dazu einer der besten Köche die ich kenne. Man muss ihn einfach mögen.

Nina strahlt, als sie nickt. »Sicher.« Dann blickt sie fragend zu Evan, fast als würde sie mich fragen, ob ich dann erneut mit Evan erscheinen würde. Doch bevor sie die Frage laut aussprechen kann, drückt dieser ihr auch schon die gewünschten Geldscheine in die Hand und erhebt sich.

Verblüfft stelle ich fest, dass er auch meine Schulden beglichen hat, nicht nur seine eigene. Wenn ich ehrlich bin, habe ich nicht damit gerechnet. Ich beeile mich ebenfalls aufzustehen.
Nina, der Evans Fluchtverhalten entweder nicht aufgefallen ist oder absichtlich schweigt, schenkt uns zum Abschied ein freudiges Schmunzeln, ehe sie sich um einen Gast kümmert, der sie zu sich gewunken hat, um höchstwahrscheinlich noch etwas zu bestellen.

»Wieso hast du es denn plötzlich so eilig?«, frage ich Evan, kaum haben wir das Restaurant verlassen.
»Es war ein Fehler«, antwortet Evan tonlos und marschiert auf seinen schwarzen BMW zu. Ich muss beinahe rennen um mit ihm Schritt halten zu können. Irritiert lege ich meine Stirn in Falten.

»Was meinst du? Etwa das Restaurant? Ich dachte, du magst das Essen hier?«

Evan verdreht die Augen, während er nach dem Autoschlüssel kramt.
»Nein, ich meine nicht das Essen. Ich meine alles, den ganzen Abend, dich!«, erwidert Evan verbissen, nun deutlich schlecht gelaunt. »Fuck!«

Er flucht laut, als ihm die Schlüssel aus der Hand gleiten und zu Boden fallen. Ehe er sich bücken und nach ihnen greifen kann, schnappe ich sie mir, was allerdings nur noch zusätzlich dazu führt, dass sich Verärgerung in seine Gesichtszüge gräbt.
»Was zur Hölle soll der Scheiß ...?«, setzt er an, doch ich unterbreche ihn.

Tief atme ich durch, um mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr er mich mit seinen Worten getroffen hat.
»Ich habe dir gesagt, dass ich nicht locker lassen werde«, erkläre ich bedächtig und ignoriere das daraufhin folgende verächtlich Schnauben.

»Bitte sprich mit mir. Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht. Etwas belastete dich und ich bin mir sicher, dass diese Sache für deine schlechte Laune verantwortlich ist.«

Evan verdreht die Augen und streckt auffordernd die Hand aus.
»Schwachsinn, mir geht’s blendend. Nichts belastet mich und jetzt gib mir verdammt nochmal meine Schlüssel zurück und tu nicht so, als ob du mich kennen würdest!«

Verbissen schüttele ich den Kopf. Ich denke überhaupt nicht daran, jetzt nachzugeben. Wenn ich das tue, werde ich niemals zu Evan durchdringen können und aus undefinierbaren Gründen ist mir dieser Umstand sehr wichtig. Vielleicht, weil er mir beistehen wollte, als meine Mutter wütend auf mich war und ich nun den Drang verspüre mich diesbezüglich erkenntlich zu zeigen.

Ich blicke Evan lange genug in das leuchtende Grün seiner Augen, um zu erkennen, dass er mich anlügt. Vielleicht ist er sich dessen nicht einmal selbst bewusst, aber es ist deutlich, dass in seiner Welt zurzeit nicht alles perfekt ist.

»Warum bist du so?«, frage ich, ehe ich es mir verkneifen kann. Evan der mir in diesem Moment wahrscheinlich gewaltsam die Schlüssel entreißen wollte, hält mitten in der Bewegung inne. Verwirrt legt er seine Stirn in Falten.
»Was meinst du? Warum bin ich wie?«

Ich trete einen Schritt auf ihn zu, bis ich die Wärme seines Körpers deutlicher in der angenehmen Nachtluft spüren kann. Er weicht nicht vor mir zurück, doch die Ablehnung seiner Körperhaltung gibt mir die nötige Gewissheit, dass ich mit meinen Gedanken richtig liege: »Wieso bist du so einsam und ... unglücklich?«

»Ich bin nicht einsam. Ich habe meine Freunde Zara, Kota ... selbst Nici«, wehrt er bestimmt ab, wobei mich die Erwähnung von Nici mehr verletzt als ich für möglich gehalten hätte. Auf meine zweite Aussage antwortet er nicht.

»Wenn das stimmt, warum sprichst du mit ihnen dann nicht über deine Probleme? Wieso enthältst du ihnen deine wahre Persönlichkeit vor? Warum?«, bohre ich nach, wobei ich mir im Klaren darüber bin, dass Evan nicht begeistert über das Drängen ist. Mit jedem weiteren Wort, welches meinen Mund verlässt, verschließt er sich weiter vor mir. Ich hasse es ihn anzusehen und dabei nur auf eine undurchdringliche Mauer zu treffen.

»Du hast Angst«, komme ich ihm zuvor, als es mir mit einem Mal klar wird. »Wovor? Dass sie dich nicht verstehen werden oder, dass du sie verlieren wirst? Ich bin mir sicher, deine Sorgen sind unbegründet.«

Evan ballt die Hände zu Fäusten, aber er wirkt nicht im mindesten aggressiv. Bilde ich es mir nur ein oder sieht er tatsächlich ... ertappt aus?
»Bullshit! Ich habe keine Angst!«, brüllt er nichtsdestotrotz.

Ich lächele traurig über den Teufelskreis, in dem wir uns stetig bewegen und welchen wir nicht schaffen zu durchbrechen.
»Ich wünschte du würdest mich nicht immer belügen«, sage ich und drücke ihm seufzend seine Schlüssel in die Hand. »Fährst du mich bitte nach Hause, Evan?«

Bevor ich an Evan vorbeigehen und in den Wagen steigen kann, hält er mich an meinem Handgelenk zurück. Er sieht mich nicht an, als er mir zu verstehen gibt: »Wenn meine Vergangenheit leicht wäre, würde ich sie nicht vor jedem verschweigen. Ich habe nicht vor andere mit dem untragbaren Wissen zu belasten, mit dem ich selbst nicht klarkomme. Allen, den ich mich jemals anvertraut habe, haben mich mit diesem schrecklichen Mitleid in ihren Augen angesehen – noch einmal kann ich das nicht ertragen.«

Seine Stimme ist voller Schmerz und zum ersten Mal wird mir bewusst, dass der unausstehliche, grausame Junge nichts weiter als eine gute Fassade von ihm darstellt. Evan mag durch sein gut durchdachtes Äußeres mit den vielen Tattoos und dem durchtrainierten Körper kalt und unnahbar erscheinen, aber auch er ist verletzlich und steckt voller Mitgefühl. Plötzlich wirkt er so verletzlich, dass ich ihn am liebsten in die Arme geschlossen hätte – und genau das tue ich auch.

Ich schlinge meine Arme um seinen Oberkörper, versuche für ihn da zu sein und ihm denselben Trost zu spenden, wie es seit jeher Shane und meine Familie für mich getan haben. Als Evans Körper sich unter meiner Berührung zu entspannen beginnt, weiß ich, dass es ihm hilft.

Auch wenn ich noch immer keine Ahnung habe, welcher Umstand Evan zu der Person gemacht hat, die er heute ist, bin ich mir sicher heute etwas viel Wichtigeres geschafft zu haben: Eine zaghafte Verbindung mit ihm aufzubauen.

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