»Hat er dir erzählt, woher wir uns kennen?«
Ron und ich haben das Museum verlassen und uns auf einer Bank niedergelassen. Die Blätter eines mächtigen Baumes schützen uns vor der Hitze und spenden kühlenden Schatten. Von irgendwoher dringt friedliches Vogelgezwitscher an mein Ohr.»Washington«, rate ich. Evan hat mir erzählt, dass er in Washington gelebt hat, bevor er nach Phoenix gezogen ist. Zudem hat er mir gesagt, dass Ron sein ältester Freund ist.
Ron nickt zustimmend.
»Genau, Washington. Mein Vater ist Künstler, so wie ich und hatte einen neuen Auftrag angenommen. Wir mussten deswegen für mehrere Monate nach Washington ziehen. Das ist allerdings schon fünf Jahre her.«»Was ist dort passiert?«
Ron seufzt und legt den Kopf in den Nacken. Ich versuche zu erraten was dem blonden Mann durch den Kopf geht, aber ich habe keine Ahnung. Es dauert einen Moment, bevor er weiter spricht.
»Ich war sechzehn und Evan gerade mal dreizehn, als wir uns über den Weg liefen. Er hat mir auf offener Straße die Brieftasche und meine Uhr geklaut.« Ron grinst etwas, als würde er sich nur zu genau daran erinnern. »Es war nicht besonders geschickt, muss ich zugeben. Ich habe es sofort bemerkt. Zwar erinnere ich mich nicht mehr vollständig daran, aber wir sind in den wenigen Monaten die ich dort verbracht habe, irgendwie Freunde geworden. Sehr schnell sogar. Vielleicht, hat uns der Verlust unserer Mütter zusammengeschweißt.«
»Du hast auch deine Mutter verloren?«, flüstere ich, was Ron dazu veranlasst mich aus ruhigen Augen wehmütig anzublicken.
»Meine Mom ist abgehauen, da war ich noch ein Baby. Evan hat es viel schlimmer getroffen, aber das hat er dir vermutlich erzählt, sonst hättest du nicht so gefasst reagiert.«»Stimmt. Er hat’s mir anvertraut.«
»Jedenfalls war ich damals ziemlich unzufrieden. Jung und dumm wie ich war, habe ich in meiner neuen Schule schnell Freundschaft mit den falschen Personen geschlossen und – so wie es meistens ist – es erst viel zu spät begriffen.«Ron rauft sich sein kurzes blondes Haar, bis es wild in alle Richtungen absteht. »Keith war einer dieser falschen Freunde und noch dazu achtzehn. Ich habe quasi alles getan, was er verlangt hat – genau wie Evan. Ich hätte ihn da niemals mit hereinziehen sollen. Es ist allein meine Schuld.«
»Ron, ich weiß nicht ...«, stammele ich und als mich Rons Blick diesmal trifft ist er stechend und voller Zorn.
»Wir waren eine Bande jugendlicher krimineller, verstehst du? Wir haben eine Menge Scheiße verzapft. Haben uns in Clubs geschlichen, uns mit anderen geprügelt, Drogen genommen ... Verdammt, wir haben die Läden von Washington ausgeraubt! Wir haben hart arbeitende Ladenbesitzer bestohlen und um ihr recht verdientes Geld gebracht, Maggie!«Jetzt schreit Ron schon fast. Er vergräbt das Gesicht in den Händen und wendet sich von mir ab. Ich weiß nicht was ich sagen soll, um dem Einundzwanzigjährigen beizustehen. Ich kenne ihn nicht und habe keine Ahnung wie ich mich verhalten soll. Ehe ich etwas Falsches machen kann, scheint er sich wieder zu fangen.
Ron lockert seinen Krawattenknoten. Seine Stimme ist belegt, als er schließlich fortfährt: »Am Anfang ist alles gut gegangen. Wir haben nicht viel genommen, meist nur kleine Sachen, kurz vor Ladenschluss. Zigaretten, Alkohol ... Aber dann ist Keith plötzlich gierig geworden.«
»Etwas ist schiefgelaufen.«
Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung.»Wir haben eine Tankstelle überfallen, aber es war eine Falle. Die Polizei war da und wir schafften es nur geradeso zu flüchten. Alle bis auf Keith. Er hat es durch die Hunde nicht rechtzeitig über die Mauer geschafft und wurde wegen wiederholten Diebstahls zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Keith hat uns an die Cops verraten, aber es gab nicht genügend Beweise für eine Verhaftung. Evans Vater kennt die besten Anwälte und der hat es geschafft Evan und mich mit Sozialstunden rauszuboxen. Danach hat mich mein Vater in ein teures Internat in Miami gesteckt. Vor zwei Jahren sind wir dann nach Tucson gezogen.«
»Und jetzt ist Keith zurück. Was will er?«
»Er macht Evan für das was geschehen ist verantwortlich. Er ist nicht über die Mauer gekommen, weil Evan ihm nicht geholfen hat. Er war erst dreizehn und hat die Nerven verloren, ist weggerannt anstatt ihm die Hand zu reichen. Keith hat ihm das nie verzeihen können, weil er seinetwegen eine Haftstrafe antreten musste.«»Er will Rache«, stelle ich nüchtern fest. Ron nickt. Er ist ganz blass, aber vielleicht bin ich das auch. Das Blut in meinen Ohren rauscht, während ich versuche meine Gedanken zu ordnen und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. »Was hast du vorhin damit gemeint, dass er auf Keith gehört hat?«
»Evan hat mich angerufen, weil Keith am Donnerstag vor seinem Haus auf ihn gewartet hat. Er war ganz durcheinander und hat davon geredet, er müsse sich von dir fernhalten, sonst würde Keith dir etwas antun. Und nun seid ihr getrennt, also hat Keith sein Ziel erreicht.«
»Nein, hat er nicht«, wispere ich.
Ron runzelt die Stirn und ich füge eilig eine Erklärung an. »Evan hat sich nicht von mir getrennt, sondern ich mich von ihm, nachdem ich ihn mit Keiths Cousine erwischt habe. Ich war zu ihm gefahren, um ihm die Briefe zu zeigen, die ich seit einigen Tagen bekommen habe und in denen steht, ich solle mich besser von ihm fern halten. Nici und Evan ... sie haben sich geküsst und Nici trug nur noch ihre Unterwäsche.«Ron nickt ernst und ich bin dankbar, dass er nicht weiter nachbohrt. Die Situation demütigt mich bereits genug.
»Keith hat eine Cousine?«, fragt er stattdessen.Verbittert nicke ich und kläre ihn dann über Nici und das Gespräch zwischen ihr und Keith auf, welches ich am Tag des Footballspiels belauscht habe. Da ich mich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnere, hilft es mir nicht weiter, aber zwischen Rons Augenbrauen erscheint mit der Zeit eine dicke Zornesfalte.
»Verstehe. Keith hat Nici benutzt, um sich an Evan rächen zu können, aber dann bist du seinem Plan in die Quere gekommen und er musste umdenken. Bestimmt hat er die Briefe zu verantworten und versucht dich mit ihnen loszuwerden. Als das auch nicht geklappt hat, musste er sich Evan offen zeigen. Ich weiß nicht, was er vorhat und wie seine Cousine ins Bild passt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er Evan im Griff hat«, brummt Ron und ballt die Hände zu Fäusten.
Ich muss die Augen schließen, um nicht vor Verzweiflung in Tränen auszubrechen. Habe ich zu überstürzt gehandelt, als ich mich von Evan getrennt habe? Aber warum hat er dann geschwiegen und mir nicht auf der Stelle von Keith erzählt?
»Weil er dich liebt und dich vor Keith beschützen wollte. Deswegen hat er auch nichts gesagt, als du dich von ihm getrennt hast«, beantwortet Ron zu meiner Überraschung die Frage. Erst dann wird mir bewusst, dass ich laut gedacht haben muss. Obwohl mich Ron kaum kennt, greift er nach meiner Hand. »Ich weiß, dass es schwer ist, nachdem was er getan hat, aber du musst mit ihm über Keith sprechen, bevor es zu spät ist.«
»Warum ich?«, schniefe ich und Rons Blick wird wehmütig. Hat Evan mich nicht schon genug verletzt? Wäre es nicht besser ihn für immer zu vergessen? Schließlich ändert die Tatsache mit Keith noch immer nichts an dem Kuss, und weiß Gott ob da noch mehr war, mit Nici.
»Weil du vielleicht die Einzige bist, auf die er hören wird.«Ron sieht mich fragend an und obwohl ich wirklich nicht will, dass Evan sich in Gefahr begibt, schaffe ich es nicht über meinen Schatten zu springen. Zu tief liegt der Schmerz in meinem Herzen.
»Ich kann nicht, tut mir leid«, murmele ich und laufe davon. Zu spät, um Rons hilflosen Blick nicht zu bemerken, der sich sofort unvergesslich in mein Gehirn brennt.
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Light up my World
Teen FictionSie sind so verschieden, wie die Farben Rot und Blau, doch zusammen ergeben sie ein atemberaubendes Violett! Als Maggie Frey und Evan Davis sich zum ersten Mal begegnen, ahnen sie noch nicht, was alles auf sie zukommen wird. Denn obwohl zunächst all...