⊱Kapitel 64⊰

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»Du siehst besorgt aus.«

Ich seufze und lege das Buch aus der Hand, in dem ich die letzten zehn Minuten vergeblich versucht haben zu lesen. In Wahrheit habe ich nur auf die Buchstaben gestarrt und war mit den Gedanken ganz woanders. Um genau zu sein, bei dem Brief, den mir Cody gestern gegeben hat.

»Mir geht’s prima. Alles gut«, lüge ich und bin überrascht wie leicht mir die Worte über die Lippen kommen. Evan wirkt nicht überzeugt und legt nun ebenfalls sein Buch beiseite. Die zerlesene Ausgabe von Emma. Das einstige Lieblingsbuch seiner Mutter. Er legt es neben sich auf dem Schreibtisch ab und mustert mich eindringlich.

»Du bist eine grauenhafte Lügnerin«, erwidert Evan, wobei eine Sorgenfalte zwischen seinen Augenbrauen erscheint. »Was ist los? Sag’s mir, Baby.«
Das gewohnte Kribbeln rauscht durch meinen Körper, als er meinen Spitznamen benutzt und zu mir aufs Bett kommt. Auf sein Bett, genauer gesagt.

»Es ist wegen ... meiner Mutter. Ich habe Angst.«
»Du meinst vor dem was passiert, wenn sie von unserer Beziehung erfährt?«

Ich nicke vorsichtig, auch wenn es eigentlich nicht vollständig der Wahrheit entspricht. Aber ich möchte ihm nichts von diesem seltsamen Brief erzählen. Vielleicht ist es wirklich nur ein Streich von dummen Kindern gewesen und hat überhaupt nichts mit Evan und mir zu tun. Ich sollte mir nicht so viele Gedanken darüber machen, zumal Evans Name nicht explizit erwähnt wurde.

»Das wird schon. Ich bin bei dir«, versucht Evan mir gut zuzureden, ehe er plötzlich finster an mir vorbeisieht.
»Was ist?« Evan schüttelt den Kopf, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst.
»Nichts. Ich habe nur gestern ... meinen Vater getroffen.«

»Und ... wie ist es gelaufen?«, traue ich mich vorsichtig zu fragen. Evan verschränkt unsere Finger miteinander. Eine kleine Geste, die von tiefen Gefühlen und Vertrauen zeugt. Aber wenn ich ihm vertraue, sollte ich ihm da nicht von dem Brief erzählen? Eilig schiebe ich diesen Gedanken beiseite.

»Er ...« Evan muss sich räuspern, erst dann kann er weitersprechen. »Er hat sich nach dir erkundigt und uns dann ... Ich meine er will, dass wir heute Abend zum Essen vorbeikommen und das Baby kennenlernen. Kate will etwas kochen.« Verlegen senkt Evan den Blick, während sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen schleicht.

»Wir müssen nicht gehen, wenn du dass nicht möchtest. Es ist deine Entscheidung.«
Ich küsse jeden seiner Fingerknöchel, bis hin zu dem Anker auf seinem rechten Handgelenk, der unterhalb eines kleinen Diamanten sitzt.
Evan zögert. »Ich glaube, ich möchte hingehen«, antwortet er nach einer Weile.

»Dann werde ich dich begleiten.«
Er lächelt. »Danke.«
»Aber vorher muss ich noch etwas wissen«, sage ich und bemerke, wie Evan irritiert den Kopf schräg legt. »Was soll ich anziehen?«

~*~

Es ist nicht das erste Mal, dass ich vor Evans Elternhaus stehe. Dennoch bin ich deutlich nervöser, als bei der Party vor wenigen Monaten. Damals war es dunkel, als Shane und ich zusammen hier waren, nun ist es hell und das Haus wirkt noch luxuriöser und teurer als ich bisher angenommen habe. Evan verzieht das Gesicht, als er mein Staunen bemerkt.

»Das Haus mag unfehlbar sein, aber sein Besitzer ist es nicht«, murmelt er und lenkt den BMW die Kieseinfahrt nach oben, bis vor die imposante Doppelgarage. Ich streiche das weinrote, hochgeschlossene Kleid glatt, dass ich erst vor wenigen Tagen mit Zara gekauft habe. Obwohl es mir zu fein für den heutigen Abend erscheint, hat Evan darauf bestanden, dass ich es trage.

Er selbst hat sich für eine schwarze Hose zu einem seiner kurzen weißen T-Shirts entschieden, sodass ich ungestört die Tattoos auf seinen Armen betrachten kann.
»Und doch bist du hier«, erwidere ich mit einem schiefen Lächeln.
»Ich weiß, ich muss verrückt geworden sein.«

Evan und ich steigen aus. Kaum haben wir das Auto verlassen, wird die weiße Haustür geöffnet und William erscheint im Türrahmen. Ich nehme Evans Hand und reiße ihn so aus seiner Starre. Als wir näher kommen, bemerke ich wie aufgeregt William ist. Bestimmt kann er es noch immer nicht glauben, seinen Sohn vor Augen zu haben.

»Schön, dass ihr gekommen seid.«
Er reicht mir die Hand und ich schüttele sie. Anschließend blickt er unbehaglich zu seinem Sohn, weil er nicht weiß, wie er ihn begrüßen soll. Evan nimmt ihm die Entscheidung ab und streckt ihm seine Hand entgegen. In diesem Augenblick bin ich so stolz auf meinen Freund, dass ich Mühe habe ein Grinsen zu unterdrücken.

Wir betreten das Haus und ich erkenne die Räume wieder. Allerdings nicht die Einrichtung. Beim letzten Mal war das Haus brechend voll mit Jugendlichen, vielleicht sind mir die geschmackvollen hellen Möbel und die farblich dazu passenden minzgrünen Vorhänge deswegen nicht aufgefallen.

William der meinen Blick aufgefangen hat, legt verlegen eine Hand in den Nacken.
»Wir mussten frisch renovieren und Kate wollte unbedingt die Möbel umstellen, um nicht mehr ...« William bricht ab, als Kate das Wohnzimmer betritt. Aber er muss den Satz nicht zu Ende bringen, Evan und ich wissen beide wie er aufgehört hätte.

Sie wollten nicht mehr daran erinnert werden, dass Evan hier unerlaubt Zaras Geburtstagsparty geschmissen und hundert fremde Leute in ihrem Haus gewesen waren. Zudem leite ich aus seiner Aussage ab, dass wohl anschließend einige Dinge dreckig und zu Bruch gegangen waren, wenn sie renovieren mussten.

Evan besitzt wenigstens den Anstand betroffen auszusehen, auch wenn er sich nicht entschuldigt. Aber dazu werde ich ihn ganz sicher nicht zwingen. Es grenzt auch so schon an ein Wunder, dass wir heute hier sind. Kates glänzendes rotes Haar kitzelt meine Wange, als sie mich in eine herzliche Umarmung zieht.

Ihr Bauch ist deutlich geschrumpft, wenn ich an das letzte Treffen im Filmtheater denke. Das schwarze Kleid steht ihr und ich bin froh, dass ich nicht die einzige bin, die etwas Elegantes trägt, auch wenn Evans Stiefmutter eine weinrote Kochschürze mit weißen Herzchen darüber trägt. Kate strahlt über das ganze Gesicht, als auch Evan eine Umarmung zulässt.

»Ich freue mich euch zwei zu sehen«, lächelt sie und bittet uns auf einer hübschen Sofalandschaft Platz zu nehmen. Obwohl sie riesig ist, setzt sich Evan so nah zu mir, dass sich unsere Knie berühren. Ich greife nach seiner Hand und stelle zufrieden fest, dass die Anspannung langsam aus seinem Nacken weicht.

»Das Abendessen ist in einer halben Stunde fertig«, lässt uns Kate wissen, während sie ihren Mann bittet uns etwas zu trinken zu besorgen und kurz in der Küche verschwindet. William springt auf der Stelle auf, als wäre dieser Satz sein Stichwort gewesen und lässt uns allein. »Ich hoffe ihr habt Hunger.«

Evan bejaht, obwohl er mit den Gedanken nicht bei der Sache zu sein scheint.
»Alles okay?«, frage ich ihn in einem unbeobachteten Moment.
»Ich bin nervös«, gesteht er und ich hätte ihn geküsst, wäre im selben Moment nicht Kate zurückgekehrt. Im Arm ihr Baby.

Ich höre wie Evan tief einatmet, während Kate sich mit etwas Abstand neben mich setzt, sodass wir das Baby genauer betrachten können. Es ist winzig und wirkt mit seiner kleinen Stupsnase und den kleinen Händen so zerbrechlich. Die Lider sind fest geschlossen und es atmet ruhig und gleichmäßig.

»Ein Mädchen«, entflieht es mir, als ich die rosafarbenen Sachen erblicke und spüre wie Evan meine Hand ein wenig fester drückt. Kate nickt bestätigend. »Wie heißt sie?«
Plötzlich wirft Kate einen unsicheren Blick auf Evan, als fürchtete sie sich bei der Antwort vor seiner Reaktion.

»Es war Williams Vorschlag. Sagt hallo zu unseren kleinen Juliette Davis.«

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