⊱Kapitel 42⊰

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»Maggie, was für eine Überraschung ... Oh Schatz, was ist denn passiert?«

Caroline schlingt tröstend ihre dünnen Arme um mich und ich schluchze hemmungslos an ihrer Schulter. Die vier Jahre ältere Schwester meines Dads stellt keine Fragen, während sie mich sanft in ihr farbenprächtiges Wohnzimmer bugsiert.

Nachdem ich von Zuhause weg gelaufen bin, haben mich meine Beine wie von selbst zu meiner Tante getragen. Sie wohnt nur einige Blocks von uns entfernt und ist die einzige, auf die ich mich seit meiner Kindheit ausnahmslos verlassen kann. Wenn meine Eltern stritten oder ich anderweitige Probleme hatte, bin ich immer zuerst zu ihr gekommen. Ich vertraue ihr bedingungslos.

Caroline weist ihren Mann Paul an, mir einen heißen Tee zu machen und ihre selbst gebackenen Schokoladencookies zu uns ins Wohnzimmer zu bringen. Mein Magen knurrt, als ich den Duft von Schokolade wahrnehme, weil ich heute noch nichts gegessen habe.

Ich weine so lange, bis mir schließlich die Tränen ausgehen und das beständige Streicheln sowie das vertraute Parfüm aus Rosenwasser und Vanille meiner Tante, ihre beruhigende Wirkung entfalten.

»Mom und ich haben uns gestritten«, bringe ich schließlich mit vom Schluchzen rauer Stimme hervor. Augenblicklich nötigt mich Caroline dazu einen Schluck Tee zu trinken. Ich schmecke Honig und Minze. Tatsächlich hilft er etwas.

»Du siehst erschöpft aus, Liebes«, stellt Caroline fest, nachdem ich mich ihr anvertraut und über den Streit mit meiner Mutter berichtet habe. Über den Grund war sie nicht überrascht, was kein Wunder ist, schließlich muss sie dabei gewesen sein, als Shane sie heute Morgen angerufen hat. Als mir Shane in den Sinn kommt verziehe ich unwillig das Gesicht.

»Ich weiß es ist zu viel verlangt, aber kann ich heute Nacht bei euch bleiben?«, bitte ich.

Caroline hat dasselbe blonde Haar wie mein Vater und die gleichen gütigen braunen Augen. Ihr Ehemann Paul hingegen hat das meiste seines ursprünglich dunklen Haars bereits verloren, einzig an den Seiten ist es noch vorhanden. Paul lächelt mich einfühlsam aus seinen blauen Augen an. Seine Lesebrille sieht aus, als würde sie ihm jeden Moment von der Nase rutschen, als er die Zeitung, in welcher er bis eben gelesen hat, beiseite legt.

»Natürlich kannst du bleiben. Ich bin mir sicher, oben finden sich noch einige Dinge von deiner letzten Übernachtung bei uns.«
Caroline lacht und auch ich muss darüber lächeln. Das letzte Mal, als ich bei Caroline und Paul übernachtet habe liegt bereits Jahre zurück. Damals wohnte noch ihr Sohn Brian mit im Haus, der nun bereits seit etwas mehr als fünf Jahren einer der erfolgreichsten Geschäftsleute New Yorks ist. Einzig an Feiertagen oder Geburtstagen bekommen wir ihn zu Gesicht.

»Ich werde dir etwas herauslegen«, versichert mir Caroline lächelnd und deutet dann auf die Cookies. »Iss doch ein paar, während ich alles vorbereite. Ich nehme mal an, dass eine Dusche nicht schaden könnte, habe ich recht?«

»Danke.« Ich umarme erst meine Tante und dann Paul. Ich bin dankbar, dass sie mich verstehen und für mich da sind. Dass sie mich nicht für die Partynacht verurteilen.

»Wir waren alle mal jung und haben leichtsinnig gehandelt«, sagt mein Onkel und fängt meinen Blick auf, während Caroline wie versprochen nach oben verschwindet. »Auch deine Mom.«

»Kann ich mir nicht vorstellen«, erwidere ich verbittert und kaue lustlos auf Tante Carolines Gebäck herum. So wie sie jetzt auf mich wirkt, ist sie schon immer von Regeln besessen und eine richtige Spaßbremse gewesen.

Mein Onkel setzt sich zu mir auf die Couch und klaut mir den Keks aus meiner Hand.
»Hey!«, sage ich, muss aber lachen, als Paul sich die Backen vollstopft und einem Hamster alle Ehre macht.
»Valerie wird sich schon wieder beruhigen«, sagt Paul schließlich und nimmt sich einen weiteren Cookie vom Teller, während ich meinen Tee trinke.

»Was macht dich da so sicher?«, frage ich zweifelnd.
»Sie mag nicht immer so erscheinen, aber deine Mutter ist sehr vernünftig. Sie ist oft voreilig, aber ich bin mir sicher, sie braucht nur etwas Zeit und wird ihren Fehler einsehen.«
Ich nicke und will Onkel Paul gerne glauben, schaffe es allerdings nicht.

Nach einem leckeren Mittagessen stehe ich schließlich unter der Dusche und wasche auch noch die letzten Überbleibsel der vergangenen Nacht von mir. Während sich meine Muskeln unter dem heißen Wasser langsam entspannen, wandern meine Gedanken unablässig zu den Worten meiner Mutter zurück.

Aber selbst jetzt, wo ich die Situation erneut und ruhig vor meinem geistigen Auge abspielen lasse, würde ich meine Entscheidung nicht ändern wollen. Es ist an der Zeit meine eigenen Entscheidungen zu treffen und nicht blind meiner Mutter zu gehorchen. Sie muss verstehen, dass ich meine eigenen Fehler machen und mir meinen Freundeskreis selbst aussuchen möchte.

Ich werde mich nicht von Zara fern halten und auch nicht von Ian, Kota, Evan und Dylan. Sie sind meine Freunde, genauso wie Shane mein Freund ist.
Ist er wirklich dein Freund? Er hat dich verraten und steht hinter deiner Mutter. Sollte er nicht hinter dir stehen?

Die gehässige Stimme in meinem Kopf hat recht, aber nur, weil Shane und ich einmal nicht dieselbe Meinung vertreten, macht es ihn nicht weniger zu meinem besten Freund. Außerdem ist es auch meine eigene Schuld, schließlich war ich es selbst, die ihn überhaupt erst angerufen hat.

Seufzend hülle ich mich in das weinrote Handtuch, welches mir Caroline wie versprochen, neben ordentlich gefalteter Kleidung und einer neuen Zahnbürste, zurechtgelegt hat. Dankbar beginne ich meine Zähne zu putzen und entwirre mein Haar, um es anschließend trocken zu föhnen. Danach flechte ich es zu einem Zopf, damit es mich nicht stört. Gegen mein gerötetes Gesicht und die geschwollenen Augen, kann ich ohnehin nichts tun, außer abzuwarten.

Anstatt Shane wie versprochen zurückzurufen, schreibe ich ihm nur eine kurze Nachricht, in der es heißt, dass das Gespräch mit Mom nicht gut gelaufen ist und ich bei Caroline untergekommen bin. Als er mich kurz darauf anruft, hebe ich nicht ab, weil ich nicht mit ihm sprechen möchte. Danach sende ich Cody eine Nachricht und bitte ihn, mich für heute bei Jerry krankzumelden, versichere ihm allerdings im Gegenzug sogleich morgen wieder im Kinotheater zu erscheinen.

Ich ziehe das blaue T-Shirt und den weißen Rock an, den mir meine Tante ins Badezimmer gelegt hat und blicke ein letztes Mal auf das Handy in meinen Händen, wo bereits wieder eine Nachricht von Shane eingetroffen ist. Meine Lippen formen ein betrübtes Lächeln, dann schalte ich es aus und sehe mit Genugtuung an, wie der Bildschirm schwarz wird.

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