⊱Kapitel 11⊰

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»Zara, hast du Shane gesehen?«, frage ich sie schreiend, kaum habe ich sie im Wohnzimmer aufgespürt.
»Nein, keine Ahnung wo er ist«, lallt sie ebenfalls laut und ich seufze entnervt. Na super. Heute ist echt nicht mein Tag.

Ich nicke verstehend, dann schiebe ich mich durch die dicht an dicht gedrängten Körper hindurch Richtung Haustür. Zwar glaube ich nicht daran, ihn im Vorgarten zu finden, aber einen Versuch ist es wert. Mir ist bereits klar, wie Shane reagieren wird, sobald ich ihn finde.

»Habe ich es dir nicht gleich gesagt? Es war eine schlechte Idee herzukommen. Zara und ihre Freunde sind nicht der richtige Umgang für uns ... bla, bla, bla«, faselt der imaginäre Shane in meinem Kopf und meine Laune sinkt davon noch weiter.

Ich verdrehe die Augen, als ich an einer Teenagerin vorbeikomme, die sich gerade die Seele aus dem Leib kotzt und deutlich jünger aussieht als ich. Zum Glück muss ich den Rasen nicht wieder sauber bekommen oder mich für die Party am nächsten Tag erklären. Meine Mutter wäre ausgerastet, hätte ich das bei uns zu Hause veranstaltet.

Vor dem Haus ist es stockdunkel. Einzig eine Straßenlaterne lässt die Umgebung in orangegelben Licht erstrahlen, was mir allerdings nicht wirklich hilft. Ich kneife angestrengt die Augen zusammen und suche den Vorgarten nach meinem verschollenen besten Freund ab, entdecke ihn aber wie vermutet nicht.

Ich setze mich auf den Bordstein und ziehe mein Handy hervor, um nachzusehen, ob er mir eine Nachricht hinterlassen hat, aber das ist natürlich nicht der Fall. Es sieht Shane gar nicht ähnlich einfach so zu verschwinden und mich allein zu lassen.

Normalerweise passt er mit Argusaugen auf mich auf, seitdem ich mir den Fehltritt mit dem Punsch geleistet habe. Obwohl es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass Shane meinen Anruf bei der Lautstärke mitbekommen wird, wenn er noch im Haus ist, wähle ich kurzerhand dennoch seine Nummer.

Ich möchte, nachdem mir Evan die gute Laune so gründlich verhagelt hat, so schnell wie möglich von hier weg, aber allein kann ich Shane auch nicht zurücklassen. Er ist schließlich mein bester Freund.
»

Hier ist die Mailbox von Shane Anderson, bitte hinterlass’ eine Nachricht.«


Perplex starre ich auf mein Handy. Seit wann hat Shane denn bitte auf seine Mailbox gesprochen?
»

Shane, verdammt, wo bist du? Das ist nicht lustig!«, fauche ich, als mir klar wird, dass nicht seine Mailbox, sondern tatsächlich Shane dran ist. Ich bin nicht in der Stimmung für solche miesen Scherze.

»Hey, jetzt reg dich ab. Du warst doch diejenige, die Spaß haben wollte. Hey ... nein, die Flasche gehört mir! Gib sie mir zurück!«

»Shane? Verdammt!«
Mein bester Freund hat es geschafft innerhalb einer halben Stunde hacke dicht zu sein, befindet sich irgendwo in diesem verdammten Haus und hat aufgelegt. Als ich ihn erneut anrufen will, nimmt er nicht mehr ab. Schöne Scheiße!

Ich marschiere zurück ins Haus und lasse meinen Blick gezielt über die Menge wandern. Da ich allerdings nicht wirklich groß bin, kann ich nicht viel sehen und Shane schon gar nicht. Ich schiebe mich durch die Menge und halte gleichzeitig Ausschau nach einem blonden Lockenkopf.

Er hat irgendetwas von einer Flasche gefaselt und allem Anschein nach ist er nicht allein gewesen. Das Problem dabei ist nur, dass jeder dritte eine Flasche in der Hand hält und niemand auf einer Party jemals wirklich allein ist.

Ich fluche laut, nachdem ich eine weitere halbe Stunde mit einer erfolglosen Suche vergeudet habe. Dafür entdecke ich Ian, der sich in einem weißen Ledersessel lümmelt. Sein schwarzes Haar bindet er gerade neu zu seinem typischen Zopf.

»Hast du deine Cousine gesehen?«, schreie ich über den Lärm hinweg, kaum habe ich ihn erreicht. Auch sie hab ich bei meiner Suche nach Shane nicht gefunden.
»Was?«
I

ch verdrehe die Augen zum bestimmt zwanzigsten Mal an diesem Tag und wiederhole meine Frage.

»Dort hinten auf dem Tisch!«, brüllt er die Antwort.

Ich folge Ians ausgestreckten Arm und erkenne, wie Zara tatsächlich gerade auf einen Tisch steigt. Sie hat ihre Pumps ausgezogen und beginnt, kaum ist sie unbeschadet auf der Tischplatte angekommen, ausgelassen zu tanzen. Es dauert nicht lange und das Ganze nimmt etwas Erotisches an. Sinnlich lässt sie die Hüften zu dem lauten Beat kreisen, der beständig aus irgendwelchen Boxen dringt.

Peinlich berührt senke ich den Blick, als Kota zu ihr auf den Tisch steigt und sie ihre Körper hemmungslos aneinander reiben. Als tanzen kann man das tatsächlich nicht mehr bezeichnen, aber außer mir scheint das niemanden zu stören.

Ich laufe in die entgegengesetzte Richtung, aus der ich gekommen bin und steige die Treppen empor ins Obergeschoss. Vielleicht hat sich Shane im Bad eingeschlossen und kotzt sich gerade die Seele aus dem Leib. Allzu viel verträgt er nicht, obwohl ich in dieser Beziehung kaum einen Deut besser bin.

Aufs gerade wohl öffne ich die erste Tür, aber dahinter verbirgt sich kein Badezimmer, sondern eine Heimbibliothek mit wirklich alt aussehenden Büchern. Ich will mir den Wert, der sorgsam in Regale untergebrachten Bücher, nicht einmal vorstellen. Sicher sind einige von ihnen unbezahlbar.

Vorsichtig schließe ich die Tür wieder und arbeite mich zum nächsten Zimmer durch. Ein leeres Jungenschlafzimmer mit einem breiten Bett. Wirkt ziemlich unpersönlich, als ich es genauer betrachte.

Keine Fotos, kein Spielzeug, keine Sachen die herumliegen oder Schuhe über die man stolpern kann. Hat Zara etwa einen ordnungsliebenden großen Bruder? Bisher bin ich davon ausgegangen, dass sie ein Einzelkind ist.

Ich kümmere mich nicht weiter darum und nehme die gegenüberliegende Tür ins Visier. Bisher bin ich hier oben noch nicht einer Menschenseele begegnet, deswegen verwundert es mich nicht, dass auch hinter der nächsten Tür nur gähnende Leere auf mich wartet.

Ich trete in das Büro mit wirklich teuer aussehenden Möbeln und schließe die Tür hinter mir, um kurz durchzuatmen und mir eine Pause zu gönnen, bevor ich vollends verzweifeln kann.

Mit den Fingerspitzen streiche ich über den dunklen Schreibtisch. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht darauf geachtet, aber mit einem Mal fällt mir deutlich die extravagante Einrichtung dieses Hauses auf.

Wenn ich hier auch nur eine Blumenvase zerschmettere, wird sowohl mein Taschengeld als auch das, was ich mir im Kinotheater dazuverdiene, für die nächsten sechs Jahre darauf gehen. Und so lange werde ich ersteres sicher nicht mehr bekommen.

Gerade möchte ich gehen, um meine Suche fortzusetzen, als mein Blick auf eines der Bilder auf dem Schreibtisch fällt. Ein Mann, eine Frau und ein kleiner Junge. Kein Mädchen. Verdutzt sehe ich mir auch die beiden anderen Fotos an, weil ich erwarte ein Bild von Zara zu entdecken.

Fehlanzeige. Auf einem anderen Bild befinden sich wieder der Mann und sein Sohn, sie sind beide schon etwas älter. Neben ihnen steht nun allerdings eine andere Frau, sie ist größer und besitzt rotes Haar. Das letzte Foto ist ein Hochzeitsbild von dem Mann und der Rothaarigen.

Wo ist Zara?

Die Frage bleibt jedoch unbeantwortet, weil ich keine Zeit mehr habe mich noch länger umzusehen. Die Tür hinter mir öffnet sich und ich erstarre, weil man mich beim Herumschnüffeln erwischt hat.

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