⊱Kapitel 78⊰

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Manchmal bleibt uns nichts anderes übrig, als uns an den letzten Strohhalm unserer Hoffnung zu klammern und inständig zu hoffen, dass alles gut werden wird. Nicht immer ist es die richtige Entscheidung. Denn wenn trotz allem alle Stricke reißen, dann fällt der Aufprall meist noch härter aus.

Tief atme ich durch und versuche die glühende Panik aus meinen Knochen zu vertreiben. Vergeblich. Es ist als wüsste mein Körper instinktiv, dass ich mich in Gefahr befinde.
»Sollen wir ... nachsehen?«
Meine Stimme ist nur noch ein Hauch dessen, was sie normalerweise ist.

Es herrscht eine geradezu trügerische Stille, dass ich mich unwillkürlich frage, ob wir uns das Geräusch der Tür nicht doch nur eingebildet haben könnten. Vielleicht ist tatsächlich niemand hier. Habe ich nachgesehen, ob Kate die Haustür richtig geschlossen hat? Oder ist sie vielleicht noch einmal zurückgekommen, weil sie etwas vergessen hat?

Evan scheint nicht dieser Ansicht zu sein.

»Bleib hinter mir«, weist er mich an, als er sich geschmeidig aus dem Zimmer schiebt. Er weiß genauso gut wie ich, dass ich mich nicht einfach verstecken kann. Jeder hätte sehen können, wie ich das Haus betrete und nicht wieder verlassen habe. Jeder, selbst ... Keith.

»Hast du dein Handy dabei?«, fragt Evan. Im Gegensatz zu mir scheint er nicht halb so viel Angst zu haben.
»Ja«, antworte ich mit pochendem Herzen. Kalter Schweiß rinnt mir den Rücken hinab, während ich in meiner Hosentasche das genannte Objekt umklammere.
»Gut.«

Vorsichtig lugt Evan über das Geländer und zum Eingangsbereich.
»Nichts«, verkündet er, aber ich gestatte mir den erleichterten Seufzer, der in meiner Kehle steckt, dennoch nicht. Nicht bevor wir uns nicht zu einhundert Prozent sicher sind. Auch das Erdgeschoss gibt uns keinen Anhaltspunkt für das Eindringen einer unerwünschten Person.

Haben wir vielleicht doch überreagiert?
Ich gestatte meinem Körper sich ein wenig zu entspannen.

»Vielleicht war es doch nur Ka-«, versuche ich eine mögliche Erklärung zu finden, doch schon eine Sekunde später werde ich von hinten gepackt und grob von Evan weggerissen. Es geht so schnell, dass mein Schrei erst viel zu spät kommt.

Evan fährt zu mir herum. Im selben Moment spüre ich kühles Metall an meiner rechten Schläfe und versteife mich in den kräftigen Armen des Mannes. Ich zweifle keine Sekunde an seiner Identität und muss mit aller Macht die Übelkeit unterdrücken, die mich überfällt, als mir die Tragweite des Metalls bewusst wird. Eine Waffe.

»Willst du mich nicht deiner kleinen Freundin vorstellen?«

In Keith’ Stimme liegt nicht der geringste Funke einer Emotion. Nur Schärfe und bittere Kälte, die mich am ganzen Körper zittern lässt. Er stößt ein grausam bellendes Lachen aus, als Evan nicht antwortet. In seinen vor Schock aufgerissenen grünen Augen flackert pure Angst, während jeder seiner Muskeln bis zum Zerreißen angespannt ist.

Tränen schießen mir in die Augen, als er sich schließlich fängt und nickt.
»Maggie, das ist Keith Mills. Keith, Maggie Frey.« Nie klang Evans Stimme trostloser und kämpferisch zu gleich.
»Sieh mich an, Kleines. Es ist unhöflich wegzusehen, wenn man einander kennenlernt.«

Als ich nicht gehorche und weiterhin Evan fixiere, zwingt Keith mich dazu meinen Kopf zur Seite zu drehen. Es schmerzt, weil ich mich unnatürlich verrenken muss und ich beiße mir auf die Lippen um nicht gequält aufzustöhnen.
Dann blicke ich zum ersten Mal in das Gesicht des Mannes, der mein Leben in seinen Händen trägt und nicht zögern wird es zu beenden. Ich bin mir sicher.

Ron und Nici haben mir beide von ihm erzählt. Ich habe allerhand schreckliches gehört und mir vorgestellt, dass er auch so aussehen muss: schrecklich. Mit einer dicken Narbe am Kinn, kurzgeschorenen Haaren und jeder Menge Piercings im Gesicht, wie sie Ian trägt. Doch meine Vorstellungen waren nichts Weiteres als genau das – Vorstellungen. In Wirklichkeit, wirkt er viel zu normal um der sein zu können, der er sein soll.

Sein Gesicht ist ebenmäßig und seine aschblonden Haare weder zu kurz noch zu lang. Er trägt eine Brille, die ihn wirken lässt wie einen engagierten College Studenten. Nichts außer sein trainierter Körper deutet darauf hin, dass er im Gefängnis gewesen ist. Nicht einmal Tattoos erkenne ich auf seinen Armen oder seinem Hals.

Er hätte durchaus als netter junger Mann durchgehen können, wären da nicht seine stechend braunen Augen, die jegliche Wärme verloren haben und die brutale Grausamkeit widerspiegeln, die sein Äußeres so geschickt verbirgt. Er wendet nicht für eine Sekunde den Blick von Evan. Bei dessen kleinster Regung wird er abdrücken.
Psychopath. Ein besseres Wort kommt mir nicht in den Sinn, um sein Wesen zu beschreiben.

»Lass sie gehen!«, herrscht Evan Keith an und ich habe keine Ahnung, wie er es schafft noch immer die Fassung zu bewahren. Er tritt einen Schritt auf mich zu. Keith verstärkt den Druck, mit dem er mich hält und warnt ihn keinen Schritt näherzukommen. Seine Hand gräbt sich tief in meine Taille.

»Warum sollte ich?«, blafft Keith und offenbart damit den eindeutigen Zorn, der unter seiner gekünstelten Fassade schlummert. »Nenn mir nur einen guten Grund!«

Evan ballt die Hände zu Fäusten und ich sehe den Kampf, den er mit sich selbst führt. Ich weiß, dass es ihn wahnsinnig macht sich selbst so machtlos zu sehen.
»Das ist eine Sache zwischen uns, Keith. Maggie kann nichts für meine Feigheit. Wenn also jemand deinen Zorn verdient hat, dann ich. Bitte tu ihr nichts.«

Mein Atem stockt, als ich begreife, dass er sich tatsächlich für mich opfern will. Doch Keith lacht nur höhnisch und denkt gar nicht daran auf Evans Bitte einzugehen.

»Du hattest deine Chance alles wieder gut zu machen, Davis!«, unterbricht Keith ihn schreiend. »Du hast wieder einen Rückzieher gemacht, genau wie damals als du mein ganzes Leben zerstört hast! Eine weitere Chance hast du nicht! Du wirst mit dem Schmerz sie verloren zu haben leben müssen und genauso leiden wie ich die letzten Jahre gelitten habe!«

Ich schmecke Blut, weil ich zu fest auf meine Lippe gebissen habe.
Keith lässt nicht mit sich reden, doch das habe ich auch nicht erwartet. Nici hat mich gewarnt.

Er ist völlig durchgedreht, gibt Evan an allem die Schuld, obwohl er sie selbst tragen muss und denkt nicht über die Konsequenzen seiner Taten nach. Er sieht buchstäblich Rot, nachdem all seine vorherigen Pläne in Rauch aufgegangen sind.

Es ist dumm jemanden zu provozieren, der mein Leben jederzeit beenden kann. Aber was habe ich jetzt noch zu verlieren? Keith hat gerade eben deutlich gemacht, dass ich für Evans Fehler bezahlen muss. Werde ich nicht ohnehin sterben?

Mein letzter Blick gilt allein Evan, in dem ich ihn stumm zu verstehen gebe, dass alles gut ist. Dass es nicht schlimm und nicht sein Fehler ist.
Entsetzten spiegelt sich in seinen Zügen, als er erkennt, dass ich etwas Dummes vorhabe. Doch zu spät, ich spreche bereits aus, was mir bereits seit einer Weile durch den Kopf geht. Konsequenzen hin oder her.

»Du irrst dich. Nicht Evan hat dein Leben zerstört, sondern du selbst, als du dich dafür entschieden hast Straftaten zu begehen, Keith.«
Die Worte haben kaum meinen Mund verlassen, da bricht auch schon die Hölle los.

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