So it goes

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Auf der Wache ziehe ich mich um, die Einsatzkleidung gehört zu den unattraktivsten Dingen, die ich jemals gesehen habe. Und wenn du sie trägst, bist du das Unattraktivste auf diesem Planeten.

Sie besteht aus einer roten Hose, weißem Polo und Pulli, der rot-gelb-neonfarbenen Jacke, Koppel und den klobigen Sicherheitsschuhen.
Optional Haix Airpower.

Ich fahre heute mit Jannik Brandner, es ist meine erste Schicht mit ihm, er ist relativ neu. Als ich durch die Tür der Rettungswache ins Wohnzimmer eintrete, bricht großer Beifall aus. Verwirrt blinzele ich. In dem Raum verteilt sitzen Jannik, Franco, Kevin, Benjamin und Jasmin und klatschen laut in die Hände.
"Du hast es pünktlich geschafft!"
Franco springt auf und drückt mir einen Schmatzer auf die Wange.
"Ich verpasse meinen Flug doch nicht!" Angeekelt wische ich mir mit dem Handrücken über die feuchte Stelle.
"Ist doch jetzt keine große Sache, dass ich pünktlich bin...", verteidige ich mich.
Jeder im Raum muss sich ein Husten unterdrücken. Jaja, macht euch nur lustig... ich hab dafür anderen Stärken. Essen zum Beispiel.Das Piepen von Francos FME erschallt durch den Raum und foltert meine Ohren. Franco wirft einen Blick drauf und wirft ihn mir zu.
"VUP. Ich wünsch dir ganz viel Spaß." Er grinst über beide Ohren.
"Ich hasse dich."

Jannik und ich fahren heute den 1-RTW-3. Er erscheint mir ganz korrekt, immerhin muss ich nicht in jeder Kurve um mein Leben bangen. "LEUTEEEEEEEE. Rettungsgasse!!!", schnaube ich, als wir uns durch den Stau vor dem Unfallort hornen und hupen müssen. Es ist ein sehr interessantes Phänomenen, das zu beobachten ist. Einige Autofahrer glauben, dass es das Beste sei, wenn man, sobald sich ein Blaulichtfahrzeug nähert, entweder abrupt bremst und mitten auf zwei Spuren stehen bleibt oder eventuell sogar rückwärts fährt. Was soll ich sagen: Ich hätte an meinem Rettungswagen gerne eine Räumschaufel vorne für solche Fälle.

Jannik gibt sich sichtlich Mühe, niemanden den Seitenspiegel abzufahren, während wir mit kaum 5km/h weiterkommen.
„Ich steige aus und laufe schonmal.", beschließe ich und greife nach dem Notfallrucksack, der zwischen Jannik und mir hängt.
„Tu das. Ich sammel dich in spätestens 2 Stunden ein.", grummelt er.

Mit Feuerwehrhelm, Notfallrucksack, Funkgerät und Einmalhandschuhen ausgestattet laufe ich dem Rettungswagen voran in Richtung der Unfallstelle. Wir sind leider Gottes das ersteintreffende Rettungsmittel, das ist genau so scheiße, wie eine Reanimation zu beginnen. Man ist immer lieber Zweiter.

Als ich mich durch den Stau geschlagen habe, bin ich relativ überrascht. Der Unfall ist erstaunlich klein, kleiner als gemeldet. Unfallbeteiligte: Ein weißer BMW, der anscheinend einem roten Mini aufgefahren ist. Die Unfallstelle ist bereits abgesichert und eine junge, blonde Frau mit Warnweste kommt mir entgegen gerannt.
„Kommen Sie, schnell!"
„Wer sind Sie?", frage ich Sie.
„Julia. So kommen Sie doch!"
„Ich komme. Wie geht es Ihnen?"
„Alles gut, aber mein Mann..."
Da die Frau noch gut laufen kann, lasse ich sie außen vor und sichte erstmal die anderen Unfallbeteiligten. Im weißen BMW haben die Airbags ausgelöst und auf der Fahrerseite hängt ein junger Mann, blutüberströmt, in seinem Gurt. Ich taste nach seinem Carotispuls. Dieser ist schwach, aber regelmäßig.
„Rettungsdienst, können Sie mich hören?" Er stöhnt. Als ist er ansprechbar.
„Ich bin sofort wieder bei Ihnen. Bleiben Sie bitte bei ihrem Mann, Julia."
Da ich mich leider grade in einer MANV- Lage befinde, muss ich mir erstmal einen Überblick verschaffen und kann dann erst versorgen. Im roten Mini befinden sich 4 Personen, darunter zwei ältere Kinder auf der Rückbank.  "Rettungsdienst, hallo. Wie geht es Ihnen?" Alle sind ansprechbar und haben beurteilt nach dem, was ich sehen kann, keine  allzu schweren Verletzungen. Somit kann ich eine Lagemeldung machen und mich dann um den Herrn im BMW kümmern.
„Leitstelle Köln von Akkon Köln 1-83-3 kommen. "
„Kommen Sie Akkon Köln 1-83-2."
„Lagemeldung: 5 Personen T1, eine Person T3, benötigen NEF."
„Verstanden."
„Frage: Wie lange brauchen die anderen Rettungsmittel?"
„Die werden gleich da sein."
,,Verstanden."
Danke. Präzise. "Gleich" bedeutet eigentlich nur, dass sie selber keinen Plan haben. Immerhin hat es Jannik durch den Stau geschafft, worüber ich sehr erleichtert bin.

Wir kümmern uns zusammen um den Herrn aus dem BMW, die Frau haben wir zur Überwachung am Mini abgestellt. Wir bereiten alles für eine schonende Rettung aus dem Auto vor, haben ihm bereits einen Stifneck angelegt, als er plötzlich nicht mehr reagiert. Seine Sauerstoffsättigung geht runter, was man auch an seinen blauen Lippen erkennen kann und ich kann kaum noch einen Puls an der Radialis fühlen.
„Crashrettung", ordere ich an. Jannik packt ihn unter den Schultern, zieht ihn trotzdem noch vorsichtig aus dem Auto und legt ihn auf die Trage mit Vakuummatratze. Während Jannik Absaugbereitschaft herstellt und ein EKG klebt, mache ich einen Bodycheck. Das Ergebnis ist nicht besonders befriedigend. Ich erkennen kaum eine besonders schwerwiegende Verletzung. Jedenfalls keine, die den Schockzustand erklärt. Und somit vermute ich, dass er irgendwo ziemlich stark einblutet. Das NEF und ein weiterer RTW kündigen sich durch ihr Horn an, Oliver Dreier springt aus dem NEF heraus. Ich erzähle ihm schnell von meiner Vermutung.
„Wie ist der Blutdruck?"
„90 zu 50, Puls 120." Er nickt.
„Zwei großlumige  Zugänge, 16 G, wenn's geht und dann VEL dran. Sauerstoff 10 Liter pro Minute und ab ins Krankenhaus."

Wir laden den Mann ein, übergeben die Unfallstelle an unsere Kollegen und fahren die Klinik am Südring an. Er rauscht während der Fahrt mit seinen Werten immer weiter runter, sodass wir schon einen Reanimationsbereitschaft herstellen. Da wir schon detailliert vorgemeldet sind, nimmt man uns den Patienten ab, kaum, dass wir die Türen geöffnet haben. Ich versuche noch eine halbwegs normale Übergabe an Julia Mertens, aber das ist selbst im Schockraum kaum möglich. Wir helfen noch beim Umlagern, dann hauen wir auch wieder ab.

Der restliche Tag wird  nicht ganz so stressig, erst gegen Ende meiner Schicht mehren sich die Einsätze.
Somit ist es Null Uhr, als ich leise wieder die Wohnungstür aufschloss. Ich ziehe mir meine Schuhe aus, um kein Geräusch zu machen und legte meine Sachen ab. Eigentlich will ich dringend schlafen gehen, aber bei dem Hunger, den ich habe, ist das kaum möglich. Während ich in die Küche tapse versuche ich mich zu entsinnen, was noch im Kühlschrank ist. Eigentlich müsste der voll sein... wann bin ich einkaufen gewesen? Vor einer Woche. Ich öffne den Kühlschrank. So wie dieser aussieht, bin ich wohl das letzte Mal vor drei Wochen einkaufen gewesen. Peinlich, peinlich, das hat Herr Hetkamp bestimmt auch schon gemerkt. So werfe ich mir eine Packung Vollkornnudeln in den Topf und warte darauf,dass sie durch sind. Währenddessen penne ich fast neben dem Herd ein. Eine halbe Ewigkeit später habe ich die Nudeln abgeschüttet und mich sofort mit Topf an den Tisch gesetzt. Als ich plötzlich Türen klappen höre, schrecke ich auf.

Da steht er in Jogginghose und T-Shirt vor mir.
„Habe ich Sie geweckt? Wenn ja, tut mir das leid."
,, Nein, haben Sie nicht. Ich war noch wach."
„Okay." Sehr nett, dass er mir kein schlechtes Gewissen machen will.
„11 hat ja wirklich geklappt."
„Zuverlässige Arbeitszeiten."
„Und noch nicht mal bezahlt?"
„Leider nicht."
„Als was arbeiten Sie?" Er zieht einen Stuhl vom Küchentisch heran und setzt sich. Ich vermeide es ihm in die Augen zu schauen.
„Rettungsdienst. Sie?"
,, Ja, das ist nicht besonders nett. Rettungsdienst ist wohl ein Scheißjob?", weicht er meiner Frage mit einer Gegenfrage aus. Im selben Moment verschlucke ich mich. ,,Äh.", bringe ich grad so raus und schaue doch in seine Augen. Fehler. Seine Augen starren mich nicht an, sie legen sich eher über mich. Und ich fühle mich auf einmal ziemlich klein.  Er wechselt das Thema. Danke.
„Ich habe den Roman gelesen, den Sie mir da gegeben haben." Ich lächele leicht. ,,Alles sehr akzeptabel, Aber eine Sache würde ich gerne anmerken. Ich werde mich nicht nur einmal im Monat an den Einkäufen beteiligen, sondern jedes zweite Mal."
„Okay, wie Sie meinen. Wird aufs gleiche raus kommen. Sooft gehe ich nicht."
„ Habe ich auch bemerkt. Was... essen Sie da?" Er zieht eine Augenbraue hoch.
„Ich habe vergessen einzukaufen... und war dann auch völlig überrascht als ich den leeren Kühlschrank gesehen hab.", entschuldige ich mich kleinlaut.
„Aber ich gehe gleich morgen früh.", füge ich dann schnell hinzu. Was für einen ersten Eindruck musste ich da hinterlassen haben. „Erstmal schlafen Sie vielleicht erstmal. Mit Ihren Augenringen können Sie Seilchen hüpfen."

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt