Bloßgestellt

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Die nächsten Tage werden schlimm für mich. Anstrengend.
Und wer ist schuld? Alex.
Dabei kann er gar nix dafür.
Je mehr ich mich fallen und auf ihn einlasse, desto mehr muss ich an Patrik denken.
Ich dachte ehrlich, ich könnte so tun, als ob es das Kapitel nie gegeben hätte in meinen Leben. Das ging auch bis jetzt ganz gut, bis Alex da war.
Dabei hat Alex mir nicht mal gesagt, dass er was von mir will... er ist einfach nur besonders nett.
Und vielleicht, in der hintersten Ecke meines Herzens wünsche ich es mir vielleicht.
Aber nur vielleicht.
Je mehr ich konfrontiert werde mit meinen Gefühlen, desto mehr merke ich, dass ich in Umgang mit Männern einfach nicht mehr normal bin.
Es ist mir einfach vorher nie aufgefallen, weil ich den Umgang in der Weise seitdem gemieden hab.
Flo fällt da auch nicht mit rein. Ich hab ihn immer nur als sehr guten Freund gesehen. Das letztens war vielleicht ein... Experiment und ich bin sehr froh, dass er es genauso sieht.

Unser RTW ist in der zwei und die ganze Belegschaft hat sich auf die Sofas verteilt. Die Hälfte schläft, ein Viertel verfolgt mehr oder weniger gespannt das Geschehen im Fernsehen (Frauentausch) und der letzte Teil sitzt einfach nur da.
So wie ich. Und dabei bin ich damit beschäftigt über Alex und mich nachzudenken.
Eigentlich total behindert. Ich mache mir Gedanken über ein zukünftiges mögliches Verhältnis, welches absolut in den Sternen steht.
Weil: ich bin Josi, Notfallsanitäterin. Und er Arzt. Verdammt gut aussehend. Erfolgreich. Charmant. Intelligent.... und nebenbei noch sowas wie mein Vorgesetzter. Das wird er nicht alles leichtsinnig aufs Spiel setzen.
Ich möchte mich nicht als hässlich bezeichnen- ich kann mich eigentlich ganz gut so akzeptieren, wie ich bin. Aber der Vergleich mindert mein Selbstbewusstsein doch etwas.

Als ich aufschaue, fällt mein Blick direkt auf Alex.
Er sitzt auf dem Sofa, die Beine hochgelegt, die Arme verschränkt und mustert mich.
Sofort senke ich meinen Blick wieder. Hat er mich jetzt die ganze Zeit angeguckt?
Eine unangenehme Atmosphäre entsteht- von der aber nur Alex und ich etwas mitbekommen.
Ich würde gerne aufschauen, um zu gucken, ob er noch guckt, traue mich aber nicht, weil es ja sein kann, dass er noch guckt.

Mein Melder geht. INT_NA ACS. Alex Melder geht auch. Na herzlichen Dank. Wie soll ich mich denn da konzentrieren im Einsatz.

Auf der Alarmfahrt- Flo fährt- komme ich kaum in meine Handschuhe rein, so sehr schwitzen meine Hände.
,,Mädchen, was los bei dir?", sein Blick fällt grinsend auf meine Hände.
,,Blick auf die Straße.", befehle ich.
,,Yes, Sir."
,,Lass mal das NEF vor."
Da das NEF deutlich wendiger und schneller ist, macht es Sinn, Alex mit Franco vorzulassen- können die ja schonmal mit der Behandlung anfangen.

Vor Ort ist Alex schon da und ich habe endlich meine Handschuhe an. Wir nehmen alles an Material mit, obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass wir oben dann alles doppelt haben werden.

Die Wohnung liegt mal wieder in der 4.
Etage. Das ist einfach Pech.
In der Wohnung finden wir einen älteren Herrn vor, Kaltschweißig, blass-Franco teilt uns schnell den Sachstand mit.
,,Das ist Herr Schmidt, 82 Jahre alt. Klagt über kaum aushaltbare brennende Brustschmerzen, nicht atemabhängig, ausstrahlend in linken Arm und Unterkiefer. In Ruhe aufgetreten."
Na, das klingt doch sehr nach einem Infarkt.
,,Frau Hofman, Sie kleben ein 12- Kanal. Herr Wehr, restliches Monitoring, Sättigungsabhängige O2-Gabe, Franco, Zugang und zieh mir 10 mg Morphin auf 10 ml auf. Atemwegsmanagment sichern.''

Während ich die Extremitätenableitungen und dann nach und nach die Brustwandableitungen klebe, die kaum halten, weil der Herr so viel schwitzt, beobachte ich Alex aus dem Augenwinkel, wie er die Arztbriefe des Mannes durchliest.
Ich stelle am EKG das Alter des Mannes ein und wähle ,,12-Abl." aus.
,,So einmal bitte nicht sprechen und nicht bewegen.", sage ich, drucke das EKG aus und will es Alex reichen.
,,Ihre Beurteilung?", fragt er und gibt es mir zurück. Ich werde nervös. Dabei habe ich das schon tausend mal gemacht.
,,Sinustachykardie mit ST- Hebung in V2 und V3, reziproke ST- Senkung. Eindeutiger Hebungsinfarkt."
,,Und was machen wir, wenn es stimmen würde?"
Stimmen würde? Hab ich mich geirrt? Schweiß tritt mir auf die Stirn und ich fange etwas an zu zittern. Ich blicke fieberhaft auf das EKG, vielleicht ist es auch eine Myokarditis... aber das passt nicht zu den Symptomen.
,,Ich höre?" Er schaut mir direkt in die Augen.
,,Nitro, 1 Hub sublingual, 250 mg ASS auf 2.5 ml, 5000 IE Heparin auf 5 ml, 5mg Metoprolol pur.", sage ich zögerlich. Eine Schweißperle tritt mir auf die Stirn.
,,Wirkungseffekt?"
So langsam spüre ich Wut in mir aufsteigen. Wir sind hier nicht in einem Fallbeispiel. Ich fühle mich bloßgestellt.
,,Blutdrucksenkung, Frequenzsenkung, Antikoagulation, Thrombozythenaggregationshemmung.''
,,Korrekt. Kontraindikationen sparen wir uns. Los geht's."

Während Franco die Voranmeldung im Katheterlabor macht, ziehe ich die Medikamente auf und spritze sie nach und nach in den Zugang. Alex schaut mir dabei auf die Finger.
Durch meine Wut zittern meine Finger extrem.
Meine Gefühle für Alex haben sich um 180 Grad gedreht.

Nachdem wir den Patienten übergeben habe, pfeffere ich meine Einmalhandschuhe in den Müll und stapfe zurück zum RTW.
,,Josi!", ruft Flo mir hinterher und hat Mühe, mit der Trage Schritt zu halten. Mir schießen Tränen in die Augen. Was ist los mit mir?
,,Josi!" Flo berührt mich an meiner Schulter.

,,Was denkt der, wer er ist?", platzt es aus mir raus.
,,Ich mache den Job nicht erst seit gestern, ich habe eine fucking dreijährige Ausbildung gemacht und der meint, nur weil er ein ach so toller Arzt ist, müsste man mich mal überprüfen. Hast du gesehen, wie der mich bloß gestellt hat? Vor dem Patienten! Das ist doch keine Art!"

Flo macht irgendwelche hektischen Bewegungen uns sagt nix.
,,Was? Findest du das..."
Ich drehe mich um und sehe das Alex 5 Meter weiter steht. Das hat Flo wohl auch bemerkt.

,,Frau Hofmann? Auf ein Wort.", sagt er, seine Stimme ist eisig.
,,Vergiss es.", zische ich und bemerke erst danach, dass ich ins du verfallen bin.
Er neigt seinen Kopf erstaunt.
,,Bitte.", sagt er freundlicher.
,,Komm.", Flo drückt mich leicht in seine Richtung.
Anstatt, dass er mich mal in Schutz nimmt und auch was sagt. Aber nein: gegen Ärzte sagt man nix, sind ja Halbgötter. Und Alex, der hält sich sogar für einen Gott.

Ich schaue Alex so wütend an, wie ich nur kann.
,,Kommen Sie." Er bedeutet mir zu folgen.
Als ich mich zu Flo umdrehe, schenkt er mir einen aufmunternden Blick.
,,Der ist frei." Er öffnet die Tür zu Schockraum Nummer 3.
,,Setzen Sie sich."
Ich bleibe stehen. Trotz.
,,Was ist jetzt das Problem?", fragt er freundlich.
Mein Mund klappt mir auf vor Erstaunen vor seiner Dreistigkeit.

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt