I remember it all too well

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Ich weiß nicht, wie lange ich da gesessen habe. Irgendwann sehe ich Blaulicht die Uferpromenade runterfahren.
Dann ist es weg.

Hoffentlich überlebt sie.

Ich lege meinen Kopf in den Nacken und betrachte den Sternenhimmel. Ich verspüre so einen Hass auf einmal- wie noch nie zuvor.

,,Wenn du das jetzt siehst, Patrik, ne. Du hast mir echt alles genommen. Hat nicht gereicht, dass ich dich verliere. Du hast mir auch noch mein Leben genommen, und das, ohne mir mein Leben zu nehmen. Irre ne? Haste richtig geil gemacht. Richtig richtig gut."
Ich applaudiere sarkastisch.

Jetzt rede ich schon mit den Sternen.

,,Du hast echt so einen Sockenschuss, Josi.", sage ich bitter lachend zu mir selber.
,,Haben wir das nicht alle irgendwie?", sagt da jemand.
Ich drehe meinen Kopf zur Seite.

Rot- neon- gelb farbene Hose, Reflektorstreifen. 
Alex.
Sein Gesichtsausdruck ist unergründlich.

,,Josi, eines Tages werde ich wegen dir einen Herzinfarkt bekommen. Oder Schlaganfall."
,,Ist das so?"
Er setzt sich neben mich und nimmt mir den Bolzenschneider aus der Hand.
,,Ich dachte... du...", druckst er herum.
,,Ich wäre gesprungen?", vollende ich den Satz.
Er sagt nix. Ich habe wohl Recht.
,,Dafür hänge ich zu sehr daran. Leb ja schon mit der zweiten Chance. Man sollte nix riskieren.", sage ich sarkastisch.
,,Gut zu hören. So: Wir vollenden jetzt, was auch immer du damit...", er deutet auf den Bolzenschneider ,,... anstellen wolltest und dann kommst du mit."

Mit einem Klick entfernt er das Schloss und ich schmeiße es in den Rhein.
Dann gehen wir.
,,Wieso bist du nicht mitgefahren?", frage ich.
,,Paula ist gekommen. Flo wollte unbedingt hier bleiben. Das ging aber nicht und dann hat er mich beauftragt, nach dir zu suchen. Du könntest, Ich zitiere, eine schwierige emotionale Situation haben."
,,Das ist gar kein Ausdruck.", Murmel ich.

Am NEF angekommen drückt Alex Status 6.
,,So Josi. Was ist los?"
,,Alex, ich..."
,,Nein, reicht jetzt.", sagt er bestimmt.
,,Du kannst nicht immer weiter davon laufen. Irgendwann überrollt es dich und das war jetzt. Und ist das nicht auch sauanstrengend, Josi?", fügt er sanfter hinzu.
,,Doch.", flüstere ich.
,,Nimm dir deine Zeit. Aber es wird Zeit.", sagt er.

Ich weiß. Es ist allerhöchste Zeit. Und das musst du dir verdammt nochmal eingestehen.

Ich trinke einen Schluck Wasser. Meine Kehle ist staubtrocken.

,,Patrik war mein Freund. Meine erste... ernsthafte Beziehung. Wir haben uns im Urlaub kennen gelernt und.... er war alles. Alles, was ich wollte. Wir wollten alles zusammen. Sind zusammen gezogen. Und irgendwann... ich hab es irgendwie nicht so ganz bemerkt. Wann es angefangen hat. Dass es da war. Ich hatte einen Vollzeitjob im Büro. Im Dunkeln hin, im Dunkeln nach Haus. Wir haben uns wenig gesehen. Rückblickend... klar, ich hätte es bemerken müssen. Es war kaum zu übersehen. Aber ich wollte es vielleicht auch nicht sehen. Und ich mein... ich dachte, Hunde die bellen, beißen nicht. Nur weil er davon redet, wie scheiße doch alles ist und wie grausam... weißt du?
Und irgendwann dann, da konnte ich nicht länger die Augen verschließen. Da hat er mir gesagt, dass er sich wünschen würde, dass wir neu anfangen. Woanders. Ohne alle anderen. Ohne das alles hier.
Ich hab ihn für verrückt erklärt. Für durchgeknallt. Nicht ernst genommen hab ich ihn."

Ich muss schlucken. Alex schaut mir direkt in die Augen.
,,Weiter, Josi.", sagt er sanft und nimmt meine Hand.
,,Ich bin von der Arbeit gekommen. Total fertig, gestresst, mal wieder Überstunden gemacht. Er fing mich ab und fragte mich, ob ich mich entschieden hätte. Ich schrie ihn an, und sagte ihm, dass er krank sei. Und da sagte er, ich erinnere mich genau: Nein, alle anderen sind krank. Und ich muss dich davor retten, Du weißt es auch.
Und dann umklammerte er mich von hinten... und nahm mir das Küchenmesser, mit dem ich grad Zwiebeln schnitt, aus der Hand und hielt es mir an den Hals."

Mein Hand wandert zu meiner Narbe.

,,Ich weiß nicht wie, aber.... ich habe es geschafft, es ihm zu entreißen, ich habe es quer durch den Raum weggeschmissen. Ich glaube, er hat kurz überlegt, ob er es holen soll, aber wohl begriffen, dass das meine Chance gewesen wäre zu fliehen.
Dann zwang er mich, mich zu ihm umzudrehen und....", meine Stimme bricht ab. Es ist wieder so präsent. Es ist so lang her... wieso kann ich das nicht einfach vergessen?

Wieso zur Hölle, kann ich durch den Sauerstoffmangel nicht irgendeine scheiß Störung in meinem Gehirn haben, die meine Erinnerung daran auslöscht?

,,Er wollte mit dir zusammen sterben.", wiederholt Alex.
Ich nicke.
,,Er hat mich..."
,,Ich weiß.", sagt er.
,,Wie?"
,,Dein Traum. War sehr lebhaft."
,,Oh. Tja. Ist das so." Ich weiß nicht wie ich reagieren soll. Ich wusste die ganze Zeit, dass er damals gelogen hat. Aber es ist mir zu anstrengend, da jetzt ein Fass aufzumachen.
,,Du lebst. Du hast das aber überlebt.", sagt Alex.
,,Manchmal fühlt es sich nicht wie Leben an. Eher so... wie existieren. So wie grad. Ich bin halt noch da. Nicht mehr und nicht weniger."
sage ich tonlos.
Er zieht mich in seinen Arm.
,,Du bist soviel mehr.", sagt er und ich will es ihm wirklich glauben.

,,Flo war im Rettungsteam. Und durch ihn bin ich letztendlich hierhin gekommen. In diesem Job. Also ich erinnere mich nicht an die Rettung. Ich war wohl genauso tot wie die Frau eben.", erzähle ich.
,,Ich hab's mir gedacht.", antwortet Alex.

Mein Kopf dröhnt. Aber die Bilder sind weg, nichts als Leere ist jetzt da. Das drüber reden hat vielleicht dafür gesorgt, mal Luft abzulassen.
,,An den meisten Tagen kann ich auch für mich selber so tun, als sei das nie gewesen, aber manchmal...."
,,Zwei Dinge. Rechtfertigen bringt nichts. Und dich selber anlügen auch nicht. Aber du bist wahrlich nicht die Erste, die das tut.", sagt er.
Ich kann nur noch mit den Schultern zuckern. So müde war ich gefühlt noch nie in meinem Leben.

,,Sollen wir nach Haus?", fragt Alex.
,,Mit dem NEF?"
,,Ich glaube nicht, dass wir heute noch irgendetwas fahren. Beziehungsweise du."
,,Ich glaube auch nicht. Ist aber gegen alle Regeln. Hygiene und so."
,,Haben uns ja nach dem letzten Patienten umgezogen."
,,Wär mir eh egal gewesen. Ich bin so müde."

Wir fahren nach Haus. Mein Kopf lehnt an der Fensterscheibe, meine Augen sind mir zugefallen.
Im Radio läuft Taylor Swift.

,,I asked the traffic lights if I'll be alright, they say I don't know."

,,Ich weiß es auch nicht. Aber glaub mir, ich werde alles dafür geben.", sagt Alex leise.

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt