Who cares if one more light goes out?

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Linkin Park- One more light. Dabei hören. Bitte.
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Ich brauche gefühlt eine Ewigkeit, um heraus zu finden, wer da steht.
Eine Frau, von Flo und Franco mehr getragen, als dass sie läuft.
Beide sind ebenfalls blutüberströmt.
Es ist Angelina.

,,Was zum...?"
Ich eile ihnen entgegen. Eine Blutspur zieht sich über den Boden. Angelina ist kaum noch ansprechbar. Sie ist leichenblass.
Zusammen legen wir sie auf eine der Tragen. Um ihren rechten Oberschenkel ist ein Gürtel.
In ihrem Oberschenkel ist ein klaffendes Loch. Sie blutet trotz des Gürtels saumäßig.
,,Tourniquet!", ruft Alex.
Ich ziehe es aus einem der Modulen unter der Trage.
Alex befestigt es so schnell er kann, trotzdem hängen wir irgendwann zu zweit dran, als es ums abdrehen geht.
Angelina schreit vor Schmerz.
Nachdem die scheinbar lebensbedrohlichste Verletzung notdürftig versorgt ist, haben wir kurz Zeit, die Situation zu sortieren.
,,Was ist denn passiert?", frage ich entsetzt.
,,Da haben Jugendliche mit Silvesterraketen rumgespielt. Beim Zünden ist eine der Flaschen umgekippt und der Böller hat sie getroffen und..."

Ich kann es mir in etwa vorstellen. An vielen Stellen ist ihre Einsatzkleidung verbrannt und mit der Haut verschmolzen.
In ihrem Bauch stecken einige Splitter.
Während Flo und Franco das Monitoring vorbereiten, lege ich mit Alex zwei großlumige Zugänge, an die ich direkt Infusionen hänge. Alex appliziert Morphin und bereitet eine Narkose vor.
,,Welchen RTW haben wir da?", fragt Alex.
,,Keinen. Sonst wären wir doch direkt gefahren."
,,Das war ja mal wieder so klar.", schnaube ich und lege Alex das Material zur Intubation hin.
,,Das DRK hat einen RTW da. Glaube ich.", sagt Franco schnell.
,,Dann sorg dafür, dass die ihre Hufe schwingen. Aber zackig."
,,Du hast das Telefon.",bemerkt Flo.

Ach ja.

Ich will mich ein paar Meter entfernen, um zu telefonieren. Plötzlich spüre ich etwas kaltes, schwitziges an meinem Arm.
Es ist Angelinas Hand. Sie greift nach mir.
,,Bleib bei mir. Bitte.", flüstert sie.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich versteh gar nix mehr.
In meinem Kopf dreht sich alles. Ich kann kaum noch klar denken.

Beruhig dich.

Ich halte Flo das Telefon hin.
,,Natürlich bleib ich bei dir." Ich ergreife ihre Hand.
,,Josephine?", fragt sie, als Alex die Narkose einleitet.
Verwundert schaue ich sie an.
,,Ja?"
,,Es tut mir leid. Wirklich. Du machst deine Arbeit toll. Verzeih mir."
Sie scheint völlig aufrichtig.
,,Ist schon okay. Wirklich.", antworte ich und meine es auch wirklich so.

Was wird das hier?

Sie lächelt kurz, dann wirkt das Narkotikum und ihre Muskeln erschlaffen.
Alex intubiert, ich schließe das Beatmungsgerät an.
Von weitem höre ich ein Martinshorn.

,,Scheiße, man.", entfährt es mir.
,,Da sagst du was.", antwortet er.

Sie hat viel Blut verloren. Soweit ich das abschätzen kann. Alex und ich sind nun beide komplett blutüberströmt. Wir stehen in einer Pfütze.
Und zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass sie es nicht schaffen wird.
In den letzten Minuten haben wir wirklich gekämpft. Aber wenn man mal von unserem Kämpferwillen abgesehen rational denkt, sieht es wirklich schlecht aus.
Ich kann meinen Blick nicht vom EKG nehmen.
Ihr Blutdruck ist kaum noch messbar. Ihren Puls kann ich peripher nicht tasten.

Die Sekunden und Minuten, die der RTW braucht, kommen uns vor wie Jahre.
Zum ersten Mal verstehe ich, was jemand durchleben muss, der einen RTW rufen muss, für seinen Verwandten vielleicht, der bewusstlos am Boden liegt. Oder vielleicht nicht mehr atmet.
Die 8 Minuten, die ich quatschend und lachend mit meinem Kollegen verbringe, in denen wir bei offenem Fenster Musik hören, während wir zum Einsatz fahren. Diese 8 Minuten, die wir im Durchschnitt brauchen, die sind für jemand anders die Schlimmsten seines Lebens.

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt