Trying to find a part of me you didn't touch

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Dass ich mal wieder schlafen muss, ist mir klar. Aber ich möchte nicht allein schlafen. Das versteht Lena auch ohne dass ich es ihr sage.
Und somit ziehen wir das Sofa aus und kuscheln uns mit unseren Bettdecken, die wir aus unseren Betten geholt haben, ein.

,,Danke, dass du da bist.", sage ich leise.
Sie greift meine Hand und drückt sie.
,,Natürlich."

Ich schaue aus dem Fenster. Zwischen den Wolken erkenne ich an einer kleinen Stelle klarem Himmel die Mondsichel.
Jemand, der jetzt zum Beispiel in Frankreich an den Himmel guckt, sieht genau dasselbe wie ich. Obwohl die Distanz so riesig ist.

Ob Alex auch gerade den Mond anschaut?
Oh Josi, du wirst senil.

Am nächsten Morgen frühstücken wir gemeinsam.
Lena schlägt mir vor, dass ich eine Auszeit nehme und zu meinen Eltern fahre. Einfach mal ein Tapetenwechsel.
Die Idee gefällt mir gut und ich hatte auch schon länger vor, sie zu besuchen.
Nur da dachte ich noch, ich würde Alex mitnehmen.
Trotzdem klingt ein Ort, mit dem Alex rein gar nichts zu tun hat, wirklich verlockend.

Kurzentschlossen nehme ich mir Urlaub und rufe bei meinen Eltern an, die sich riesig freuen, sich gleichzeitig aber auch wundern, was der Grund für mein überstürztes Urlaubsbedürfnis ist.
Die Aussage: ,,Bisschen viel Spastilaster in letzter Zeit gefahren.", beruhigt sie dann aber.

Lena bucht mir ein Zugticket- sie möchte nicht, dass ich Auto fahre.
In meinem Zustand, sagt sie.

Die Zugfahrt an die Ostsee zwei Tage später genieße ich sogar. Der ICE hat wenig mit den überfüllten Bussen und Bahnen des Nahverkehrs zu tun.
An meinem Zugfenster rauscht die Landschaft Mitteldeutschlands vorbei.
Kaum zu erkennen bei der Geschwindigkeit.
Ich höre die Känguru- Offenbarung.
Das hatte ich mir schon ewig vorgenommen, aber irgendwie nie den passenden Moment gefunden, mich entspannt hinzusetzen und es auch zu genießen.
Auch wenn ich das Hörbuch wirklich toll finde- ich komme nicht umher, die ganze Zeit an Alex zu denken.
Unsere gemeinsamen Momente spielen sich vor meinem inneren Auge ab.
Ich schließe meine Augen.
Seine Berührungen, seine Küsse, seine Stimme. Seine Lachen. Seine Grübchen. Kuscheln. Sich ärgern. Auf dem Balkon zusammen Wein trinken und über Gott und die Welt unterhalten.

My heart, my hips, my body, my love, trying to find a part of me you didn't touch.

Hätte ich die Zeit doch nur mehr genossen. Jeden einzelnen Moment wirklich gelebt.

Das habe ich. Nur das sagt man sich hinterher immer.

Ich öffne meine Augen wieder. Die Frau, die in selben Abteil sitzt wie ich, reicht mir ein Taschentuch und lächelt mitleidig.
Erst jetzt merke ich die warmen Tränen auf meinen Wangen.
Ich nehme es dankend an.

War ich nicht genug? Wäre ich wirklich genau das gewesen, was er sich wünscht, wäre er dann geblieben.

Schon Sekunden danach verwerfe ich den Gedanken.
Idiotisch.

Viele Stunden und Tränen später packe ich meine Sachen zusammen. Mama und mein Stiefvater haben versprochen, mich am Bahnhof abzuholen.
Und tatsächlich stehen sie breit grinsend am Bahnsteig.
,,Josi... was freu ich mich." Sie schließt mich in die Arme.
,,Lass dich anschauen." Sie hält mich etwas auf Abstand und schaut kritisch.
,,Du siehst erledigt aus.", stellt mein Stiefvater fest.
,,Die Zugfahrt.", sage ich schnell.

Auf dem Weg zu ihrem Haus stelle ich fest, dass sich meine Mutter wirklich überhaupt nicht verändert hat.
Quasselt wie ein Wasserfall, hat einen sonderbaren Humor (den ich aber wohl geerbt habe) und ist einfach generell so unfassbar... liebenswert.
,,Wirklich schön, dass du da bist. Das schönste Geburtstagsgeschenk.", sagt sie euphorisch.

Ach ja stimmt.

Ich haue mir innerlich gegen die Stirn. Sie wird ja 46.

Gut, dass du es sagst, Mama. Ich hätte es sonst vergessen.

Geburtstage sind echt nicht mein Ding. Ich habe meinen eigenen auch schonmal vergessen. Bin pünktlich zum Dienst erschienen und wurde von meinen Kollegen lachend daran erinnert, dass ich ja Urlaub genommen habe.

Meine Mutter und mein Stiefvater haben sich, als meine Schwester und ich ausgezogen waren, ihren großen Traum erfüllt:
Ein Haus direkt am Strand.
Es ist wirklich ein Traum. Klein, gemütlich und man fällt aus der Haustür quasi direkt in den Sand.
Meine Mama tischt ordentlich auf: Rinderbraten gibt es. Dazu viele lustige Unterhaltungen mit meinem Stiefvater und ihren Kommentaren.

Und als die Sonne untergeht, sitzen wir zusammen mit einer Tasse Tee und in eine Wolldecke gekuschelt auf der Veranda und schauen auf das weite Meer. Der frische, salzige Wind weht mir um die Nase, gleichzeitig rieche ich den Duft vom frisch aufgegossenen Früchtetee.
Ich beneide meine Mutter sehr um ihre Sorglosigkeit und ihre tiefe Zufriedenheit mit ihren Leben.
Sie ist wirklich wirklich glücklich.
Sie strahlt, wie ich es vorher, als sich noch mit meinem richtigen Vater verheiratet war, nie gesehen habe.
Und dafür bin ich meinem Stiefvater sehr sehr dankbar.
Natürlich merkt sie, dass ich nicht ansatzweise so glücklich bin wie sie.
Sie ist eben meine Mutter. Irgendwann deute ich an, dass es vielleicht mit einem Mann zu tun hat.
Ihre Überraschung, dass ich es nach Jahren wieder zugelassen habe, jemanden in mein Leben gelassen habe, kann sie kaum verbergen.
Und auch ich bin- wenn ich es überdenke- wirklich erstaunt, was für einen Fortschritt ich doch gemacht habe.

Und dafür bin ich Alex wirklich dankbar.

Irgendwann bricht es aus mir raus. Wie wir uns kennen gelernt haben, was wir für eine Zeit hatten, wie es geendet ist.
Als ich ihn (doch ziemlich schwärmerisch) beschreibe, sage sie irgendwann lächelnd:

,,Das klingt nach einem Porzellanteller."
,,Bitte?", frage ich verwirrt.
,,Ein Mann wie ein Porzellanteller. Edel, teuer. Schön. Aber man sollte sich merken, dass von den Porzellantellern auch die anderen essen wollen. Manchmal sollte man sich überlegen, ob ein Holzteller vielleicht doch nicht die bessere Entscheidung fürs Leben ist..."

Papa war definitiv ein Porzellanteller. Aber das wusste er. Und er hat es schamlos ausgenutzt- und war dabei auch nicht besonders geschickt im Verbergen seiner Affären.
Mein Stiefvater ist dagegen eher ein Holzteller- sehr geerdet. Aber für meine Mama der schönste, den sie sie sich vorstellen kann.

,,Ja. Alex ist ein Porzellanteller. Mit Blümchen und Goldrand.", sage ich leise und schaue in den Himmel.

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Hey Ihr Lieben...
Josi versucht sich zu fangen...
Ein vielleicht nicht so actionreiches Kapitel... aber das muss auch mal sein.

Ein sehr aufmerksamer Leser hat mich daran erinnert, dass ich euch vor mehreren Kapiteln mal was gesagt hatte:

Das Ende dieses Buches wird wohl mit folgendem Titel eingeleitet sein:

Kiss me, before they turn the lights out.

Das heißt zum einen, dass Josi wohl irgendwen küsst... wen wohl?🧐

Und zum anderen könnt ihr mal Vermutungen über den Rest anstellen. Ich bin sehr gespannt.

Laura ❤️

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt