,,Hey, aufwachen."
Alex rüttelt an meiner Schulter.
,,Hm?", Murmel ich verschlafen.
,,Ich wollt dir nur sagen, ich bin zum Frühstück verabredet. Wenn du magst, kannst du aber mitkommen. Darfst aber auch liegen bleiben."
,,Mit wem?"
,,Kennst du nicht."
,,Du willst einfach abhauen?", frage ich gespielt empört und greife nach meinem Kopfkissen, um es ihm um die Ohren zu hauen. Bevor ich auch nur das Kopfkissen hochgehoben habe, hat er meine Handgelenke mit einer Hand gepackt und kitzelt mich mit der anderen.
,,Glaubst du wirklich, dass du eine Chance hast?", fragt er lachend.
,,Natürlich."
Aber ich wie ich mich drehe und winde, sein Griff lockert sich nicht.
Tränen laufen mir über die Wangen und ich kann nicht aufhören zu lachen.
,,Ich... lasse... dich... nur... gewinnen.", sage ich keuchend.
,,Ist das so?", fragt er. Seine Augen strahlen.
,,Aber klar."
,,Ja, dann, du starker Tiger." Er gibt sich gespielt geschlagen.Jetzt bin ich eh wach. Frühstück klingt schon verlockend.
Kurzentschlossen richte ich mich auf und will aufstehen. Ich werde zurückgehalten.
,,Wohin gehts?"
,,Anziehen."
,,Haaalt. Was haben wir vergessen?"
,,Guten Morgen, Monsieur." Ich gebe ihm einen Kuss.
,,Na also." Er grinst breit.Das Familiengeführte Café ist mitten in der Altstadt. Ich kenne es- aber bis jetzt nur den Kaffee davon. Alex hält mir die Tür auf.
Es ist zum Glück nicht so voll, was daran liegen mag, dass es 9 Uhr unter der Woche ist.
Alex schaut sich kurz um.
,,Da."
Zielstrebig steuert er auf einen Tisch an der Ecke zu.
Dort sitzt eine Frau, die mir schon beim Hereinkommen direkt aufgefallen ist. Außergewöhnlich hübsch ist sie und irgendwie kann ich meinen Blick nicht von ihr nehmen. Irgendwas an ihr fasziniert mich.
Als wir näher kommen, fällt mir auf, dass sie gar nicht mal überdurchschnittlich hübsch ist, etwas älter scheint sie ebenfalls.
Dafür aber scheint ihr Gesicht zu leuchten, ihre Augen und aus jeder einzelnen Falte.,,Guten Morgen, Michaela."
Er umarmt sie kurz.
,,Guten Morgen Alex und... Josephine, nehme ich an?"
,,Alex hat wohl über mich berichtet." Ich reiche ihr die Hand.
,,Kann man wohl so sagen." Sie schmunzelt.
Alex steht unschlüssig am Tisch.
Plötzlich lacht Michaela kurz auf.
,,Wir haben es also immer noch nicht abgelegt?", fragt sie an Alex gewandt und steht auf, um die Tischseite zu wechseln. Er setzt sich hin und bedeutet mir, mich neben ihn zu setzen.
Ich schaue wohl verwirrt, denn Michaela sagt dann:
,,Er muss immer den Blick zur Tür haben, sonst kriegt er die Krise."
Alex grinst schief.
Ich bestelle mir einen Latte Macchiato und Rührei mit Schnittlauch und Brötchen.
,,Und du bist...?", frage ich irgendwann.
,,Da, wenn mich jemand braucht.", antwortet sie.
,,Woher kennt ihr euch?", will ich wissen.
Alex Handy klingelt.
,,Entschuldigt mich, ist wichtig. Du kannst ihr alles erzählen.", sagt er an Michaela gewandt und verlässt das Café.
,,Wir hatten wohl den gleichen Job.", sagt sie.
,,Militär?"
,,Genau. Ich bin Psychologin."Das erklärt einiges.
,,Und Du?", fragt sie.
,,Rettungsdienst." Ich weiß nicht, was ich denken soll. War das Absicht von Alex? Das kann ich kaum glauben.,,Stressiger Job?", fragt Michaela.
Ich zucke mit den Schultern.
,,Mal so mal so."
,,Für mich wär das nix.", sagt sie.
,,Wieso?"
,,Die Einsätze..."
,,Aber du warst doch im Auslandseinsatz?"
,,Ja, aber da ist es anders. Nicht unbedingt besser. Aber anders.", sagt sie und trinkt einen Schluck ihres Chai Latté.,,Und... ich nehme an, dass Alex mit dir über... seine Zeit im Krieg geredet hat?", versuche ich es vorsichtig zu formulieren.
,,Ja. Es war aber ein langer Weg, bis er eingesehen hat, dass Verdrängen auf lange Sicht keine Lösung ist.", sagt sie und lächelt.
,,Wieso eigentlich nicht? Wieso kann das nicht funktionieren?", frage ich. Immerhin kann ich meine Fragen jetzt ja einer Fachfrau stellen.,,Verdrängen ist die Reaktion des Körpers auf ein seelisch so Belastendes Ereignis, das uns, würden wir es direkt Verarbeiten, aus der Bahn schmeißen würde. Verdrängen ist also ein Schutzmechanismus, damit unser Körper und Geist weiter seinen Alltag bestreiten kann. Damit wir funktionsfähig bleiben, obgleich das Ereignis selber dagegen steht."
Mal jemand, der Verdrängen nicht als Schwäche abstempelt.
,,Also ist Verdrängen nicht schlecht?"
,,Fast alles kann in Maßen gut sein. Du solltest den Satz kennen: Die Dosis macht das Gift.
Aber ob das Verdrängen situationsabhängig richtig ist, hängt von der seelischen Belastung durch das Ereignis und der Dauer des Verdrängens ab."
,,Also ist lügen in Maßen auch gut?", frage ich etwas provokant.
,,Ich denke, zu meiner Meinung gibt es viele Kritiker... aber ich würde sagen, Ja. Ohne ein gewisses Maß an Lügen könnte unsere Gesellschaft in der Form nicht existieren."
,,Und ab welcher Grenze ist z.B. Verdrängen nicht mehr gut?", frage ich und beiße in mein Brötchen.
,,Da gibt es keine Regel. Das ist individuell. Wenn du gezwungen wirst, an das Verdrängte zu denken, du Panik, Angst verspürst, das mit körperlichen Reaktionen einhergeht, ist es nicht mehr gut. Oder anders rum: Wenn es dich unfassbar viel Kraft kostet, nicht dran zu denken."Das wollte ich nicht hören.
,,Wie verarbeitet man?"
,,Unterbewusst sowieso. Aber auch bewusst- das ist der anstrengende Teil."
,,Kann man das überhaupt kontrollieren?" Ich erinnere mich an meine ,,Flashbacks".
Sie lacht.
,,Du kannst alles kontrollieren. Auch deine Emotionen. Jeder Emotion liegt ein Gedanke zugrunde. Aber bis man das verstanden hat, und dazu fähig ist, ist es ein weiter Weg, der vor allem mit einem einhergeht: Selbstkonfrontation. Davor fürchten sich sehr viele. Lerne, deine Schwächen anzunehmen, sehe deine Stärken, lerne, Wie du in welcher Situation denkst..."Wenn ich sie mir ansehe, hat sie es sowas von geschafft. Sie wirkt so ausgeglichen...
Ich bin fast neidisch. Im Gegensatz zu ihr fühle ich mich fast wie ein emotionales und psychisches Wrack.
Alex kommt wieder rein.
Ich reiße mich zusammen.Jetzt oder nie, Josi. Du kannst dir nicht einreden, dass es so weitergeht, wie jetzt.
,,Du bist noch als Psychologin tätig?", frage ich.
Sie lächelt wieder und schiebt mir eine Karte über den Tisch.
Ich stecke sie schnell ein. Mein Herz pocht mir bis zum Hals.
,,Habt ihr euch nett unterhalten?", fragt Alex und legt mir einen Arm um den Rücken.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
,,Hauptsächlich haben wir gegessen.", sagt sie.
Ich schaue sie dankbar an.
Natürlich möchte ich Alex erzählen, dass ich es eingesehen hab und mir Hilfe geholt hab. Aber nicht vor dem ersten Gespräch.Man soll den Tag ja nicht vor dem Abend loben.
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Ihr Lieben,Ich hab's dann doch mal wieder geschafft. Vor einer Stunde war mein Dienst zuende und ich hab keine Überstunde gemacht- hatte schon vergessen, dass das geht 🤪.
Jetzt Sitz ich grad auf einer anderen Wache und warte darauf, dass auch mein Freund wieder einrückt- der fährt grad eine Intensivverlegung (immerhin ist der Patient wirklich krank und nicht nur ein Fall für den KTW) in die Uni Köln- es kann sich also nur noch um Stunden handeln...
Seine Laune wird also gleich prächtig sein, denn im Gegensatz zu mir hat er dann eine Menge Überstunden gemacht, der hätte nämlich eigentlich um 18.52 Uhr Wachwechsel gehabt.
Was soll's- jetzt genieße ich (erstaunlich guten) Kaffee und plaudere (natürlich mit Sicherheitsabstand) mit seinen Kollegen.Bleibt gesund!
❤️
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ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden
FanfictionJosephine arbeitet mit den Spezialisten im Rettungsdienst der Stadt Köln. Doch es wird nicht einfach für sie, denn irgendwann ist jeder mal gezwungen seine Vergangenheit aufzuarbeiten. Abgesehen davon kommt sie mit dem neuen Notarzt- Alexander Hetk...