You can feel it on the way home

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Ich kriege kein Wort heraus. Seine Worte hallen in meinem Kopf nach.
,,Wenn ich dich jetzt überrumpelt hab, dann tuts mir leid.", fügt er hinzu und scheint so, als ob er seine Enttäuschung versucht zu verbergen.
,,Nein, nein... ich. Ja.", bringe ich heraus.
Er strahlt.
,,Ja?"
,,Ja."
Er schließt mich in seine Arme und drückt mir einen Kuss auf die Stirn.

Das war das Letzte, womit ich gerechnet habe.
Diese Frage.

Ein Glücksgefühl durchflutet mich.
,,Du könntest mir keine größere Freude machen.", sagt er.

Frag mal mich.

Mein Kopf liegt an seiner Brust. Ich spüre sein Herz schnell schlagen.
,,Ist da jemand aufgeregt?", frage ich neckisch.
,,Vielleicht.", gibt er zu.

Der Abend ist wunderschön- wir liegen aneinander gekuschelt im Bett und erzählen uns irgendwelche peinlichen Geschichten aus unserer Kindheit.
,,...und dann wollt ich das im Backofen brennen, und hab richtig Ärger von Mama bekommen, weil der danach kaputt war.", schließt er seine Geschichte ab.
,,Wo wohnen deine Eltern?", frage ich.
,,In der Eifel. Bad Neuenahr-Ahrweiler. Da haben sie ein Haus."
,,Das kenn ich, sehr schön da."
,,Wir könnten ja vielleicht irgendwann mal hin.", sagt er vorsichtig.

Er meint es wohl wirklich ernst.

,,Und deine Eltern?", fragt er.
,,An der Ostsee. Ein Haus am Strand- das war schon immer der Traum meiner Mutter."
,,Muss schön sein. So, du bist wieder dran." Er stupst mich in die Seite.
,,Ich habe mal ein Einschreiben an mich selber geschickt. Hab Adressat und Empfänger verwechselt, 4€ bezahlt und am nächsten Tag für mein eigenes Einschreiben unterschreiben müssen."
,,Wie alt warst du da?", fragt er.
,,Ähm... so um die 20."
Er lacht herzhaft.
,,Da warst du aber kein Kind mehr."
,,Ne, aber peinlich war's trotzdem."

Irgendwann liegen wir einfach nur noch da und schauen beide raus aus dem Fenster, in den Sternenhimmel und auf die Skyline.
Er lässt seine Hände langsam meinen Körper hoch und runter wandern. Über meine Taille, meinen Bauch, meine Oberschenkel.
Drückt mir einen Kuss auf die Stirn, auf die Wange, auf den Mund.
Irgendwann werden seine Küsse fordernder und ich lasse mich drauf ein.
Es ist ungewohnt- es sind alles Gefühle, die ich seit Jahren nicht mehr verspürt habe und die ich erstmal einsortieren muss.
Aber unangenehm ist es trotzdem nicht, vielmehr will ich das auch.
Alex achtet peinlich genau darauf, nicht an meinen Hals zu kommen.
Einen kurzen Moment lang schießt mir dann aber doch der Gedanke durch den Kopf:

Vielleicht fänd ich es mittlerweile gar nicht mehr schlimm- nicht bei ihm.

Am nächsten Morgen schlafen wir aus- die Nacht war wunderschön.
Das Frühstück ist etwas bodenständiger als das Abendessen- und kostet wahrscheinlich trotzdem genauso viel.
Zurück auf dem Heimweg kann ich mein Grinsen kaum aus dem Gesicht wischen- aber auch Alex wirkt sehr vergnügt. Auch wenn es wirklich schön war, ich freue mich sehr auf Zuhaus.
Auf Zuhaus mit ihm.

,,Holy....."
Ein Autofahrer überholt uns auf der Autobahn rechts und zieht dann vor uns rein. Alex steigt fluchend in die Eisen und wechselt die Spur. Das war knapp.
Und dann knallt es.
Der Autofahrer, der eben noch vor uns war, ist es nun nicht mehr. Ich schaue in den Rückspiegel.
Er hängt in der rechten Leitplanke.
,,Halt an!"
Alex schaltet den Warnblinker an und fährt auf den Standstreifen. Ich öffne die Tür.
Der Verkehr fließt noch.
,,Sei vorsichtig!", ruft Alex und steigt ebenfalls aus. Wir ziehen uns Warnwesten an.
Alex bedeutet mir mit Handzeichen, dass ich absichern soll und er zum verunfallten Auto geht- man versteht sein eigenes Wort kaum.
Mit Warndreieck laufe ich zurück- scheiße, war das weit und wähle währenddessen die 112.

,,Notruf Feuerwehr Rettungsdienst Köln, wo ist der Unfallort?"
,,A4 Richtung Köln kurz vor dem Autobahnkreuz Köln-Ost.
Ein verunfallter PKW in Leitplanke."
,,Wie viele Verletzte gibt es?"
,,Ich weiß es nicht. Komme mit späterer Rückmeldung."
,,Verstanden, legen Sie nicht auf."

Ich stelle das Warndreieck auf und laufe wieder Richtung Unfallwagen.
Alex hat wohl einen Pax Rucksack im Kofferraum gehabt, jedenfalls trägt er den mit sich rum.
Der Fahrer hängt im Airbag.
,,Eine Person, augenscheinlich nicht ansprechbar.", sage ich zum Leitstellendisponenten.
Die Tür ist zwar verzogen, geht aber zum Glück noch mit viel Gewalt auf.
,,Kein tastbarer Puls.", sagt Alex.
,,Reanimationspflichtig.", teile ich mit.
,,Sie wissen wie die Reanimation geht?"
,,Ja."
,,Gut, die Rettungskräfte sind unterwegs. Sie können auflegen."
Ich lege auf und helfe Alex, den Mann aus dem Auto zu ziehen.
Während ich mit den Thoraxkompressionen anfange, sucht Alex nach lebensbedrohlichen Verletzungen.
,,Schädel scheint frakturiert, Definitiv frakturiertes Becken, offene Fraktur rechter Oberschenkel, geschlossene Fraktur linker Oberschenkel, sichere Frakturzeichen linker Oberschenkel und beide Unterschenkel, aber geschlossen, vermutlich schwerste Abdominal- und Wirbelsäulenverletzungen bei dem Mechanismus.", stellt Alex fest.

Kurz stellt sich mir die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, hier den Versuch zu starten, was zu retten.
Ich schaue dem Mann ins Gesicht- er ist jung, vielleicht so alt wie ich. Vielleicht gibts ja eine Chance.
,,Drück erstmal durch, ich binde den rechten Oberschenkel ab, der blutet ordentlich und stabilisiere das Becken. Dann beatme ich zweimal, dann intubiere ich. Schaffst du das?"
,,Ja, mach."
Aus dem Rucksack holt Alex ein Tourniquet und eine Beckenschlinge.
,,Kriegst du die alleine angelegt?", frage ich.
,,Ich geb mein Bestes. Du drückst."
Langsam merke ich, wie trotz meines Adrenalinschubs meine Arme schlapp werden. Neben den vielen Verletzungen habe ich dem Mann auch noch die Knorpelverbindungen der Rippen gebrochen- immerhin geht das Drücken jetzt einfacher.
Als Alex den Endotracheltubus geblockt hat, tauschen wir.
Ich beatme zwei Mal.
Normalerweise hätten wir ein EKG geklebt  und ggf. Geschockt, aber das fehlt uns leider.
,,Traust du dir einen Zugang zu?", fragt Alex.
,,Klar."

Und noch nie in meinem Leben habe ich ich schneller einen großlumigen I.v.-Zugang gelegt- trotz grottiger Venenverhältnisse.
Ich beatme wieder zwei Mal.
,,Zieh 1 mg Supra auf."
,,Wir wissen aber gar nicht, ob's eine VT, PEA oder Asystolie ist.", sage ich.
,,Ja, ich weiß. Zieh es nur schonmal auf."
Ich ziehe Suprarenin auf und hänge eine Infusion an, die ich mir unter den Arm klemme.
Wir wechseln wieder- ich drücke, er beatmet.
Inzwischen haben auch andere Autofahrer angehalten und fragen, ob sie helfen können.
Aber außer den Thoraxkompressionen und der Beatmung, die nunmal von Alex und mir am suiffizientesten durchgeführt werden kann, gibt es nix zu tun.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen die Rettungskräfte.
Feuerwehr zum Absichern und zum Brandschutz.
Die RTW-Besatzung ist mir unbekannt, sie kommen aber auch aus Mülheim. Das NEF aber ist mit Oliver Dreier besetzt.

Ungünstig. Das wird Fragen geben.

Oliver guckt kurz komisch, sagt aber nix und übernimmt den Patienten.
,,Das wird nix mehr.", stellt er fest.
,,Komm, noch fünf Minuten. Ich drück auch.", sagt der NotSan.
Wir fragen, ob wir noch helfen können, Oliver verneint.
Alex packt das, was an Material übrig geblieben ist, wieder in den Rucksack und wir gehen zurück zum Auto.
,,Uff." Ich lasse mich auf den Sitz plumpsen.
,,Alles gut bei dir?", fragt Alex.
,,Jaja... der Einsatz war nur irgendwie.... anders.", sage ich.
Er schaut mich prüfend an.
,,Wieso?"
,,Muss ich noch drüber nachdenken."
,,Das hat echt gut geklappt.", sagt Alex.
,,Ja. Jetzt müssen wir Oliver nur was echt Gutes erzählen- und das, bevor er es verbreitet.", sage ich.

,,Lass das mal meine Sorge sein.",sagt er und legt eine Hand auf mein Bein.

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt