call it what you want

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Er schaut mich erstaunt an.

,,Ich wollt dich jetzt wirklich nicht... drängen.", sagt er plötzlich und schaut ein bisschen peinlich berührt.
Das ist meine Chance, um meine Bemerkung von eben rückgängig zu machen.

Was hab ich da eben auch nur gesagt?

,,Gut." Ich lächele gezwungen und wünsche ihm eine Gute Nacht.
,,Dann... Schlaf schön, Josi."
,,Du auch."

Er steht da so verloren im Gang, dass es mir schon weh tut.
Dann hebt er etwas unschlüssig die Hand und deutet ein Winken an.

Oh Alex...

Ich zwinge mich, in den Schlafraum zu gehen und die Tür hinter mir zu schließen.
Erstmal tief durchatmen.
Meine Kollegen schlafen schon längst, was man auch am Schnarchen feststellen kann.
Ich seufze. Das wird sicher eine lustige Nacht werden.

Trotz Ohropax bekomme ich kein Auge zu. Und das trotz unendlicher Müdigkeit.
Das Feldbett ist unbequem, mir kalt und das Schnarchen... naja. Alles Scheiße eben.
Und dazu noch Alex.
Dadurch, dass ich wach bin, muss ich zwanghaft die ganze Zeit über den Tag nachdenken.
Oder vielleicht ist auch er mit der Grund, wieso ich nicht schlafen kann.
Ich versuche herauszufinden, was ich fühle.
Bin ich freudig oder glücklich, dass er wieder da ist? Dass er mir angeboten hat, bei ihm zu schlafen... dass er mir gesagt hat, er würde es gern nochmal versuchen?
Bin ich sauer, weil er sich nicht gemeldet hat? Oder bin ich vielleicht sogar dankbar dafür?
Bin ich traurig, weil ich weiß, dass es nicht mehr so werden wird, wie es mal war?

Von allem ein bisschen.

Aber in erster Linie: überfordert.
Als ich irgendwann die ersten Vögel zwitschern höre, krieg ich leicht Panik. Ich bin seit fast 24 Stunden auf den Beinen und soll heut wieder RTW fahren...
Bis halb acht liege ich noch herum, dann steh ich wieder auf. Ziehe mir einen starken Kaffee, klatsche mir kaltes Wasser ins Gesicht und stelle dabei mit einem Blick in den Spiegel fest, dass ich noch beschissener aussehe, als ich mich fühle.
Danach statte ich den Besatzungen, die Regelrettungen fahren, einen Besuch ab.
Zusammen Kaffee trinken, frühstücken, quatschen, nochmal Kaffee trinken... es lenkt mich ein wenig von meiner Müdigkeit ab. Und von Alex.
Bis er dann um 10 Uhr quietschfidel im Raum steht. Anscheinend war er grad duschen, denn seine Haare sind noch leicht nass. Er sieht aus, als ob er mindestes acht Stunden geschlafen hätte.

Und er sieht einfach gut aus.

Auch rückwirkend kann ich kaum glaube, dass ich mal mit ihm zusammen war. Dass dieser Mann was von mir wollte.

Korrigiere. Will.

,,Und? Gut geschlafen?", fragt Alex fröhlich.
,,Aber ja.", knurre ich.
,,Sieht man dir an.", erwidert er frech und lässt sich neben mir aufs Sofa plumpsen.
,,Gleich klatscht et hier. Aber nicht Applaus.", kontere ich leise.
,,Ja, bestimmt. Dass du mir körperlich überlegen bist, musste ich ja schon eingestehen.", flüstert er. Seine Stimme trieft vor Sarkasmus.
,,Gaaaanz vorsichtig.", mahne ich.
,,Sonst...?"
Er schaut mich fordernd an. Seine Augen funkeln. Er ist mir so nah, dass ich seinen leichten Duft nach Shampoo riechen kann.

,,So, genug geflirtet. Arbeit."
Angelina steht im Raum und klatscht in die Hände.
Das erste Mal bin ich ihr für ihre unmögliche Art fast dankbar.
Keine Ahnung, was das hier sonst mit Alex geworden wär.
Dass das das Potenzial gehabt hätte, was zu werden, das bemerkt sie auch. Die Folge ist, dass ich von ihr mit Blicken getötet werde und Alex mit Blicken angeschmachtet wird.

Irgendwie unverhältnismäßig.

Tatsächlich überlebe ich Vormittag und Nachmittag ganz gut. Das Fahren am Mittag verkneife ich mir- das überlasse ich Flo. Ich halte mich nicht mehr für ganz straßenverkehrstauglich, auch wenn's sogar besser ist, als erwartet. Am frühen Nachmittag fühle ich mich sogar fast fit. Für den Abend und die Nacht bin ich in der Unfallhilfsstelle eingeteilt. Gegen 18 Uhr, als ich die Weste des Leiter UHS, Telefon und Funkgerät bekomme, gehts dann richtig bergab.
Meine Augen Tränen, ich sehe immer schlechter. Das Bild steht einfach nicht mehr gerade und scharf stellen geht irgendwie auch nicht mehr.
Wie es das Schicksal will, wird Phil, der vorher Arzt in der UHS war, durch Alex ausgetauscht. Auch wenn Angelina heftig protestiert, was ziemlich filmreif ist.
Die Besprechung danach bekomme ich nur am Rande mit, ich fühl mich ein wenig wie als Kulisse im Film. Ich bin halt da, kann selber wenig tun und werd beliebig rumgeschoben.

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt