In der KaS

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,,Ich bin Notfallsanitäterin."
,,Und du hattest einen Unfall. Willst du dich selber therapieren?"
,,Was für therapieren? Mir gehts gut. Bisschen mitgenommen vielleicht."
,,Ja. Das sehen wir ja dann gleich."
Bitte nicht. In der Klinik kennen mich alle. Das wird ein Gerede.
,,Wie soll das denn aussehen wenn wir zusammen da ankommen?"
,,Du hattest einen Unfall und ich war eben zufällig da." Er zuckt mit den Schultern.
,,Du machst es dir ja einfach." Ich lehne meinen Kopf vorsichtig an die Fensterscheibe und mache meine Augen zu. Mittlerweile tut der echt ziemlich weh und die schnell an uns vorbei ziehenden Häuser und Bäume strengen meine Augen ziemlich an.

,,Hey. Augen auf. Reden." Er dreht meine Haut am Oberarm ein.
,,Aua! Gehts noch?" Reflexartig schlage ich seine Hand weg.
,,Wunderbar. Augen bleiben auf.", sagt er bestimmt und mustert mich.
,,Und deine bleiben auf der Straße. Mir reicht ein fast Unfall für heute.", kontere ich. Zum einen das und zum anderen werde ich unter seinem Blick immer klein.
,,Genauso frech wie immer- ein gutes Zeichen.", sagt er und schaut wieder auf die Straße.
,,Erinnerst du dich noch genau, was passiert ist?", führt er seine Fragerei fort.
,,Ja... ich bin gefahren. Alles war grün. Also..." Ich versuche mich genau zu erinnern.
,,...meinte jedenfalls Franco.", führe ich den Satz fort.
,,Das heißt, Du erinnerst dich nicht mehr? Na prima." Er drückt aufs Gas und das Auto schießt los. Die Beschleunigung von seinem Auto ist auf jeden Fall besser als die von meinem. Könnte daran liegen, dass ich einen Toyota Yaris fahre und er einen 7-BMW. Also- nur so eine Vermutung.
,,Ich erinnere mich.", sage ich genervt.
,,Erzähl."
,,Da war auf einmal der RTW. Ich habe eine Vollbremsung gemacht und...." Ich versuche in meiner Erinnerung zu kramen. Der Moment fehlt mir aber.
,,Bin wohl mit meinem Kopf auf das Lenkrad geschlagen."
,,Also du hast den RTW, der mit Alarm über die relativ gut einsehbare Kreuzung ist, weder gehört vorher noch gesehen? Und dichtest dir zusammen, dass deine Kopfplatzwunde vom Lenkrad kommt. Mensch, Josephine, gib doch einfach zu, dass du dich nicht erinnerst!", sagt er lauter.
,,Doch... an den RTW erinnere ich mich.", sage ich.
,,Aber du hast den trotz Martinshorn nicht bemerkt. Was heißt das für uns?"
,,Mein Gott, vielleicht war ich abgelenkt."
,,Handy?"
,,Nein, Gott bewahre. Ich hab auf die Straße geguckt."
Er sagt erstmal nix.

,,Dann können wir davon ausgehen, dass dem Unfall was Internistisches vorausgegangen ist. Vielleicht bist du synkopiert."
,,Um Himmels Willen, jetzt bleib mal auf dem Teppich. Ich war einfach in Gedanken."
,,Das müssen dann ja schon ziemlich fordernde Themen sein, über die du nachgedacht hast.", sagt er ziemlich ironisch.
Ja, das stimmt wohl.
,,Du glaubst mir nicht?", frage ich.
Er zögert.
,,Wir klären das gleich ab. Und bis dahin will ich keinen Protest mehr hören, haben wir uns verstanden?", sagt er ziemlich bestimmt.
,,Bist du mein Vater oder was?"
,,Zum Glück nicht. Der muss damals ganz schön was mitgemacht haben...", murmelt er.
,,Bitte?"
,,Naja. Bei deiner Sturheit. Ich hab's dir schonmal gesagt: das tut dem Rest der Welt nicht gut und am allerwenigsten dir."
Ich antworte nicht, obwohl mir mehrere Antworten auf der Zunge liegen. Zum einen aber bin ich grad zu sehr damit beschäftigt, mein Sichtfeld gerade zu halten und zum anderen tut mir mittlerweile nicht nur mein Kopf weh, sondern auch mein Oberkörper und das Atmen ist ziemlich anstrengend.

Nach wenigen Minuten und mehreren Aufforderungen, meine Augen offen zu halten sowie Schmerzreizen (ich habe meine Augen nur zu gemacht, weil es angenehmer war), fahren wir an der KaS vor.
,,Wir sind da. Du steigst nicht aus, bevor ich an deiner Tür bin."
,,Weil?", frage ich genervt.
,,Weil du hier jetzt nicht auch noch synkopieren musst."

Den Weg zum und durch den Haupteingang versuche ich alleine zu meistern, es ist schon so peinlich genug. Auch wenn ich bemerke, dass Alex ziemlich nah seitlich von mir läuft und seine Hand eigentlich die ganze Zeit in meinem Rücken liegt.
,,Wie war das mit hat Beine kann laufen? Ich hab Beine also lass mich laufen.", sage ich sarkastisch.
,,Das ist situationsabhängig korrekt."
,,Ich kann laufen, danke dir."
,,Sei froh, dass ich in Zivil bin und heute kein NEF fahre. Hätte Franco mich nachgefordert, hätte ich dich komplett immobilisiert.", schimpft er und drückt den Knopf für den Aufzug.
,,Da hätte ich ja auch noch was mitzureden gehabt."
,,Ich hätte dich sediert. Oder du wärst schon vorher beim Zugang legen kollabiert. Also nix mit mitreden." Grinst er?
,,Am Arsch."
,,Aber die Wahrheit."

Wie es der Zufall will, sind in unserem gerade Linda und Frederik Seehauser.
,,Ach du scheiße, was ist denn mit dir passiert?", fragt Linda schockiert.
,,Kleiner Unfall. Alles gut."
,,Ja, das mit dem Alles gut sehen wir ja gleich.", sagt Alex.
Frederick guckt Alex und mich etwas komisch an.
,,War'n Zufall. Er fuhr grad vorbei.", sage ich schnell.
,,Bitte?", fragt er verwirrt.
Ach so. War wohl doch nicht die Antwort auf seinen Gedanke.
Der Aufzug hält in der dritten Etage und Alex bedeutet mir auszusteigen.
,,Sag mir gleich, wie es dir geht, Ja?", sagt Linda und drückt meine Hand.
,,Klar." Ich lächele. Selbst das tut weh.
Wie es der Zufall will, kommt uns auf dem Weg gefühlt das ganze Personal entgegen. Jedes Mal erkläre ich die Situation, bis Alex mich irgendwann ungeduldig weiter zieht.

,,Lässt du einen Notfallpatient noch Kaffeekranz mit den Angehörigen halten?", fragt er entnervt, als wir vor dem Untersuchungsraum neben seinem
Büro stehen.
,,Nein. Aber ich bin ja kein Notfallpatient. Ich laufe ja noch."
,,Ja, das wundert mich auch. Aber normalerweise hätte ich dich mit Gelbalarm in die Klinik gefahren."
Er schließt den Raum auf.
Verwundert schaue ich auf den Schlüssel.
,,Meiner.", antwortet er.

Der Chef hat private Räumlichkeiten. Soso.
Man sieht schnell, dass hier mehr Geld reininvestiert wurde als in den Rest. Alles sieht moderner aus, es ist viel mehr Platz.
,,Für die Privatpatienten, hm?" Ich kann mir den Kommentar nicht verkneifen.
Er zuckt mit den Schultern.
,,Ja. Hat der Direktor so machen lassen."
,,Bin leider Kassenpatient."

Ich sehe, wie er seine Kiefermuskeln anspannt.
,,Hinlegen. Jetzt.", zischt er.
Der Anweisung leiste ich dann doch lieber Folge.
,,So, ich bitte dich jetzt einmal freundlich, das kommentarlos über dich ergehen zu lassen. Ich zieh das so oder so durch."
Ich nicke. Jetzt, wo ich liege, spüre ich das ganze Ausmaß des Beinahe- Unfalls eben.

,,Mit der Atmung geht gut?", fragt er und macht mir die Pulsoximetrie des EKGs an den Finger.
,,Ja."
,,Du atmest aber ziemlich flach. Schmerzen?"
,,Bisschen."
,,Wo?"
Es hat keinen Sinn, zu lügen. Er merkt eh alles. Und wenn das heißt, dass das hier schneller vorbeigeht und ich nach Hause komme, macht das wohl Sinn.
,,Kopf, Thorax."
Er testet die Stabilität meines Brustkorbes tastet insbesondere meine Rippen und Sternum ab. Ich halte die Luft an. Das tut sauweh.
,,Seat- belt Sign hast du. Nicht gut. War wohl eine heftige Bremsung."
,,Hab ich?", frage Ich überrascht.
,,Ja, ziemlich deutlich. Ich würd das gern abklären." Er sieht wirklich besorgt aus.
,,Ok."
,,Schmerzen im Becken oder Bauchbereich? Oberschenkel?"
Nach und nach prüft er alle großen Blutungsräume, und schaut sich meine Kopfplatzwunde näher an.
,,Die muss nicht genäht werden, ist nicht groß. Du erinnerst dich immer noch nicht?"
Ich schüttele leicht den Kopf.
,,Retrograde Amnesie. Du weißt, was das bedeutet.
,,Ja.", bringe ich noch heraus.
Ich fühl mich echt ziemlich scheiße, jetzt, wo das Adrenalin komplett weg ist.
Er beäugt mich kritisch.
,,Du gefällst mir nicht."
,,Danke für das Kompliment." Ich lächele müde.
,,Ne ehrlich. Du protestierst nicht mehr sondern kooperierst. Das ist wie mit Kindern: erst wenn sie nicht mehr schreien, muss man sich Sorgen machen."
,,Hm."
,,Das heißt, dass ich neben der normalen Traumauntersuchung gerne einen ganzen Check machen würde."
,,Wie du meinst."

Er misst meinen Blutdruck, Puls, Blutzucker (ich kollabiere fast) und klebt ein 12- Kanal EKG. Ich bin immer noch damit beschäftigt, dass die Wände für mich in diesem Raum gerade stehen bleiben und sich nicht drehen.
,,Ich würd sagen: Du hast hier ein Zimmer für heute Nacht gebucht."
,,Bitte?"
,,Wahrscheinlich Gehirnerschütterung, unklare Thoraxverletzung, Druck von 170/100, Sinustachykardie von 130, Ventrikuläre Extrasystolen. Du bleibst hier."
,,Aber... die Werte können ja auch einfach durch den Stress sein, durch das eben.",sage ich.
,,Selbst wenn- du solltest beobachtet werden."

Ich will absolut nicht hierbleiben. Das letzte Mal, als ich im Krankenhaus ein Zimmer hatte... war ich vorher klinisch tot. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens.

,,Nein, Alex ich will nicht. Sonst entlasse ich mich selber.", sage ich und versuche die Verzweifelung in meiner Stimme zu verbergen.
,,Das kannst du nicht machen. Josi, du bist selber in dem Bereich tätig, du solltest wissen, dass das falsch ist."
,,Ich weiß. Aber ich will nicht. Und ich unterschreibe und gehe."
Er seufzt.
,,Okay, aber unter ein paar Bedingungen."

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt