Weiter geht's

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Den ganzen Abend lang sitze ich am Küchentisch und warte zusammen mit meinem Glas Wein auf die Rückkehr von Alex. 11 Uhr, 12 Uhr, 1 Uhr... nichts passiert. Um zwei beschließe ich, dass ich jetzt mal schlafen sollte, denn morgen, naja heute ist um 6.30 Schichtwechsel. Ein bisschen sauer bin ich schon, denn ich habe den ganzen Abend damit verbracht mir die Worte zurecht zu legen.

Um 5.30 klingelt mein Wecker und ich überlege wie auch sonst immer, den Job hinzuschmeißen. Nachdem ich fünf Mal die Schlummerntaste gestellt habe, rolle ich mich doch aus dem Bett. Zähne putzen, Haare kämmen, schminken. Tatsächlich habe ich gar keine Lust mich zu Schminken, wobei ich dazu stehe, dass ich mich ohne ein leichtes Make - Up (Concealer, Wimperntusche, Augenbrauen, Rouge) nicht so besonders wohl fühle in meiner Haut. Klar, kann man alles machen, aber es ist vergleichbar mit dem Moment, in dem ich meine Einsatzkleidung anziehe: Ich werde selbstbewusster.

Kurz, bevor ich mich auf den Weg mache, horche ich an Alex' Tür. Alles still. Ich öffne sie einen Spalt breit. Das Bett scheint leer. Ist der immer noch am arbeiten??? Naja, wenn's ihn erfüllt. Ich zucke innerlich mit den Schultern.

Es ist ja nicht so, als ob ich schon länger in dem Laden arbeite, aber trotzdem ärgere ich mich jeden Morgen aufs Neue, dass ich zu spät losgefahren bin und keinen Parkplatz mehr kriege und so parke ich frech in der zweiten Reihe neben Marions Auto, weil ich weiß, dass sie auch Tagschicht hat und somit nicht vor mir wegfahren wird.

Heute fahre ich mit Florian Wehr, ein Kollege, den ich sehr schätze. Mit ihm ist's eigentlich immer lustig und er weiß immer wie es einem gerade geht. Klar, Empathie ist etwas, das nach ein paar Jahren Rettungsdienst flöten geht, aber ihn hat's irgendwie davon verschont.
Und noch ein Vorteil: Er weiß alles. Über jeden.

Während wir das Auto checken, nutze ich die Chance. Er prüft gerade die Ablaufdaten der Medikamente und ich checke den Füllstand der Sauerstoffflaschen. ,,Hey du." Ich versuche möglichst normal zu klingen und genau das gelingt mir nicht. Er dreht sich zu mir um und zieht eine Augenbraue hoch.
,,Wie kann man helfen, Madame?"
,,Also hast du auch schon diesen neuen Notarzt kennen gelernt?"
Ich versuche den Satz möglichst neutral zu formulieren.
,,Öh. Ja da gibts einen Neuen. Meine ich. Kein Plan wie der heißt. Wieso? Findest du ihn heiß? Heißer als mich?" Er fängt an mich zu kitzeln.
,,Quatsch. Nein nein nein Stopp. Du bist der heißeste Typ den ich kenne.", bringe ich unter Gelächter heraus.
,,Ich hoffe doch. Jetzt sag." Er lässt mich los. ,,Hetkamp heißt er glaube ich.", sage ich.
,,Oh." Er hält inne.
,,Was?"
,,Naja. Das wusste ich nicht."
,,Was wusstest du nicht?"
,,Hetkamp... so heißt doch der neue Chefarzt der KaS. Der ist irgendwie auch... Bereichsleiter Rettungsdienst, LNA, alles irgendwie. Der??? Hups."
,,Bist du dir sicher?"
,,Ja, jetzt erinnere ich mich auch wieder. An seiner Jacke konnt ich kurz den Namen lesen im Einsatz. Und ich war verdammt unfreundlich zu ihm. Weil er der SHT und Wirbeltraumatisierten Patientin keinen Stifneck anlegen wollte."
,,Wo ist das Problem?" Ich schiebe die kleine Ersatzflasche zurück ins Fach.
,,Ähm... Wirbelsäulentrauma?"
,,Und was ist mit dem SHT? Hattest du eine Vakuummatratze. Ja oder? Also- wo ist das Problem?"
,,Grmpf."
Schweigen. Ich checke das EKG und das Beatmungsgerät und er geht die Schränke durch.
,,Und was willst du jetzt mit dem?", fragt Florian.
,,Ach, nix.", antworte ich in Gedanken versunken.

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt