ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden

Stress

,,Wunderschönen Guten Tag zusammen.
Für die, die mich noch nicht kennen: Alexander Hetkamp mein Name. Ich werde wohl für einige Zeit ihr Ansprechpartner neben dem Wachleiter sein.
Willkommen zur Fortbildung Thema Traumaversorgung nach EVM. Heute..."

Ich schalte ab. Für einige Zeit? Das heißt, er geht wieder? Naja. Kann mir ja egal sein.

Ist es aber nicht.

Ich seufze. Dieser Mann macht mich fertig.
,,Hey Josi. Du bist dran.", wispert Flo.
,,Hm?"
,,Stellen Sie sich doch bitte vor.", sagt Alex und schaut mich etwas belustigt an.
Du kennst mich doch.
,,Josephine Hofman, Notfallsanitäterin."
,,Freut mich, dass Sie heute hier sind."
Ich nicke.
,,Zum Ablauf: Wir gehen gleich nochmal die Leitlinien der Traumaversorgung durch- dann teile ich Sie in Teams auf. In diesen Teams werden Sie verschiedene Szenarien abarbeiten.
Wir wechseln durch. Jeder ist mal Mime."

Zustimmendes Gemurmel. Nur ich würde gerne einfach meinen Kopf auf den Tisch legen und schlafen.
Alex teilt mich mit Franco ein, mit dem Kommentar:
,,Routine ist tödlich im Rettungsdienst.", als er bemerkt, wie Flo und ich uns leidige Blicke zuwerfen.

Bei den restlichen Einteilungen schalte ich schon wieder ab- das einzige, was mich grad noch hier hält, sind die Fortbildungsstunden, die ich dringend brauche.
,,Josephine und Franco? Sie dürfen beginnen."
Obwohl er sehr professionell und kühl klingt, muss ich auch noch der Aufforderung noch etwas darüber nachdenken, wie er meinen Namen ausgesprochen hat.
Herrgott, Josi, reiß dich zusammen.

Franco und ich bekommen den Schlüssel zum RTW und sollen vom Hof fahren. Franco fährt- ist mir auch lieber. Ich wär mir grad nicht sicher, ob ich nicht eine Laterne umfahre.
Während wir immer wieder um den Block fahren, kommt irgendwann über Funk von Alex unsere Einsatzaufforderung.
,,1- RTW-4 von Leitstelle Köln, kommen."
,,Kommen Sie."
,,Sie sind in Status 1. Frage Standort?
Ich schaue verwirrt zu Franco. Was soll der Zirkus?
,,Standort Rettungswache 1 Köln-Mitte."
,,Sie übernehmen Einsatz. Verkehrsunfall PKW gegen Fußgänger, eine Verletzte Person."
Er nennt die Adresse unserer Rettungswache.
,,Verstanden. Sonderrechte frei?", frage ich und muss etwas lachen. Franco grinst breit.
Kurze Stille im Funk.
,,Negativ. Ende."

,,Dann kann's ja nicht so schlimm sein.", sagt Franco und lässt den RTW gemütlich auf eine Ampel zurollen, die zwar orange wird, aber die wir noch locker geschafft hätten.
Ich verkneife mir ein Lachen.
,,Was? Ich gefährde doch nicht unser Leben, indem ich noch über die Kreuzung baller."

Ein paar Minuten später rollt Franco auf den Hof. Das Szenario: Einer unserer KTWs steht mit Warnblinker dort, vor der Motorhaube liegt Jacky.
,,Drück ich uns jetzt in die 4?", fragt Franco ironisch während er uns wieder in die 2 drückt.
Ich steige aus und schultere den Rucksack, während Franco den Rest nimmt.
,,Das war ja eine lange Anfahrt.", sagt Alex etwas vorwurfsvoll.
,,Ohne Alarm kann's schonmal was dauern.", antwortete ich und wende mich Jacky zu.

Wie wir nach kurzer Zeit feststellen, ist ihr größtes Problem ihre zerrissene Kleidung. Ein paar Schürfwunden, ein paar Hämatome. Ansonsten können wir nix feststellen.
Dem Autofahrer hingegen, der von Manfred gespielt wird, scheint es immer schlechter zu gehen. Während er am Anfang total Panik geschoben hat, wird er immer ruhiger, sodass unsere Aufmerksamkeit auf ihn fällt.
Letztendlich wird er unserer eigentlicher Notfallpatient, weil er aufgrund von Herzrhythmusstörungen wahrscheinlich synkopiert ist.
Was auch immer das mit Trauma zu tun hat.

Danach wird unser Einsatz nachgesprochen. Alle haben viel positives Feedback. Dann fängt Alex an. Er nennt es konstruktive Kritik. Ich schalte ab.
Dann schickt er das nächste Team raus.
,,Frau Hofmann? Sie sind die nächste Mime."
Er winkt mich zu sich.
,,Sie sind von der Leiter gefallen, als Sie eine Glühbirne drinnen wechseln wollten. Sie kriegen nicht so gut Luft und haben Schmerzen thorakal linksseitig. Becken schmerzt. Kribbeln in den Beinen. Sie sind etwas eingetrübt aber orientiert."
Er spricht leise, damit das nicht alle hören und selber überlegen müssen. Wieso dann kein ,,Du"?, schießt es mit durch den Kopf.
Ich stehe ihm so nah, dass ich sein Aftershave riechen kann.
Mein Herz pocht mir bis zum Hals und ich habe das Gefühl, dass ich erst wieder atmen kann, als er sich wieder umdreht um zu gehen.

Vor den Toiletten steht die Leiter. Ich lege mich etwas verkrümmt hin und Marion will die Leiter über mich legen.
,,Halt." Alex kommt mit einem silbernen Koffer an.
,,Wir müssen noch Hämatome Schminken." Er kniet sich neben mich.
Mit einem Schwämmchen tupft er mir rote und blaue Farbe auf meinen linke Schulter. Ich bemühe mich, ihn dabei nicht zu auffällig zu beobachten und versuche die Gänsehaut auf meinen Armen zu verbergen.

,,Am Brustkorb solltest du das vielleicht selber machen.", sagt er leise und berührt mich am Arm. Zu meiner Gänsehaut fängt jetzt noch mein Herz an, wie verrückt zu pochen. Ich versuche es zu ignorieren und Schminke mir meine linke thoraxseite blau- rot.

,,Noch Fragen?"
,,Verschlechtert sich mein Zustand?"
,,Nein. Stabil. Das Hauptaugenmerk soll auf der Traumaversorgung liegen."
Er erhebt sich und funkt das RTW Team an.

Meine Aufgabe ist sowohl einfach als auch chillig. Einfach rumliegen und nichts tun. Außer natürlich an den entsprechenden Stellen etwas jammern. Z.b. Beim Bodycheck. Nur dass Alex' Blick die ganze Zeit natürlich auf mir liegt, lässt mich etwas nervös werden.
Marion hält meinen Kopf. Dass sie ihre Hände dabei sehr nah an meinem Hals hat, gefällt mir gar nicht und ich muss unwillkürlich meine Muskulatur dort anspannen.
Wieso hab ich daran eigentlich nicht gedacht vorher?
Flo klebt mir ein EKG und macht die Blutdruckmannschette von der automatischen Blutdruckmessung an meinen Oberarm, während Yannik die weitere Immobilisation vorbereitet und mir einen Stifneck anpasst. Auch wenn dieser nicht direkt am Hals anliegt, ich würde ihn trotzdem am liebsten runterreißen. Yannik zieht den Stifneck auch noch nach, was zwar richtig ist, dafür hab ich aber grad keinen Kopf.
Das EKG piept- ziemlich schnell.
,,Druck...160/100 und Frequenz bei 110.", teilt Flo dem Team mit und schaut mich etwas verwirrt an. Auch Alex mustert das EKG interessiert.
Ich würde am liebsten aus dem Raum rennen.
,,Bitte einmal still halten und nicht sprechen."
Flo macht einen Ausdruck.

,,Guten Tag, Hetkamp mein Name, ich bin der Notarzt. Was haben wir denn?"

Gott ne. Ne. Flo macht eine Übergabe und Alex nimmt ihm den EKG Ausdruck ab und schaut ihn sich an. Währenddessen modellieren Marion und Yannik die Vakuummatratze an mir an.

,,Gut, das reicht mir. Abbruch. Sehr schöne Übergabe, Herr Wehr."
Ich bin Alex sehr dankbar, dass er das abbricht. Obwohl die Übung noch nicht abgeschlossen war.
Schnell löse ich den Stifneck von mir.
,,5 Minuten Pause.", verkündet Alex.
Flo kommt auf mich zu.
,,Was war denn los?", fragt er und Marion schaut mich fragend an.
,,Ähm sorry Leute... muss auf Klo.", entschuldige ich mich und versuche den Raum nicht allzu fluchtartig zu verlassen.

Auf dem Flur atme ich tief durch. Scheiße, war das anstrengend.
,,Frau Hofman, warten Sie mal kurz.", höre ich es hinter mir.