Lauf nur weg, deine Vergangeheit läuft hinterher.

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Irgendwann wache ich auf. Ich brauche einen Moment um zu sortieren, wo ich bin.
Ach ja, Balkon.
Kalt ist es. Mittlerweile weht ein frischer Wind. Ich genieße noch einen Moment die Lichter.
Köln schläft nie und ich liebe es. Kann man eine Stadt lieben wie eine Person? Ich glaube nicht. Aber man kann Liebe auch in anderer Form empfinden. Vielleicht ist Köln ja ein unterbewusst ein Ersatz für meine seit Jahren fehlende Beziehung.
Gut, Josi, du bist es selbst schuld. Du hättest Chancen gehabt. Und du hast sie alle absichtlich in den Sand gesetzt.

Ich schnappe mir meinen Mac und den restlichen Kram vom Essen und tapse rein. Mein Kopf dröhnt wieder. Na herzlichen Dank. Ich schaue auf die Uhr, die über meiner Spüle hängt. 2:40 Uhr. Kein Wunder, Wirkzeit ist vorbei. Ich seufze und krame in einer Küchenschublade Ibuprofen raus. Aber Ibus auf Metamizol? Ich überlege kurz, soweit das mein Kopf zulässt und schmeiß sie zurück in die Schublade.
Ach- da war ja was. Ich packe die Salbe aus, die Alex mir mitgebracht hat. 30 Min Einwirkzeit. Am Arsch. Ich will weiterschlafen.

Auf den Boden im Flur fällt ein schmaler Lichtstrahl. Ich schleiche zu seiner Zimmertür. Ich höre das gleichmäßige Klackern einer Tastatur. Wtf? Als ob der noch arbeitet.
Das schätze ich an meinem Job. Bist du Zuhaus, hast du frei. Weil arbeiten kannst du außerhalb vom Dienst nicht, so sehr du es auch wolltest.

Eine Lösung muss her. Weil ich würd gern schlafen, weiß aber genau, dass das mit meinen Schmerzen nicht möglich ist. Wo hat Lena nochmal die Kirschkernsäckchen hingetan? Ich schaue mich in der Küche um. Ach ja, genau.
In gefühlt 3 Metern Höhe, wo niemand außer ihr dran kommt, weil sie eine verdammte Modelgröße hat und ich dagegen mit meinen 1.65 ein Gartenzwerg bin.

Ich greife nach einem Barhocker und klettere vorsichtig darauf.
,,Das lassen wir doch mal lieber sein.", ertönt es hinter mir. Vor Schreck schreie ich auf und falle. Aber ich sterbe mal wieder nur fast, weil ein jemand mal wieder dafür sorgt, dass ich es nicht tue, in dem er blitzartig an meine Taille greift und mich festhält. Gott hat der Reflexe.
,,So. Runterkommen. Wir hatten gestern schon eine Patientin mit Wirbelsäulentrauma." Seiner Stimme nach lässt er keinen Widerstand zu.
,,Entweder kommen Sie jetzt freiwillig darunter oder ich pflück Sie darunter. Ehrlich. Ich hab heut genug Patienten gehabt.", wiederholt er sich.
,,Jaaaa.... Moment." Ich greife nach dem Kirschkernsäckchen. Fast habe ich es in der Hand, da packt er mich und holt mich vom Hocker runter.
,,Eyyyy!", protestiere ich.
,,Ich hab Sie gewarnt." Er stellt mich wieder auf meine Füße und zwar so, dass ich nur circa 20 cm von ihm entfernt bin. Er schaut mir in die Augen.
,,Wieso turnen wir um halb drei noch hier rum?", fragt er. Diesmal schau ich nicht weg.
,,Weil ich was runterholen wollte."
,,Wieso fragen Sie nicht mich?"
,,Ähm. Weil ich keine körperliche Einschränkung habe und eine emanzipierte Frau bin, die auch alleine Probleme lösen kann. Übrigens, kaum zu glauben, aber ich überlebe schon seit mehreren Jahren diese Kletterei.",sage ich selbstbewusster als ich mich fühle.
,,Pas tant d'insolence, Mademoiselle."
{Nicht so frech.}
sagt er ganz leise, es ist fast nur ein Flüstern.
,,Jederzeit wieder.", antworte ich genauso leise.
Ich sehe wie sich sein Adamsapfel bewegt und wie sich seine Kiefermuskulatur bewegt. Oh oh. Bin ich zu weit gegangen?

,,Was brauchen Sie denn?", fragt er schließlich.
,,Das Kirschkernsäckchen, bitte."
,,Nacken und Kopf?"
,,Hm. Der Trip war zeitlich begrenzt."
,,Wieso nicht die Salbe?"
,,Weil die 30 Minuten Einwirkzeit hat. Und weil die dann überall klebt. Und..."
,,Und was...?"
Ich räuspere ich.
,,Weil mir wohl der Freund fehlt, der mich damit massiert."
,,Tragisch."
Lacht er mich innerlich aus? Ich versuche etwas zu erkennen. Aber sein Gesicht ist unergründlich.
Er greift nach dem Kirschkernsäckchen und legt es in die Mikrowelle.
Dann geht er wieder in sein Zimmer und ich setze mich auf den Barhocker und lege meinen Kopf auf den Tresen.

,,Machen Sie Ihre Haare zusammen und hoch."
Ich schrecke wieder zusammen. Er legt mir eine Haarklammer hin.
,,Hm?"
,,Ich habe gehört, dass das wohl auch noch eine ärztliche Leistung ist. Und da haben Sie Glück, dass ich grad da bin."
War das grad Ironie? Also nicht die Aussage selber. Aber war da grad Sarkasmus in seiner Stimme? Sowas kann er? Ich denke kurz darüber nach.
,,Danke, aber ich denke, ich werde schlafen gehen."
,,Das können Sie vergessen.", sagt er nüchtern.
,,Inwiefern?"
,,Glauben Sie wirklich, dass Sie damit einschlafen können, wenn Sie davon aufgewacht sind?"
Ich seufze. Meine Kopfschmerzen bringen mich um.
,,Hab ich eine Wahl?"
,,Absolut nicht. Und dieses Angebot werden Sie nie wieder um 2.45 Nachts erhalten, da können Sie sich sicher sein."
Wo er Recht hat.

,,Ich nehme an, das ist ein Zugeständnis? Wunderbar. Aber nicht hier. Sie fallen sonst im Sitzen vom Hocker, so müde sind Sie."
,,Wohin?"
,,Sofa."
,,Das gute Sofa."
,,Ich pass schon auf."
,,Wie soll ich mich hinsetzen/ -legen?"
,,Wie es bequem ist, Hauptsache der Rücken und Nacken sind frei."
Ach verdammt. Das würde heißen, dass ich mich ausziehen muss.
Er steht auf und kommt kurz darauf mit Handtuch wieder.
,,Ich leg Ihnen das drüber."
Gedankenleser.
Zögerlich ziehe ich mein T-Shirt aus.
Er scheint extra wegzugucken, was es für mich angenehmer macht.
Will ich das? Werde ich das aushalten? Josie, reiß dich zusammen. Du kannst nicht, nur weil dich ein Typ woanders als an der Hand berührt, in Panik verfallen. Ich hole tief Luft und setze mich quer aufs Sofa, sodass ich mit meiner rechten Seite an die Lehne angelehnt bin. Er reicht mir das Handtuch und ich Schlinge es um den vorderen Teil meines Brustkorbs.
,,So." Er fasst ganz leicht meine Schultern an. Ich bekomme Gänsehaut. ,,Locker lassen. Sonst bringt das nichts."
Ich bemühe mich. Er wärmt seine Hände durch Reiben auf und beginnt am mittleren Rücken. Die Creme riecht nicht wunderbar, aber dafür fühlt es sich wunderbar an, wie ich nach einiger Zeit feststelle. Er weiß was er tut.
Am Anfang bin ich noch ziemlich angespannt, verfolge jede Bewegung, Berührung. Doch ganz langsam fallen mir die Augen zu. Irgendwann jedoch merke ich, wie seine Hände zu meinem Nacken wandern. Immer weiter nach oben. Halswirbelsäule.... Mein Puls schießt in die Höhe. Ich versuche es zu unterdrücken. Es geht nicht.
,,Stopp!", sage ich und zucke weg.
,,Was ist?", fragt er und klingt etwas verwundert.
,,Nichts, es ist wunderbar.... nur bitte nicht in der Nähe von meinem Hals.", sage ich leise.
,,Können Sie das nicht leiden?", fragt er genauso leise.
,,Nein. Noch weniger als Nadeln.", antworte ich.
Schweigen.
,,Was ist mit Ihrem Hals?"
,,Ich mag's nicht.", antworte ich kurz angebunden.
Er berührt mich am Schulterblatt.
,,Hat es mit der Narbe zu tun?" Seine Stimme klingt auf einmal ganz ungewohnt. Sanft.
Reflexartig fasse ich daran.
Nein, ich will darüber nicht reden.
Er kann nichts dafür.

,,Danke für Ihre Bemühung. Gute Nacht. Auch Sie sollten schlafen." Ich drehe mich zu ihm um. Er wirkt... niedergeschlagen? Kann das?
,,Wenn Sie das Handtuch unter ihren Rücken legen, dann können Sie sich direkt hinlegen. Nur das Handtuch morgen waschen.",bemerkt er tonlos. Er steht auf und holt das Kirschkernsäckchen aus der Mikrowelle und reicht es mir.
,,Ist noch was warm- legen Sie es sich in den Nacken."
,,Danke. Für alles."

,,Gute Nacht, Josephine."

,,Gute Nacht, Alex."

Er kann wirklich nichts dafür.

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Ihr Lieben,
Was glaubt ihr ist Josies Problem? Und was haltet ihr von Alex' plötzlicher Wandlung? Glaubt ihr, das ist von Dauer?

Das wars jetzt erstmal an Kapiteln. In den nächsten Tagen gehts weiter!

❤️

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt