all along there was some invisible string

4.4K 167 10
                                    

Die ersten Sonnenstrahlen des Morgens kitzeln in meiner Nase. Erst wälze ich mich ein paar Mal hin und her- dann gebe ich meinen Heiligen Schlaf auf und öffne die Augen.
Ich finde mich zwischen flauschigen, weißen Decken und Kissen in einem King Size Hotel Bett.
Allerdings allein.
Alex steht, wie ich kurz darauf feststelle- nur mit einem Handtuch um die Hüften und einer Kaffeetasse in der Hand am Fenster- und ist wahrscheinlich schuld an meinem Aufwachen, da er die Vorhänge aufgezogen hat.
Seine Haare sind nass, auf seinem Rücken glitzern noch Wassertropfen. Ich kann meinen Blick mal wieder kaum abwenden.
Ich versuche mich aus den Bettlaken zu entwirren und mich aufzusetzen.
Er dreht sich um und strahlt mich an.
,,Guten Morgen, Schatz." Er setzt sich zu mir auf die Bettkante.
Ich greife nach seinem Kaffee. Er grinst.
,,Mach dir selbst einen."
,,Wieso? Hab doch jetzt einen.", antworte ich frech und nehme einen Schluck.
Er seufzt, steht auf und lässt einen neuen durch die Maschine laufen.

Die nächsten Wochen fühle ich mich wie in einem Traum. Mit Alex läuft es, wie ich mir es niemals auch nur erhofft habe. Wir verstehen uns super, haben wunderschöne gemeinsame Stunden und Momente. Der Job macht mir richtig Spaß und ich freue mich auf jede Schicht.
Neben all den Hochgefühlen jedoch mischt sich von Tag zu Tag immer mehr ein unangenehmes, wenig zu definierendes Gefühl ein. Es fühlt sich an wie letztes Jahr. Als auch alles genauso toll war und dann... dann kam der große Absturz.
Anscheinend merkt auch Alex, dass ich mich sorge.

Als wir nach einem Tagdienst abends auf der Couch auf dem Balkon setzen und er mich im Arm hält, fragt er mich.
,,Was ist los?"
Ich zucke mit den Schultern.
,,Ich weiß es nicht."
,,Was fühlst du denn? Bist du nicht glücklich?"
Er streicht mir über meine Haare.
,,Doch... aber irgendwie..."
,,Kannst du dich nicht richtig fallen lassen?", vollendet er meinen Gedanken, den ich nicht formulieren konnte.
,,Ja, danke, das meine ich."
Endlich habe sogar ich das Gefühl, dass ich selbst verstehe, was ich eigentlich die ganze Zeit fühle.

Der Mann versteht mich besser als ich mich.

,,Wovor hast du Angst?" Er schaut mir in die Augen.
Sie erscheinen mir so grundauf... ehrlich.
Doch ich komme mir komisch vor, das zu sagen, woran ich denke. Es kommt mir so kindisch vor.

,,Josi... ich habe gelernt. Es war zwar mit Schmerzen für uns beide verbunden, aber... ich gehe nicht wieder. Außer du bittest mich drum.", sagt er leise.

Wieder spricht er mir aus der Seele.

Ich schaue ihm in die Augen. Ich glaube ihm. Aber es wird wohl Zeit brauchen, bis das auch in meinem Unterbewusstsein ist.

,,Josi, ich habe mir gedacht... also ich würde gerne langsam dann doch einen festen Wohnsitz haben."
,,Im Moment obdachlos, Ja?"
,,Ich krieg ja Asyl bei dir.", sagt er und ich kann an seiner Stimme hören, dass er lächelt.
,,So fahren Sie fort.", fordere ich ihn auf.
,, Also... ich hab da etwas Schönes gesehen. Ein Haus. In Köln Dellbrück. Ich habe mich gefragt, ob du... ob du es mit mir besichtigen würdest?", fragt er vorsichtig.
Ich habe einen Kloß im Hals und kann nichts sagen.
,,Ich möchte dir keinen Druck machen, auf gar keinen Fall! Ich hätte nur gerne eine zweite Meinung. Eine Meinung, die mir wichtig ist.", setzt er schnell hinterher.
Ich räuspere mich.
,,Nein, Alex, sehr gerne. Ich fühle mich geehrt.", antworte ich.
,,Das freut mich. Ich kann dir schonmal Bilder zeigen."
Er klappt das MacBook auf, das auf dem Tischchen steht.
Die folgenden Minuten und Stunden diskutiere ich mit ihm über die Details des Hauses, die Lage und Anbindung- bis die Sonne untergeht.

In der Woche darauf haben wir schon einen Termin bei der Maklerin. Als wir durch Dellbrück fahren, werden Erinnerungen wach- aus meiner Kindheit. Wunderschöne. Alex kann nur noch lachen, als ich zum 27. Mal auf irgendeine Straßenecke oder einen Laden zeigen und dazu hektisch irgendwas erzähle und mich dabei fast sprachlich überschlage, weil ich mich schon wieder an was Neues erinnere.
Das Haus, vor dem wir schließlich halten, sieht ein wenig anders aus als im Internet- kommt mir aber auf einmal total bekannt vor.
,,Was ist los, Schatz?", fragt er und nimmt meine Hand. Dass ich wohl plötzlich still geworden bin, alarmiert ihn.
Ich bin einfach nur sprachlos.
,,Nichts... ich... wenn ich als Kind zur Grundschule gegangen bin und hier vorbeikam... ich fand das Haus immer so wunderschön von Außen... ich..." Ich glaube ich werde rot.
,,Erzähl." Er lächelt und drückt meine Hand.
,,Ich hab mir immer ausgemalt, wie es wäre, hier zu wohnen, wenn ich eines Tages dann groß wäre."
Meine Wangen erhitzen sich.

,,Dann kannst du es dir jetzt ja von Innen anschauen und dir das fertig ausmalen.", sagt er und fordert mich auf, auszusteigen. Ein langer Kiesweg führt zur weißen Flügeltür mit Schnörkeln aus Eisen, die die Haustür darstellt.
Die Maklerin öffnet uns und begrüßt uns freundlich. Sie ist mir auf Anhieb sympathisch.
Der Wohnraum erstreckt sich über drei Etagen- hat aber keinen Keller. Ganz nach meinem Geschmack- Keller ist meine Horrorvorstellung schlechthin. Außerdem scheint es frisch renoviert. Im Wohnzimmer gibt es einen offenen Kamin, die Küche ist riesig und das Schlafzimmer hat einen Erker. Ich komme aus dem schwärmen gar nicht mehr raus. Als wir in den Garten kommen, ist es um mich geschehen.
,,Die vorherigen Eigentümer waren sehr tierverbunden."
Sie zeigt auf einen großen Teich, in dem Fische und Enten schwimmen. Der Garten ist riesig. Er wird am südlichen Ende begrenzt durch einen Bach, an dem einige Apfelbäume und Kirschbäume stehen. Und hinter den Apfelbäumen und dem Bach erkenne ich eine Art... Stall mit nochmal einem riesigen Stück Wiese.
,,Wie ich sagte- tierverbunden. Hier standen zwei Pferde. Der lässt sich aber natürlich entfernen." Die Maklerin lacht.
,,Auf gar keinen Fall!", rutscht es mir heraus.
Alex muss wieder grinsen- wie er es in den letzten Minuten eigentlich unentwegt tut.
Nach der Führung bietet die Maklerin und Kaffee an und lässt uns ein paar Minuten alleine.
,,Und- was sagst du?", fragt Alex.
,,Ich..." Ich versuche nicht allzu euphorisch zu klingen- immerhin ist es Alex Entscheidung und ich will gar nicht wissen, wie teuer diese Entscheidung sein könnte.
,,Och komm schon, Josi. Ich hab dich doch gesehen."
,,Es ist ein Traum.", hauche ich.
,,Da haben wir es doch." Er lächelt und trinkt seinen Kaffee.

Die Maklerin kommt zu uns und reicht uns noch alle weiteren Unterlagen und fragt uns nach unserem Eindruck.
Alex schaut mich liebevoll an.

,,Ich denke... ich habe mich entschieden."

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt