Afterglow

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Nachdem mir mein Herz nun schon in die Hose gerutscht ist, bleibt es jetzt auch noch stehen.
Kurz: ich gebe gleich den Löffel ab.

Vor mir steht Alex.

In voller Pracht. Live und ... eher ohne Farbe.

Obwohl es relativ dunkel ist, erkenne ich sein Gesicht gut. Er sieht fertig aus.
,,Vergiss das Atmen nicht.", sagt er leise, zieht eine Packung Taschentücher aus seiner Hosentasche und reicht sie mir.
Ich bin in diesem Moment zu sehr damit beschäftigt, nicht zu kollabieren.
Ziemlich verloren stehen wir beide da- oder eher ich.
Mit Chili con Carne übergossen, einer Packung Taschentücher in der Hand und einfach sprachlos.
,,Vielleicht...." Er deutet auf die Taschentuchpackung in meiner linken Hand.
,,... vielleicht solltest du die aufmachen.", sagt er.
Ich nicke und nehme ein Taschentuch raus.
Kurz hebt er seinen Arm, es scheint, als ob er mir den Eintopf aus dem Gesicht wischen möchte- dann lässt er seinen Arm wieder sinken.
,,Was machst du hier?", kriege ich grad so raus.
,,Eigentlich hatte ich mir grad Essen geholt. Ich denke, ich muss nochmal gehen."
,,Ich meine... hier."
,,Ach. Ja... ich denke, dasselbe wie du. Meine Seele ans Ehrenamt verkaufen."
Ich weiß nicht, was ich als Nächstes Fragen soll. Dabei brennen mir tausende Fragen auf der Zunge. Jedoch erscheinen mir alle entweder zu persönlich oder unpassend.

Es fühlt sich sehr komisch an... den Mann, den ich vor einem Jahr noch berührt habe, geküsst habe, dem ich von meinem Tag erzählt habe, den ich abends mit einem Lächeln begrüßt habe, dem ich all meine Ängste, Sorgen anvertraut habe... der hat auf einmal bei mir den Status eines Fremden.

,,Hast du Ersatzklamotten dabei?", fragt er.
,,Auf der Wache Mitte der Johanniter."
,,Ich kann dich fahren... wenn du magst.", sagt er vorsichtig.
Ich nicke und schreibe Flo, dass er uns in die 6 drücken soll.
,,Kannst du denn einfach so weg? So als Einsatzleiter.", frage ich.
,,Wir fahren mit dem Kdow. Wenn was ist... sind wir ja schnell wieder da."
Er zieht die Schlüssel aus der Hosentasche und zeigt mir, wo das Auto steht.
Schweigend gehen wir hin.
Ich bin mir gar nicht sicher, was ich fühlen soll. Freude? Wut? Glück?

Ich fühle mich vor allem unsicher.

In diesem Moment erledigt sich für mich die letzte Hoffnung, die ich irgendwie in der hintersten Ecke versteckt hatte, dass es jemals so wird, wie es mal war mit uns.

Im Licht im Auto sehe ich, dass er tiefe Augenringe hat. Einige Falten mehr. Er sieht ungesund aus.
Danach traue ich mich nicht mehr, ihn anzusehen. Wieso auch immer.
,,Wie geht es dir?", fragt er.
,,Gut. Erst einen Einsatz gehabt. Dir?", sage ich tonlos.
,,Ja. Auch. Ist wenig los."

Ich fühle mich wie im falschen Film. Der Moment, auf den ich ein Jahr lang gehofft habe, verzweifelt gewartet habe (auch wenn ich es mir teilweise nicht eingestehen wollte), der ist nun da. Und ich fühle mich... eigentlich genau wie vorher. Nur weiß ich gerade nicht wohin mit meinen Händen, wie ich mich setzen soll. Beine übereinander schlagen? Was sage ich?

Zum ersten Mal frage ich mich, ob es anders wäre, wenn ich gesagt hätte: ,,Ich warte auf dich."
Hätte ich mir dann die ganze Qual das letzte Jahr sparen können? Klar, vermisst hätte ich ihn- aber all das andere? Die Wut, die Verzweiflung, die Trauer, als ob jemand gestorben wär? Das Auf und Ab?
Weil ich gewusst hätte, dass er (wenn er zurückkommt), wieder zu mir kommt?

Dann wären wir jetzt schon was länger als ein Jahr zusammen.

,,Seit wann bist du wieder da?", frage ich ihn.
,,Nicht so lang... drei Wochen vielleicht? Das ist aber mein erster Dienst heute. Ich hab ein wenig Pause gebraucht."

Er war also nicht der Läufer.

Wären wir uns dann, wenn ich mich damals anders entschieden hätte, vor drei Wochen in die Arme gefallen? Hätte ich ihn am Flughafen abgeholt? Wär alles wie vorher gewesen?

Nein. Wär es nicht. Wir haben uns beide verändert.

Während Alex ziemlich verkrampft am Steuer sitzt und stur geradeaus schaut, frage ich mich ehrlich, ob jetzt erst die schlimmste Zeit für mich anfängt.
Ihn wieder regelmäßig zu sehen und trotzdem damit klar zu kommen, dass es zwischen uns vorbei ist.

,,Kommst du wieder zurück?", frage ich.
,,Ich denke."

Oh Gott.
Schonmal darüber nachgedacht die Wache zu wechseln? Oder auszuwandern?

,,Und du? Was macht die Arbeit?", will er wissen.
,,Alles beim Alten."
,,Du hast die Stelle als Orgl abgegeben, habe ich gehört?"
Ich nicke mit zusammengepressten Lippen.

Nicht heulen.

Den Rest der Fahrt herrscht unangenehme Stille zwischen uns. Nicht mal im Funk ist was los. Nur das unregelmäßige Knacken bei Statuswechseln.

,,So. Ich warte hier auf dich."
Er parkt den Kdow vor der Geschäftsstelle.
,,Danke."
Ziemlich überstürzt verlasse ich das Auto.

Auf der Wache werde ich von den Kollegen, die Regelrettung fahren etwas besorgt angeschaut, als ich reinstürme und ohne ein ,,hallo" direkt Richtung Bad stürze. Mir ist speiübel.
Und kaum hänge ich über dem Klo, sehe ich auch mein Mittagessen wieder.
,,Hey, Josi, was ist denn los?" Damian, ein Rettungssanitäter steht plötzlich hinter mir, hält mir meine Haare zurück und
Nachdem ich meinen Mund ausgespült habe bedanke ich mich bei ihm.
,,Kein Plan, vielleicht was schlechtes gegessen.", antworte ich.
,,Vielleicht auch die Hormone.", höre ich da jemand hinter mir und weiß auch ohne mich umzudrehen, wer es ist.
,,Ich dachte du bleibst im Auto?", frage ich schnippisch.
,,Wollt mir einen anständigen Kaffee ziehen."
,,Brauchst du Volumen?",fragt Damian.
,,Bitte nicht. Da trink ich lieber 5 Liter.", sage ich schnell und haue schnell Richtung Umkleiden ab, um mich umzuziehen.

,,Ach, Frau Hofman?"
,,Ja, bitte, Herr Hetkamp?" Ich drehe mich zu Alex um, der leicht grinst.

,,Sie haben da noch Teile des Abendessens in den Haaren hängen. Ich würde eine Haarwäsche empfehlen."

____
Na,
Was glaubt ihr? Sieht Josi die Welt zu schwarz? Wird das nicht vielleicht doch noch was zwischen den beiden?☺️

Wer das Lied ,,Afterglow" von TS kennt: der weiß jetzt, wie es weitergeht. Für die, die es nicht kennen, hier der Text, bzw. Die relevanten Stellen...

Das ist wohl Josi's Hoffnung:

It's so excruciating to see you low
Just wanna lift you up and not let you go
This ultraviolet morning light below
Tells me this love is worth the fight, oh

Hey
It's all me in my head
I'm the one who burned us down
But it's not what I meant
I'm sorry that I hurt you
I don't wanna do, I don't wanna do this to you
I don't wanna lose, I don't wanna lose this with you
I need to say, hey
It's all me, just don't go
Meet me in the afterglow

Tell me that you're still mine
Tell me that we'll be just fine
Even when I lose my mind
I need to say
Tell me that it's not my fault
Tell me that I'm all you want
Even when I break your heart

(Ich find das Lied wunderschön.)

LG
Laura ❤️

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt