Behandlung à la Dr. Hetkamp

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Flo kommt mit Rucksack und dem Lifepak wieder. Wow. Volles Programm. Ich versuche über meine Atmung meinen Herzschlag etwas zu regulieren. Alex legt mir die Blutdruckmannschette an und macht das Pulsoxi an meinen Finger. Es beschwert sich sofort. 130 er Frequenz und.... 78% Sättigung??? Auch Alex scheint verwirrt und schaut von mir zum Gerät und wieder zu mir. Dann aber geht die Sättigung hoch auf 95% und die Frequenz runter auf 90. Na bitte. Ich atme erleichtert aus.

Flo steht etwas abseits, als ob er sich was schuldig fühlt. ,,Naja. Sättigung könnte besser sein.",murmelt Alex. Ein Blick aufs EKG verrät mir: Der Druck könnte auch besser sein. 150/100.
,,Wie ist ihr normaler Druck?"
,,So 130-140 Systolisch." Gut, das habe ich vielleicht etwas optimiert.
,,Hm, ok. Rauchen Sie oder Trinken Sie?"
,,Rauchen nein, trinken selten." Weil ich familiär bedingt Bluthochdruck hab. Aber das muss ich ihm ja nicht auf die Nase binden.
,,Viel in der Sonne gewesen in den letzten Tagen?"
,,Kaum."
,,Gut, dann bitte einmal auf meine Nase schauen." Er leuchtet mir in die Pupillen.
,,Und- ist's schon zu spät?", spaße ich und fange mir einen bösen Blick. Oh oh. Da ist aber jemand drauf.
Nach ein paar weiteren neurologischen Checks, die allesamt unauffällig waren, muss sich auch Alex wohl eingestehen dass alles soweit ok ist. Er runzelt die Stirn und wirft nochmal einen Blick aufs Pulsoxi. 80 er Frequenz. Ich grinse in mich rein. Da wird der Herr Doktor mir wohl jetzt was geben müssen.
,,Flo, mach bitte einen Zugang fertig.", sagt Alex.
Haaaalt, neee. Nicht so. ,,Tablette reicht mir.", sage ich. ,,Hab ich nicht. Wenn dann i.v."

Wenn ich anderen Zugänge lege, etwas spritze oder sogar bohre- kein Problem. Aber meine Abneigung gegen Nadeln hat sich soweit manifestiert, dass ich als Kind schon immer beim Impfen kollabiert bin. Würde man mich sedieren, kein Problem. Aber dafür müsste ich ja eine Spritze bekommen. Also: ein Teufelskreis.

,,Ja, ist auch egal. So schlimm sind die Kopfschmerzen auch gar nicht." Ich beäuge mit steigender Herzfrequenz die rosa Vigo. Das bemerkt auch das Pulsoxi. Ich mache es mir kurzerhand vom Finger. Alex mustert mich interessiert. ,,Ich würd gern was probieren.", sagt er. ,,Hat nichts mit einer Nadel zu tun.", fügt er hinzu. Wieso auf einmal so verständnisvoll?
,,Setzen sie sich mal gerade hin, aber so quer."
Er steht auf. Ich tue wie mir geheißen. ,,Darf ich?", fragt er höflich. ,,Was?"
Er legt seine Hände an meinen Kopf, jeweils rechts und links, fast neben meinen Ohren.
,,Einfach einmal komplett locker lassen und auf gar keinen Fall gegen bewegen.", sagt er. Was hat er vor? Er bewegt meinen Kopf nach rechts und nach links, nach vorne und nach hinten. Ich muss mir fast einen Schmerzensschrei unterdrücken, kann jedoch nicht verhindern, dass mir Tränen in die Augen treten. Die Kopfschmerzen ziehen nun in den Nacken und in den Rücken. Oder andersrum? Ich kann's nicht zuordnen. Es tut einfach Sauweh.

,,Ich würde sagen." Er lässt meinen Kopf los und fängt stattdessen an, meinen Nacken abzutasten.
,,Wir haben das Problem gefunden. Typische Ärzte-/ Pflegekräfte-/ und Rettungsdienstlererkrankung. Extreme Verspannung. Bei chronischen Verspannungen kommt es zu Kopfschmerzen. Ich gebe Ihnen jetzt was gegen die Schmerzen, Sie sollten aber bedenken, dass das Schmerzmittel nur die Symptome, aber nicht die Ursache bekämpft.", sagt er und lässt von mir ab.
Ich bringe grad noch so ein ,,Ok." raus.

,,Da es das ja geben soll, dass manche Mediziner kein Problem haben, Zugänge zu legen, aber irgendwie ein Problem damit haben, das selber zu kriegen, würde ich vorschlagen, Sie legen sich hin. Nur prophylaktisch."
Er scheint wieder angenehm belustigt. Für einen kurzen Moment war ich ihm fast dankbar, jetzt würd ich ihm am liebsten schon wieder eine Klatschen. ,,Passt schon.", antworte ich selbstsicher. Er zuckt mit den Schultern. ,,Wie Sie meinen."

Er desinfiziert, und legt das Stauband an. Ich kann es schon kaum ertragen zu sehen, wie sich die Venen auf meinem Handrücken stauen. Um mich abzulenken, schaue ich Flo an, der bereits eine Infusion als Träger fertig gemacht hat. Beherrsch dich, Josi. Es ist nur eine Nadel. Das machst du tagtäglich. Ich bemerke aus dem Augenwinkel, wie er nochmal desinfiziert und dann die Schutzkappe von der Viggo abzieht. Ich spüre mein Herz bis in den Hals. Mir wird komisch. Mein Sichtfeld verkleinert sich. Ich stütze mich mit meiner anderen Hand ab und kralle mich dann fest. Ich kann doch nicht anders als hinsehen. Alex fixiert mit der einen Hand meine Vene vor dem wegrollen, mit der anderen kommt er mit der Vigo immer näher. Ich will das nicht. Nein. Kalter Schweiß tritt mir auf die Stirn. Alex guckt mich kurz an, dann sehe ich, wie die Spitze der Nadel meine Haut durchsticht.

Als ich meine Augen wieder aufmache, sitze ich nicht mehr auf dem Sofa, sondern liege mit hochgelagerten Beinen.
,,Josephine, hey. Willkommen zurück." Alex hockt neben mir und tastet meinen Radialispuls. ,,Kommt peripher so langsam wieder.", sagt er an Flo gewandt. Dieser fixiert grade die Vigo auf meinem Handrücken mit Pflaster und Leuko.
Bitte lass den Boden aufgehen. Bin ich  wirklich kollabiert?
,,Hätten Sie sich von vornherein hingelegt, hätten Sie das sich und uns erspart.", sagt er und lässt mein Handgelenk los.
,,Schon mal Novalgin bekommen?" Ich nicke leicht. Aua.
,,Gut. Keine Unverträglichkeit gehabt?"
,,Ne."
,,Sind Sie schwanger?"
,,Gott bewahre."
Er zieht das Novalgin auf und spritzt es in den Infusionsbeutel.
,,Dann bleiben Sie jetzt noch bitte 15 min so liegen, ich drücke Sie solange in die 6. Dann schauen wir weiter."

Mit den Worten erhebt er sich und verlässt den Raum. ,,War ich echt weg?", frage ich Flo flüsternd.
,,Aber sowas von. Bist ihm direkt in den Schoß gekippt. Aber anscheinend hat er damit gerechnet. Hat noch schnell die Vigo zuende gelegt und dich dann umgelagert."
Ich schaue Flo an.
,,Ich bin froh, dass es dir besser geht.", sagt er mit einem aufrichtigen Lächeln. Und ich kann ihm gar nicht mehr böse sein, so wie er mich anlächelt. Zwar find ich's nicht super, dass er mit Alex über mich geredet hat, aber letztendlich war das nicht in bösartiger Absicht, sondern nur, weil er sich Sorgen um mich gemacht hat. Eigentlich süß.

Nach ein paar Minuten kommt Alex wieder. Das Medikament hat dafür gesorgt, dass mein Kopf sich angenehm frei anfühlt und alle Schmerzen weg sind. Etwas fertig bin ich trotzdem.
,,Wie geht's?", fragt er.
,,Gut."
Er will meinen Carotispuls tasten. Instinktiv zucke ich weg. Einen Moment lang sehe ich Skepsis in seinen Augen, dann entscheidet er sich um und tastet an meinem Handgelenk.
Hals geht bei mir nicht. Ist einfach so.

Nach weiteren 10 Minuten zieht er mir die Vigo.
,,Sie können theoretisch weiter machen. Auch wenn's mir anders lieber wär. Ich bin kein Freund davon,jemanden, der angeschlagen ist oder selber Hilfe braucht, loszuschicken, um anderen zu helfen. Also bitte seien Sie ehrlich und melden sich, wenn's nicht geht oder Ihnen nicht gut ist. Und das mit ihrem Nacken sollten Sie dringend angehen, das kann auf Dauer wirklich schlimme Auswirkungen haben. Holen Sie sich in der Apotheke ein Öl, Wärmepflaster oder lassen Sie sich von Ihrem Freund massieren. Aber ändern Sie das. Das schadet nicht nur Ihnen, sondern auch Ihren Kollegen und Patienten."
Er kommt nicht umher, seine Rede mit einer Belehrung zu beenden. Ich denke über das ‚ihr Freund' nach.

Neben meinen chronischen Kopf- und Nackenschmerzen bin ich nämlich auch chronischer Dauersingle.
Also wird das wohl nix mit der Massage.

ASDS- auch Retter müssen mal gerettet werden Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt