The Journey Home

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The journey home is never too long
Your heart arrives before the train
The journey home is never too long
Some yesterdays always remain

"The Journey Home", Sarah Brightman


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Unsere Diskussion endet recht abrupt, als wir in Heathrow ankommen. Mir wird erst jetzt klar, wie lange wir dieses teils hitzige Gespräch nun schon führen. Wow, ich hätte nicht gedacht, dass ich mir mit Michael Patrick Kelly so einen Schlagabtausch liefern kann! Er ist echt ein bisschen stur, was dieses Thema angeht, aber ich muss zugeben, ich mache es ihm auch nicht leicht. Wir werden uns wohl darauf einigen müssen, dass wir hier quasi entgegengesetzter Ansicht sind. Für mich ist das okay, und ich hoffe für ihn auch. Insgeheim bin ich wohl froh, dass unser Gespräch diese Wendung genommen hat, denn das Gefühl, gleich vor ihm in Tränen auszubrechen, brauche ich nicht unbedingt nochmal. Ich war froh, als er dann seine Hand auf meinen Arm gelegt hat, denn das hat meine Gedanken in eine komplett andere Richtung gelenkt und ich hatte meine Gefühle relativ schnell wieder unter Kontrolle. Nein, das ist eine Lüge, die Schmetterlinge in meinem Bauch und die Gänsehaut auf meinem kompletten Oberkörper haben gemacht, was sie wollten, aber der Kloß in meinem Hals hat sich in Luft aufgelöst und ich wusste plötzlich, dass ich vor ihm nicht weinen werde. Zumindest diese eine Blöße habe ich mir nicht gegeben, auch wenn er mich schon für hoffnungslos romantisch (Heiratsantrag auf der Tower Bridge) und komplett durchgeknallt (Ring in die Themse werfen) hält, und damit wahrscheinlich gar nicht mal so unrecht hat.

Als wir nun die Rolltreppe Richtung Terminal betreten, holt er tief Luft und will offensichtlich unsere Konversation fortsetzen (wo haben wir nochmal aufgehört? Ach ja, als er mir vorwarf, ich hätte ein Problem damit, die Kontrolle über mein Leben oder mein Schicksal abzugeben, und ich gemeint habe, zumindest würde ich mich nicht rausreden, sondern selbst die Verantwortung für mein Handeln übernehmen...). Ich hebe beschwichtigend die Hand und sehe ihn warnend an.

"Why don't we agree to disagree?!", frage ich lächelnd. Er denkt ein paar Sekunden nach, und die Rolltreppe trägt uns nach oben.

"Okay", sagt er schließlich und seufzt.

"If you promise that we will take this up another time?"

Oh, das hört sich so an, als hätte er vor, mich wiederzusehen. Was ich jetzt nicht so richtig glauben kann. Aber dann ist da natürlich noch das Konzert nächste Woche...

"You really want to discuss this further?!", frage ich provokativ.

"Aren't you afraid of discovering that I might actually be right?" ich grinse ihn dabei frech an, um zu signalisieren, dass ich das nicht ganz ernst meine. Er beugt sich zu mir rüber und ich kriege schon wieder eine Gänsehaut.

"No", sagt er sehr leise und fast ein bisschen drohend. "...and I enjoy our little theology battle way too much to just let this go".

Er spricht mir aus der Seele; auch mir hat es Vergnügen bereitet, ihm alles an den Kopf zu werfen, was ich so über gläubige Menschen denke, ohne Angst haben zu müssen, dass er es persönlich nimmt. Denn das hat er offensichtlich nicht, und darüber bin ich doch ein bisschen erleichtert, auch wenn er mir mindestens genauso heftig Kontra gegeben hat und ich ebenso viel Grund hätte, mit ihm beleidigt zu sein.

Wir verlassen die Rolltreppe und orientieren uns kurz.

"Lufthansa check-in is over there, come on", sagt er dann im Brustton der Überzeugung, und ich folge ihm blind.

Vermutlich ist er hier schon etliche Male abgeflogen und kennt sich deswegen aus, schießt es mir durch den Kopf, und ich kann nicht umhin ihn ein bisschen dafür zu beneiden, dass er so viel unterwegs ist. So etwas wie Alltag stellt sich bei ihm wohl selten ein... ich seufze. Auf den Alltag zu Hause habe ich gerade absolut gar keine Lust (und ein Großteil davon hat wohl damit zu tun, dass eine gewisse Person sicherlich nicht Teil dieses Alltags sein wird). Ich tue mich schwer, es zuzugeben, aber trotz der Gefühlsanwandlungen, die ich immerzu habe, den ständig drohenden Gummibeinen und Schmetterlingsschwärmen, habe ich mich irgendwie verdammt schnell an seine Gegenwart gewöhnt. Es ist anstrengend, ständig auf der Hut sein zu müssen, um nicht wie ein kompletter Idiot beim Starren, Tagträumen oder Seufzen erwischt zu werden, das stimmt schon. Aber ich finde, ich habe mich inzwischen schon viel besser unter Kontrolle als noch gestern Nachmittag, und zusätzlich zu dem ganzen Gefühlschaos, das seine Gegenwart bewirkt, ist sie einfach nur angenehm und interessant. Wir hatten ein paar wirklich gute Gespräche und sein Sinn für Humor, seine Schlagfertigkeit und nicht zuletzt sein Einfühlungsvermögen haben die Zeit wie im Nu verfliegen lassen. Womit wir wieder beim aktuellen Problem wären: ich sollte mich schon mal für die 'Entzugserscheinungen' wappnen...

Er dreht sich im Laufen zu mir um und deutet triumphierend nach vorne. Anscheinend haben wir den Check-in Schalter fast erreicht und er hat sein Erfolgserlebnis. Ich muss grinsen. Männer....

Als wir unsere Koffer losgeworden sind und unsere Boarding Passes in Händen halten, stehe ich etwas unschlüssig neben ihm. Ich weiß nicht so recht, ob ich mich nun verabschieden soll, oder wir noch gemeinsam bis zum Gate gehen werden. Beim Aushändigen der Boarding Passes habe ich einen Blick auf seinen ergattert und festgestellt, dass wir nicht nebeneinander sitzen. Wäre vermutlich auch zu viel des Guten gewesen. Jedenfalls spüre ich eine leichte Panik in mir aufkeimen.

„Möchtest Du noch was essen oder trinken, bevor wir die Security checks machen?", fragt er, nun wieder auf Deutsch.

„Äähhhm...", ich bin verlegen, weiß nicht, was ich sagen soll.

Das letzte, was ich will, ist wie eine Klette an ihm zu hängen.

„Möchtest du nicht allmählich mal deine Ruhe haben?", frage ich vorsichtig und schaue ihn forschend an.

Er blickt mich einen Moment lang irritiert an und lächelt dann.

„Ruhe vor dir? Oder vor deinen ketzerischen Fragen?!", er zwinkert verschwörerisch.

Ich zucke mit den Schultern, schließlich war die Frage ernst gemeint. Als er das merkt, muss er noch mehr lachen.

"I am used to clingy peole, believe me. I will tell you if I want to be left alone, okay?!"

Ich nicke nur, bin aber nicht so recht überzeugt. Schließlich kennen wir uns nicht wirklich, und 24 Stunden sind etwas wenig, um das zu ändern und die Höflichkeit abzulegen, die man in der Regel Fremden gegenüber an den Tag legt. Zwar bilde ich mir ein, dass ich feinfühlig genug wäre, um es zu bemerken, falls er mir entsprechende Signale senden würde, aber trotzdem habe ich ein bisschen Angst, dass er nun meint, er müsste sich sozusagen 'um mich kümmern'. Aus Mitleid. Und darauf habe ich keine Lust.

"Are you sure?", frage ich deshalb nochmal nach und sehe ihn mit ernster Miene an, damit er merkt, dass es mir wichtig ist. Jetzt wird er auch ernst und schaut mich nachdenklich an.

"I am sure, yes. And I would like to go have a soda somewhere, because I am thirsty after all that talking", er zwinkert, wird aber sofort wieder ernst.

"And I would love to hear about your children. However,...", er zögert, fährt sich durch die Haare, und sieht mich dann leicht besorgt an. "..if you'd prefer to be alone and have some time to yourself.... to think, maybe...", er lässt den Satz in der Luft hängen, aber ich habe schon verstanden und schüttle heftig den Kopf.

"Hell, no!", unterstreiche ich mein Kopfschütteln. "Like it or not, I prefer your company..."

Damit wäre das auch geklärt und wir steuern eines der völlig überteuerten kleinen Cafés an, die es hier wie an jedem Flughafen der Welt in vielfacher Ausfertigung gibt.

This one lifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt