Six

199 8 6
                                    

Stunden verbringe ich auf dem Sofa und kann nicht aufhören zu weinen. Theoretisch sollten alle Körperflüssigkeiten aus meinen Augen geflossen sein, doch wie es scheint habe ich sowas wie Flüssigkeitsreserven.
Langsam erhebe ich mich und wische mir mit dem Handrücken über meine feuchten Augen. Ich sehe zum Telefon, welches noch unberührt auf dem Boden liegt. Ich muss ihn anrufen. Ich muss es, so weh es auch tun wird, das nochmal hören. Aber persönlich. Direkt aus seinem Mund.

Ein letztes Mal wische ich mir eine kullernde Träne weg und nehme dann das Telefon in die Hand. Schniefend halte ich mir das Gerät an mein Ohr und warte. Und warte... Und warte... Und warte...

Schon wieder.

Er geht schon wieder nicht ran. Wütend schmeiße ich das Telefon auf das Sofa, es prallt an der Lehne ab und knallt auf den Boden. Schnaubend stehe ich auf, wackele am Anfang noch, aber stampfe in den Flur. Es reicht mir. Jetzt werde ich zu ihm gehen. Wenn er nicht aufmacht, sehe ich mich dazu gezwungen, ihm die Tür einzutreten.
Mit zitternden Hände knöpfe ich mir den Mantel zu, nehme mit meinen Schlüssel aus dem Schlüsselkorb, meine Tasche und stürme mit einer riesigen portion Wut aus dem Haus.

In meinem ganzen Leben bin ich noch nie freiwillig durch die Stadt gerannt. Heute morgen machte ich das wegen meines Jobs und jetzt wegen Logan. Dem Idioten.
Mit Tränen in den Augen, wie in einem schlechten Romantik-Film, renne ich zu seiner Wohnung um diese schrecklichen Worte aus seinem Mund zu hören.
Kurz bevor ich die Straße erreiche, checke ich mit meiner Handykamera, ob meine Augen noch sehr verheult aussehen, aber das ist mir egal. Im Moment ist mir so einiges Egal. Außer Logan.

Zügig biege ich um die Ecke und laufe fast ein paar Leute um. Mein Herz pocht so sehr, als wäre ich ein Marathon gelaufen. Endlich erreiche ich seine Tür und mein Finger trifft, ohne es verhindern zu können, auf die Klingel.
Ich mache Sturmklingeln und denke nicht mal dran auszuhören. Mein Zeigefinger drückt wie von selbst.
Meine aufbrausende Art, scheint die Leute so sehr anzulocken, daß sie mich alle anstarren müssen. Aber wie gesagt mir ist das egal.

Plötzlich brummt es. Ich kann es anfangs gar nicht realisieren. Er hat mir aufgemacht!
Meine Hand drückt gerade gegen die Tür, als mich jemand daran hindert das Gebäude zu betreten. Logan höchstpersönlich.
Er hat noch Hausschuhe an und macht sich gerade noch seine Daunenjacke zu, steckt dann seine Hände in die Taschen. Die Tür hinter ihm geht zu, und ich schlucke. Warum lässt er mich jetzt nicht rein?
Wenigstens bekomme ich die Chance mit ihm zu reden.
Sein Blick gleitet zu mir. Das dunkle braun seiner Augen glänzt nicht so wie vorher. Dieser Kontrast wirkt so fremd.

„Was gibt's?" Sein Ton wirkt abweisend. Logan lehnt sich an die Hauswand und wartet auf eine Antwort meinerseits.
Das er jetzt so tut als wenn nichts wäre, versetzt mir einen Schock. Acht Monate waren wir zusammen. Ist es ihm so egal?
„Du hast mit mir Schluss gemacht. Warum?"
Erneut steigen mir Tränen in die Augen. Ein Hoch auf die Reserven. Meine Fingernägel bohren sich in meine Handfläche.
„Das habe ich dir doch erklärt. Es geht einfach nicht mehr." Nickend beiße ich mir auf die Unterlippe und mein Blick sinkt zu Boden. Mal wieder werde ich zum stillen Mäuschen.
Was sollte ich auch schon dagegen erwidern?
„Liegt es daran das ich nicht vorgestern mit dir schlafen wollte?"
Diese Frage hat sich schon seit längerem in meinem Hinterkopf eingenistet. Das würde vielleicht dann noch Sinn machen, wenn er schluss macht.
Logan sieht mir in die Augen, so gleichgültig wie noch nie, doch er schüttelt den Kopf „Nein, daran liegt es nicht."
Voller Verzweiflung mache ich einen Schritt auf ihn zu, will seine Hand nehmen, doch er zieht sie weg.
„Was, also, habe ich sonst falsch gemacht?"
Meine Güte, ich komme mir vor wie eine Bettlerin. Aber ich kann nicht anders.
„Hör doch auf das alles so kompliziert zu machen. Akzeptiere es einfach."
Logan starrt mich mit wütenden Augen an, das mir ein unangenehmer Schauer den Rücken runterläuft.
Auf einmal sieht er hinter mir und fängt an zu lächeln, wie ich das Lächeln vermisst habe.
Ein paar Stimmen sind hinter uns zu vernehmen. Wie aus einem Alptraum erwacht, drehe ich meinen Kopf von Logan, zu den Leuten die neben uns halten machen. Fünf fremde Jungs, die ich noch nie gesehen habe.
Einer von den, ein blondhaariger Junge, begrüßt ihn mit Handschlag „Bruder, kommst du gleich, oder hast gerade Stress?"
Die frechen Augen des blonden, treffen meine. Giftig blinzle ich ihn an.

„Ja ich komm. Tschüss Julie."

Logan verabschiedet sich, ohne mich nochmal anzusehen und geht einfach rein zusammen mit diesen Fremden Jungs, die ich noch nie gesehen habe.

Ich stehe alleine vor verschlossener Tür und die ersten Tränen laufen mir wieder wie Bäche die Wangen runter. Mit einmal haue ich meine Faust gegen die harte Tür, sodass ein lauter Knall entsteht. Es soll aufhören dieser Schmerz.
Das ist mit Abstand der schlimmste Tag meines Lebens.

Mit hängenden Kopf gehe ich durch irgendwelche Straßen, die mich immer weiter von zu Hause wegführen. Orientierungslos und in vollkommener Stille lasse ich die Kälte des Schnees meine Füße erfrieren.
Die Schritte wirken so, als hätte ich Backsteine unter den Füßen. Es ist so anstrengenden. Gezwungener Maßen muss ich mich zusammenreißen, denn es kann immer jemand um die Ecke kommen.
Die Lichterketten erinnern mich daran das wir ja Heiligabend haben, den ich eigentlich mit der Liebe meines Lebens verbringen wollte. Nun, das sieht im Moment schlecht aus.
Die Lichterketten sehen traumhaft schön aus, unter dem fast schwarzen Himmel.
Gerne würde ich jetzt mit Logan hier lang laufen und die Stille genießen. Ist schon komisch plötzlich Single zu sein, ohne das man ein Mitspracherecht hatte. Ich fühle mich so verdammt einsam.

Vorne sehe ich eine Gruppe von Männern die volltrunken aus einem Lokal torkeln und immer wieder sich geneseitig anlachen oder gegen die Schulter hauen. Ich könnte mich ihnen anschließen. Dann wäre ich wenigstens nicht allein.
Ereut sehe ich zum Lokal. Schon gestern ist mir das Lokal aufgefallen. „Jeff's Bar."
Eigentlich bin ich ja kein Mensch der viel Alkohol trinkt, doch mir ist auch bewusst das Alkohol vergessen lässt. Mir kommt eine Schnapsidee. Wenn ich dort hingehe und mich volllaufen lasse, könnte ich wenigstens für den Rest des Abends den Schmerz vergessen. Ein bisschen Hochkonzentriertes wird mir schon nicht schaden.
Ein letztes Mal sehe ich auf die LED Anzeige und betrete mit einem aufgeregten Gefühl die Bar.

When two lonely hearts meetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt