Taehyung
Mittlerweile saßen wir wieder im Unterricht und lauschten den öden Worten der Lehrerin, die an der Tafel stand und versuchte, uns etwas beizubringen. Keiner der Schüler machte wirklich mit, es herrschte Totenstille, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir alle wirkten nicht gerade lebendig, da einfach keiner Lust auf dieses Thema hatte und wir uns dazu zwingen mussten, nicht jeden Moment wegzupennen. Ärger wollten wir immerhin nicht bekommen, darauf konnte jeder gestrost verzichten.
Eher geistesabwesend dachte ich über vorhin nach, da ich sowieso nichts besseres zu tun hatte. Kaum hatte ich Jungkook wieder beruhigt gehabt, war er mir zu den anderen gefolgt und direkt von Yoongi ausgefragt worden. Von Hoseok hatte er - nach einem auffordernden Blick meinerseits - eine Entschuldigung enthalten und Jimin hatte ihm doppelt und dreifach versichert, dass wir ihn in unserem Freundeskreis aufgenommen hatten und es nun kein Entkommen mehr gab. Dieser Satz hatte mich irgendwie glücklich gemacht, denn er entsprach der Wahrheit: Sobald wir uns einmal mit jemanden angefreundet hatten, ließen wir nicht so schnell zu, dass er wieder verschwand. Und Jungkook zählte inzwischen auch dazu.
Danach waren wir uns Klassenzimmer zurückgekehrt und saßen nun hier gelangweilt herum. Ich war ganz in meinen Gedanken versunken, Jimin übte sich an Liebesbrief-Schreiben und Jungkook starrte aus dem Fenster. Nach einigen Minuten war ich zufällig auf ihn aufmerksam geworden und hatte damit begonnen, seine schöne Gesichtsform zu inspizieren. Er war ausgesprochen hübsch, das konnte ich einfach nicht verleugnen und je länger ich ihn betrachtete, desto schlechter fühlte ich mich Hoseok gegenüber. Nur ihn sollte ich so anschauen, nur von ihm sollte ich so schwärmen und trotzdem fand ich immer mehr Gefallen an dem Jüngsten unter uns.
"...und deswegen weiß ich nicht, ob das gut klingt. Was meinst du dazu, Taehyung? Tae? Hallo? Hörst du mir überhaupt zu?" Jimins Stimme riss mich aus meinen Gedanken und irritiert blinzelte ich. Da nur unsere Lehrerin sprach, grenzte es beinahe an ein Wunder, dass ihn keiner außer mir gehört hatte, denn Flüstern schien ein Fremdwort für Jimin zu sein. Außerdem war er gerade unglaublich aufgeregt, da er wohl seinen ersten Liebesbriefentwurf fertig hatte und total stolz darauf war - und dennoch ihn mindestens dreißig Mal überarbeiten würde, bis er zufrieden damit war.
"Wie findest du den Brief und besonders diese eine Stelle da?", wiederholte sich Jimin und deutete auf eine Textpassage. Irgendwie fand ich es niedlich, dass er für Yoongi einen Liebesbrief schrieb, obwohl es eigentlich auf der Hand lag, dass dieser keineswegs romantisch veranlagt war. Trotzdem wollte er es unbedingt versuchen, deswegen hielt ich ihn nicht davon ab und überflog einfach nur die Zeilen. Auch wenn ich nicht so aussah, ich mochte Liebesbriefe tatsächlich und fand es ausgesprochen mutig, einen zu schreiben und dann auch zu verschicken. Ich selbst könnte das nicht. Deshalb hatte ich Hoseok damals auch meine Gefühle direkt gestanden.
Du bist wie eine Blume, die ihre Blüten nicht öffnen möchte, doch ich brauche deinen Nektar, um zu überleben.
Dieser Satz stand einfach so mitten in dem Brief und nachdem ich sämtliche zweideutigen Gedanken abgeschaltet hatte und ihn ein weiteres Mal gelesen, verstand ich die Bedeutung hinter den Worten. Jimin sehnte sich nach der Liebe Yoongis - seinem Nektar -, doch dieser verschloss sich vor der Welt - in den Blüten -, weil er nicht wollte, dass jemand sein wahres Ich sah.
In genau diesen Moment hob ich meinen Kopf und sogleich trafen sich mein und Jungkooks Blicke. Wohl aus reinem Zufall hatte er zu mir gesehen und instinktiv wurde mir klar, dass das kein reiner Zufall sein konnte. Auch dieser Junge trug ein Geheimnis in sich und versteckte etwas vor der Welt und ich sehnte mich nach seiner Nähe. Jimins Satz hatte für uns zwar eine andere Bedeutung, aber trotzdem lief es auf dasselbe hinaus.
Ich wollte die Blütenblätter von Jungkook öffnen und von seinem Nektar kosten.
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𝐒𝐜𝐡𝐢𝐜𝐤𝐬𝐚𝐥𝐬𝐟𝐚𝐝𝐞𝐧 ✦ 𝖳𝖠𝖤𝖪𝖮𝖮𝖪
Fanfiction»Nichts kann jemals den unsichtbaren Faden zwischen zwei Menschen zerreissen, die dafür bestimmt sind, zusammen zu sein.« Das Schicksal des roten Fadens besagt, dass es ein Band zwischen zwei Personen gibt. Der Faden ist unsichtbar und unzerstörbar...