58

1.1K 73 2
                                    


POV Arkyn

Ich wartete. Mein Hemd und meine Stiefel lagen an der Seite auf einem Tisch. Mein Haar hatte ich zurück gebunden ebenso wie mein Herr. Er ging zum Tisch und griff ein Tuch um sich damit den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Auch er hatte sein Hemd ausgezogen und war barfuß. „Nicht schlecht, Arkyn. Aber du musst schneller werden." „Ja, Herr.", bestätigte ich und Rakura trat wieder zu mir. Er hob die Fäuste. „Bevor wir weiter an der Verteidigung arbeiten versuchen wir es mit dem Angriff. Los. Greif mich an! Ich befehle dir mir die Nase blutig zu schlagen.", befahl er. Ich holte aus und schlug zu. Blitzschnell wich mein König aus und tänzelte problemlos um mich. Ich schlug nach ihm. Gab alles doch konnte ich ihn nicht einmal fassen! „Komm schon, Arkyn! Noch ein Versuch!", bat er und ich gab mir alle Mühe. Versuchte seine Schulter zu erwischen. Seine Magengrube. Irgendetwas! Aber immer wenn ich zuschlug und meinte, nun würde ich ihn erwischen, war er wieder weg. „Arkyn...", mit einem Ruck hatte ich einen schlanken Arm um meinen Hals, einen Tritt in der Kniekehle und ich war auf den Knien, Gesicht zu Boden. Ich spürte wie er mir schnell über das Genick strich und damit eine Klinge nachahmte. Ich senkte beschämt den Blick. „Ihr habt mich besiegt, mein König. Wie immer.", ich seufzte und er ließ von mir ab. Ich sah auf und er reichte mir seine Hand. Ich ergriff sie und er half mir hoch. Aufmunternd schlug er mir auf die Schulter. „Nur Mut, Arkyn! Das wird schon. Was war bei deiner ersten Trainingsstunde?", wollte er wissen. „Ihr habt mich geschlagen, Herr." „Was war genau, Arkyn?" „Ihr habt mir beigebracht mich zu wehren. Wir haben Stunden trainiert... Und am Ende war ich verschwitzt und zitternd. Aber Ihr halft mir auf... und trainiertet mich weiter.", brummte ich. „Genau. Und wie immer...", er trat zum Tisch und reichte mir von dort einen Becher. Mit einem dankenden Nicken nahm ich ihn an. „Trinken wir", lächelte er. „Ich danke Euch." „Arkyn... wenn niemand hier ist kannst du mich doch ruhig duzen! Sonst komme ich mir wirklich so allein auf dieser Welt vor.", erklärte er und ich nickte. „Verzeih, He... Rakura. Du bist nur in letzter Zeit so oft unter Leuten. Da komme ich selten dazu dich zu duzen." „Ja... allgemein nehme ich mir zu wenige Zeit für dich." „Rakura, so meinte ich es nicht!" „Ich weiß. Aber es ist schon wahr. Der Krieg im Westen nimmt mich mit. Du weißt... wir kommen meiner alten Heimat näher und näher... sollte sie denn noch existieren.", bemerkte er und strich sich eine lose Strähne aus dem Gesicht. „Wieso nicht, Herr?" „Seit Kaito nicht mehr ist hält niemand mehr das Land meiner Ahnen." „Aber Rakura, wir nahmen das Land doch schon sehr früh ein!" „Das ist Jahrzehnte her! Mittlerweile wimmelt es dort wieder von Gesindel! Und mein Clan... von ihnen lebt ja kaum einer mehr. Dafür sorgte ich. Und die die leben... die sind in der Weltgeschichte verstreut und wissen nicht einmal, dass dieser Clan jemals existierte. Sie sind weite Nachfahren derer, die ich kannte.", erklärte er. Ich sah ihn an. „Wir müssen bald weiter mit dem Schreiber sprechen.", erinnerte ich. „Ja. Ich weiß... aber ihm erzähle ich etwas anderes. Davon wie ich aus einer hohen Familie stammend das Zepter ergriff und die Ratten einte um meinen ewigen Siegeszug zu beginnen.", er seufzte. „Aber verdammt... die Wahrheit sieht so viel hässlicher aus...", er seufzte. „Herr... Rakura, du hast mir nie alles erzählt.", bemerkte ich. Er nickte und setzte sich. „Weil es weh tut. Sehr. Weil ich gedemütigt wurde. Und vor allem... weil ich die verlor, die mein ein und alles war.", er seufzte. „Du hattest eine Geliebte?" „Nein. Eine Schwester. Eine kleine Schwester. Rina. Ach setz dich schon.", bat er und ich gehorchte.

„Früher... da war eigentlich alles schön. Ich war ein Junge von fünf Jahren. Jünger als du als ich dich fand. Meinen Eltern war es sehr spät erst gegönnt Kinder zu bekommen. Mein Vater war 145 Jahre alt. Meine Mutter 143. Aber keiner sah einen Tag älter als 30 aus. Mein Vater war der Anführer des größten Schlangenclans in den Sonnensümpfen. Sumpf... das stellt man sich immer dunkel und nebelig vor... aber es war wie eine grüne Wiese. Nur stand das Wasser eben immer einige Zentimeter über dem Boden. Wir hatten Häuser geflochten aus Gras. Auf Stelzen. So standen sie ungefähr einen halben Meter über dem Boden. Damit selbst bei Rege kein Wasser hinein floss. Dann waren hier und da immer Felsen auf denen man sich Sonnen konnte. Sonne schien genug. Ich war kurz zuvor Bruder geworden. Naja SO kurz zuvor nun auch nicht. Rena war zwei Jahre jünger als ich. Irgendwann wurden meine Eltern aber krank. Das war ungewöhnlich. Weil beide eben so unglaublich stark waren! Vater erwischte es schneller als Mutter. Aber es zog sich länger bei ihm. Recht schnell ergraute sein Haar und seine Wangen fielen ein. Und bald war er bettlägrig. Mutter kümmerte sich um ihn bis auch sie nicht mehr konnte. Vaters rechte Hand und einige Freundinnen meiner Mutter kümmerten sich um die beiden. Und ich... puh... ich sah zu, wie meine Mutter Hina mit meinem Vater Kenzo um die Wette starb... Eines Nachts... es gewitterte wie wild und ich hatte Mühe zu schlafen, da kam Rena in mein Zimmer... du hättest sie sehen müssen. Ihre schwarzen Löckchen und ihre lieben, grünen Augen. Sie hatte eine so liebe Stimme. Sie war unserer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten... Rak, hat sie mich immer genannt... Rak, darf ich heute bei dir schlafen? Wollte sie wissen... ich hab die Decke gehoben und mit ihr gekuschelt. Das Gewitter hat sie geängstigt. Am Morgen weckte uns eine der Frauen. Sie meinte wir sollen aufstehen. Also zogen wir uns an und wir ja... als wir in der Küche standen, waren dort die Helferinnen, die rechte Hand und... alle Hohen des Clans. Alle sahen sie so besorgt und mitgenommen aus. Da kam eine zu mir und sagte, wir müssen jetzt ganz stark sein. Und dass meine Mutter in der Nacht aufgehört hatte zu atmen. Dass sie tot sei. Dann ein Schrei. Mein Vater war aufgewacht. Er schrie und weinte. Wir wollten zu ihm doch sie hielten uns fest. Wir sollten ihn so nicht sehen und auch Mutter nicht. Sie meinten, sie würden Mutter in einer Woche beerdigen. Wir mussten in meinem Zimmer warten, während sie Mutter raus trugen. Noch am Abend wurden wir wieder gerufen. Mein Vater hatte aufgehört zu leben. Der Tod meiner Mutter hatte ihn noch zusätzlich erschüttert. Und so wurde ich von Rakura Kanzossohn... zu Rakura... dem Waisenjungen... Die rechte Hand meines Vaters gab sein bestes den Clan unter Kontrolle zu halten aber Panik brach aus. Ein so großer Clan... ohne die Anführer? Ich sollte übernehmen aber... nicht bevor ich 20 wäre! Besser später! Wir wussten nicht was los war. Ich weinte viel. Rena auch. Sie fragte mich immer: Rak was machen wir jetzt? Ich wusste es ja selber nicht. Ich meinte immer, dass die rechte Hand das schon machen würde! Er hieß... ich glaube Masao. Aber Masao konnte uns nicht brauchen. Er hatte alle Hände voll zu tun. Am Tag der Beerdigung meiner Eltern trat ein Fremder in den Clan. Er stellte sich mir als mein Onkel vor... also auch ich kenne mich mit Onkeln aus. Jedenfalls... Wir kannten ihn nicht. Keiner kannte ihn. Aber er war mit mir verwandt. Naja... so halbwegs. Über ein Jahrhundert zuvor war die Schwester meiner Mutter aus dem Clan gerannt. Mit irgendeinem fremden Schlangendämon durchgebrannt, da war sie gerade einmal 15. Und eben dieser war es. Er verkündete, er sei der rechtmäßige Erbe auch, wenn meine Tante bereits verstorben sei. Er würde den Thron unseres Clans besteigen. Masao war dagegen. Er war ein Fremder! Was sollte er dort? Der Fremde lachte. Stellte sich als Kaito vor. Er trat zu uns und legte seine Arme um uns. Meinte, dass ich wohl sein Neffe sei und Rena seine Nichte. Masao griff ein. Sagte er solle die Finger von uns nehmen und plötzlich hatte er ein Messer in der Schulter. Er lief violett an und kippte um. Keiner wagte es mehr etwas gegen Kaito zu sagen. Kaito... der Meister des Giftes... Es war ab da geklärt. Masao starb daran nicht. Er überlebte es. Das Gift hatte ihm allerdings die Gehfähigkeit genommen. So saß er meist herum. Masao verfügte, dass Kaito als Erbe akzeptiert werden würde ABER nur verwalten sollte. Bis ich das rechte Alter, also 18, erreicht hätte. Später änderte er das in 16. Als Kaito herausfand, was in einigen Jahren geschehen würde, da beschloss er mich und Rena zu beseitigen, denn Rena wäre nach mir eine Gefahr für ihn. Gut, er kümmerte sich eh nicht um uns. Ich musste ihm Wein bringen. Rena durfte nicht weine. Wenn sie weinte, bekam sie einen Schlag von ihm. Dann tröstete ich sie. Eines Tages bei Nacht und Nebel führte uns Kaito in die Wälder. Es war eiskalt. Und Rena klammerte sich an mich. Noch heute träume ich von dieser Nacht. Von Rena, die sich an mir fest hält und immer wieder fragt: Rak, Rak? Rakura, weißt du wo er uns hinbringt? Aber ich wusste es nicht. Und er sprach auch nicht mit uns. Er band unsere Hände zusammen und führte uns wie an einer Leine. Dann irgendwo im Nirgendwo blieb er stehen und wir warteten. Bis drei Männer herkamen. Höhere Dämonen. Und gleich ein paar der schlimmsten. Wolfsdämonen. Kaito sprach mit einem von ihnen. Kaito wollte uns ihnen verkaufen. Als Sklaven. Mich kaufte er sofort. Aber Rena... die empfand der Wolf als zu jung. Kaito zuckte mit den Schultern und zog sie an sich. Sie sah mich an... mit ihren großen, grünen Augen... Sie hauchte noch ein: Rak und dann... schnitt er ihr die Kehle durch. Ich schrie. Doch die Wölfe packten mich und zerrten mich weg. Da begann mein Martyrium. Lange... lange lebte ich unter ihnen. So verflucht lange... Jahrzehnte! Angekettet und schwach. Schlag um Schlag verpassten sie mir. Die Narben an meinem Körper... sie fügten sie mir zu! So musste ich aufwachsen!", er biss die Zähne zusammen. Dass er eine Schwester hatte... das hatte ich nicht gewusst. „Rakura... wie lange warst du dort?", wollte ich wissen. Er schnaubte. „Ich weiß es nicht einmal. 50 Jahre? 60? 70? Mmh... viele kamen und gingen. Kinder wurden geboren. Anführer starben. Neue wurden geboren, wuchsen auf, regierten und starben und so weiter. Vielleicht war ich auch ein Jahrhundert dort. Sie hielten mich für einen treuen Diener. Kaum einer wusste mehr woher ich kam. Ich war der Älteste von allen. Keiner, der lebte als ich in den Clan gezerrt wurde, lebte als ich ausbrach. Keiner wusste mehr, dass ich einst ein hoher Erbe war! Keiner wusste mehr... aber ER wusste es... Kaito. Er lebte... lebte als hoher Anführer während ich als Sklave fristen musste... Ich trainierte heimlich. Nächte durch! Jahrelang! Eines Tages... da war ich stark genug um meine Ketten zu zerreißen. Ich tötete den Anführer des Wolfsclans, der mich als seinen Sklaven hielt. Dann seine Familie. Ich beschmierte mich mit dessen Blut um meinen Geruch zu verbergen. Als die Wachen bemerkten, dass ich fort war... da war es schon zu spät. Ich war geflohen! Voll Wut rannte ich durch die Sümpfe. Lange musste ich nicht irren! Mein Körper fand den Ort! Ich rannte in den Clan. Dort kannte mich keiner mehr. Nur Kaito. Doch erkannte er mich nicht. Ich bat ihn um Hilfe, wollte mich einschleichen, doch er scheuchte mich fort. Einige Monate blieb ich etwas in dieser Gegend. Ich hatte einen Plan. Ich wollte zu Macht kommen! Die Hohen stürzen! Mir das holen, was mir zustand und noch viel mehr für all die verlorenen Jahre! Und Rache... für Rena. Aber das Problem war... ich war zu nahe bei den Wölfen geblieben. Der Wolfsclan entdeckte mich und jagte mir hinterher. Ich rannte. Sie erwischten mich. Verletzten mich am Bein. So musste ich kämpfen. Sie trieben mich weit. Jagten mich. Lange... Irgendwann stellte ich mich ihnen. Ich ging zum ersten Mal in meinem Ganzen Leben in animalische Gestalt. Und ich schlug um mich. Gewann... konnte es selbst nicht glauben. Zum ersten Mal in meinem Leben schmeckte ich das Blut meiner Feinde. Einige Ratten kamen auf mich zu. Fragten mich, ob ich das getan hätte um sie zu befreien. Ich bejahte um mir ihre Gunst zu sicher. Sie bedankten sich... zogen eine Weile mit mir herum und jagten für mich. Verließen mich aber mit den Jahren. Einige Jahre irrte ich so durch die Länder. Forderte Hohe heraus um sie zu stürzen. Die Ratten vergötterten mich. Eines Tages war ein Clan zu stark. Ich gewann zwar, doch sehr verletzt. Ich verlief mich. Und auch wenn die Ratten mich liebten... helfen taten sie mir nicht. Ich war hungrig. Durstig. Mittlerweile war ich ein Mann geworden von... ich weiß nicht... ob ich damals schon ein Jahrhundert lang gelebt hatte... Ich weiß ja leider nicht wie lang ich bei den Wölfen war... Aber da fand ich eben dich. Und den Rest... den kennst du ja. Und kaum hatten wir eine Armee... da musste ich einfach als erstes gegen Kaito ziehen.", erklärte er. Ich nickte. Nun verstand ich das Gestammel der Schlange als Rakura ihm seinen Namen nannte. Kaito hatte, als man ihn gefesselt hatte und Rakura sein Messer zog, alles gestanden. Damals für mich unergründliche Worte. Jetzt verstand ich es. Kaito hatte von Mord gesprochen. Von einigen. Er hatte einen Mord an einem Kenzo und an einer Hina gestanden. Also an seinen Eltern. Er hatte gestanden ihnen Gift untergemischt zu haben, das selbst eine Schlange nicht überleben konnte. Dass sie sich sogar lange gehalten hatten. Er hatte gestanden, seine Ehefrau im Schlaf erwürgt zu haben. Er flehte Rakura um Vergebung an. Doch wie hätte es mein Herr vergeben können? „Ja... Gerne hätte ich dir dabei geholfen aber..." „Schon gut. Du warst ein Kind. Schade, dass der ganze Clan dabei starb. Aber gut ich kannte eh keinen von ihnen. Ich war ein Fremder im eigenen Land geworden. Aber nun gut. Mein Reich ist heute deutlich größer! Endlich. So viele Jahrzehnte. Es hat sich ja gelohnt. Aber gerne... gerne hätte ich Rena bei mir. Ich träume manchmal von ihr. Von einem kleinen Mädchen, das mir auf den Schoß springt und Königin spielt. Sich hinter meinem Mantel versteckt, wenn die Offiziere kommen mit ihren tiefen Narben... Aber auch wie sie heute wäre. Von einer wunderschönen jungen Frau mit rabenschwarzen Locken im grünen Kleid, die an meiner Seite regiert... an der Seite ihres großen Bruders. In meinen Träumen ist sie so frech, dass sie mich sogar vor den Generälen Rak nennt... Und dich nennt sie dann immer Arki.", er seufzte, lächelte aber versonnen bei dem Gedanken an seine verstorbene Schwester. Ich sah ihn an. „Aber gut. Gehen wir zum Schreiber und erzählen ihm, wie aus einem mächtigen Erbe, ein starker Redner und ein deutlich mächtigerer König wurde. Kaito und die Wölfe lassen wir außen vor." „Und Rina?" „Auch nicht. Ich erzähle dir hier die Wahrheit. In der Wahrheit bin ich ein schlechter großer Bruder, der seine kleine Schwester nicht beschützen konnte. In den Büchern bin ich ein mächtiger Krieger. Gottgleich und du... in den Büchern bist du kein schmächtiger Junge bei seinem brutalen Onkel gewesen. In den Büchern wirst du ein Kind sein... das ich als Säugling fand. Bei einem Vulkan an einem Gewitter. Und dass du schon als kleines Kind Steine schleppen konntest die einem erwachsenen Mann zu schwer waren. Die Wahrheit bleibt zwischen uns. Die Legenden werden in den Büchern stehen. Wir müssen Götter in den Augen der Untertanen sein. Ich und auch du. Denn du bist mein Schild. Und an dich darf sich keiner wagen.", erklärte er und stand auf. „Aber komm... gehen wir.", bemerkte er und zog sich sein Hemd wieder an. Und ich tat es ihm gleich, bevor wir gingen.

Das süße Gift: Dämonisches BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt