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Eine Wunde war eine Sache. Eine Narbe auch. Von mir aus, hätte er mir auch einen kleinen Finger abschneiden können. Doch mein Augenlicht... meine Augen! Meine Sicht. Nie mehr könnte ich in die strahlend blauen Augen meiner Geliebten blicken. Nie mehr ihr Lächeln sehen. Nie mehr... nie mehr meinen Clan sehen. Ich konnte nicht länger Clanführerin sein! Ich war sinnlos! All meine Kraft... ich konnte sie nicht länger lenken! Es war vorbei. Niala Wotanstochter... war besiegt. Rakura hatte gewonnen. Nun musste ich mich beugen. Eine Rebellion war ausgeschlossen! Wie sollte ich sie führen? Ein starker Wolf mit wachen Augen hätte es schaffen können. Doch ein blinder Köter? Nein... „Niala?" „Ja?" „Du bist wach. Wie geht es dir?", wollte Bella wissen. „Besser... es... es tut nicht mehr so weh..." „Niala?" „Ja?" „In ein einhalb Wochen ist Neumond... wenn... wenn es bis dahin nicht besser ist, dann... dann bleibt es. Denn an Neumond, wenn du deine dämonische Kraft verlierst, werden die Wunden nicht richtig heilen. Ab da vernarben sie. Und wenn sie vernarben... Dann bleibst du blind.", hauchte sie. Ich hob überrascht den Kopf. „Besteht die Möglichkeit, dass ich wieder sehen könnte?" „Greno meint, vielleicht. Zum Teil. Vielleicht auch ganz, es ist reine Spekulation." „Aber... Bella, vergib, aber ich brauche dringend einen Strohhalm an den ich mich klammern kann...", hauchte ich. „Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen. Aber... ja. Ich denke du kannst es schaffen. Wenn es einer schafft, dann du. Bitte...", hauchte sie und lehnte ihre Stirn an meine. „Ich will wieder deine Blicke sehen. Ich will wieder die Liebe zu mir darin sehen. Die Leidenschaft zum Kämpfen. Ich will dich wieder jagen sehen. Ich will dein braunen Augen sehen. Wenn sie mich anlächeln. Oder mich dunkel und lüstern betrachten. Aber ich will, dass dein Blick wieder auf mir ruht.", hauchte sie. „Bella... ich liebe dich so sehr... aber... wenn ich... wenn ich blind bleibe...", hauchte ich und atmete tief durch. „Dann verlass mich. Bitte... lass mich gehen, lass mich sterben. Ein blinder Wolf taugt nichts. Ich kann dich dann nicht mehr schützen! Ich kann dich dann nicht mehr ansehen. Du brauchst jemanden, der deine Schönheit würdigen kann. Alles andere wäre falsch. Was soll die schönste Frau der Welt bei einer Blinden?", hauchte ich. „Bella?", hörten wir und ein Klopfen. Ich klammerte mich an sie. „Theo, was ist?", rief Bella. „Wir müssen die Lage besprechen.", erklärte er. „Komm rein.", bat sie und ich hörte das Knarzen einer Tür und Schritte. „Bella, wir müssen über das Kommende sprechen. Auch müssen wir Ora Wotanstochter informieren." „NEIN! Ora darf das nicht erfahren!" „Wolf, wenn du dein Augenlicht nicht wiedererlangst, dann wirst du sie informieren MÜSSEN! Sie ist deine Schwester! Wer soll denn den Clan leiten, wenn du nicht dort bist?", zischte er. Ich schluckte. Ja... wer sollte das? Ora. Sie war wohl die einzige. Aber Edmund nahm sie wohl ganz in Beschlag... auch wollte ich Ora dieses Joch nicht tragen lassen. „Niala?" „Theo." „Du kannst doch hören. Und riechen. Vielleicht... kann ich dir helfen. Dann bist du nicht ganz so sinnlos.", bemerkte Theo. Ich nickte. „Gib ihr doch erst einmal Zeit sich an das alles zu gewöhnen! Theo, sagte Greno schon, wann wir wissen, ob sie jemals wieder..." „Ja. An Neumond. Wenn sie dann sieht, gut. Wenn nicht dann... nie mehr.", erklärte er. Ich schluckte. „Woher weiß euer Heiler vom Halblingsfluch?", brummte ich. „Weil er einen Halbling kannte. Das war noch zu Zeiten von Bellas Großvater. Da war ein Halblingsjunge, erzählte er mir. Eine Frau aus dem Clan hatte ihn mit einem Menschen gezeugt. Eigentlich... eigentlich hatte sie nur mal einen Menschenmann ausprobieren wollen doch das Schicksal hatte ihr einen Sohn geschenkt. Sie trank das süße Gift nicht. Den Jungen liebte sie aber. Jedenfalls wurde er bei jedem Neunmond zum Menschen. Greno sagt, wenn du am Neumond noch nicht zusammengeheilt bist dann... wirst du es auch nicht mehr.", erklärte er. Ich nickte. „Soll ich nun deine Schwester informieren?", wollte er wissen. Ich seufzte. „Es muss sein, nicht wahr? Aber wie sage ich es ihr? Wenn... wenn die Hoffnung besteht, dass ich jemals wieder sehen kann... dann sage es so, als wäre es wahrscheinlich, dass ich sehen kann. Bitte...", bat ich. „Gut. Bella, brauchst du mich hier?" „Nein. Geh und sage es Ora. Aber bitte... gib Acht, dass jemand bei ihr ist. Vielleicht der Junge, Edmund. Sieh zu, dass er bei ihr ist, wenn sie es erfährt. Sie wird Halt brauchen.", bat Bella. „Gut.", ich hörte die Tür erneut und Bella zog mich enger an sich. „Du wirst schon wieder, Niala. Du bist doch mein Wolf. Meine Geliebte. Ich liebe dich.", hauchte sie und lehnte ihre Stirn an meine. „Ich will wieder werden. Aber Bella... wenn ich nicht mehr werde, verlasse mich. Keine Widerrede! Wenn ich blind bleibe. Wenn ich... wenn ich nie mehr deine strahlend blauen Augen sehe... dann verlass mich. Geh. Denn ich wäre es noch weniger wert als ich es eh schon bin, dich bei mir zu haben.", bat ich. Bella schluchzte. „Du wirst doch wieder. Irgendwie wirst du schon wieder!", hauchte sie und presste ihre Lippen auf meine. Ein Blitz durchzuckte meinen Körper. Ihr Kuss war so intensiv. So voll Gefühle. So voll Verzweiflung und Wehmut. Ihr Kuss nahm mich ein. Er zeigte mir, wie viel Angst meine Geliebte um mich hatte... Ich erschrak als ich heiße Tränen über ihre Wange laufen spürte. Schnell nahm ich ihr Gesicht in meine Hände und strich mit meinen Daumen die Träne fort, ohne den Kuss zu unterbrechen. „Danke.", hauchte ich als wir uns lösten. Unsere Lippen kaum einen Zentimeter voneinander entfernt. „W... Wieso?" „Weil du da bist. Ich liege in einem schwarzen See. Ich weiß nicht wo oben ist. Ich weiß nicht wo unten ist. Ich weiß nicht sicher, wo ich bin und wer mich sieht. Aber du bist da. Danke, dass du mein Fels bist.", hauchte ich. Bella klammerte sich an mich. „Natürlich, Niala. Du warst Jahre lang meiner.", sanft küsste sie meine Wange. „Ora soll mich nicht so sehen.", bat ich. „Dann wird sie das nicht. Kannst du stehen?", wollte Bella wissen. Ich nickte. Vorsichtig half mir Bella aufzustehen und unsicher stand ich da. „Warte... das hier hat dir Theo gebracht.", erklärte sie und drückte mir etwas in die Hand. Vorsichtig tastete ich den Gegenstand ab. „Ein... ein Wanderstock. Nein... länger... Bella... du... du reichst mir einen Blindenstock?" „Es muss sein, Geliebte.", hauchte sie. Ich schluckte schwer. Ich war eine Blinde mit einem Blindenstock... wie grausam konnte mir das Leben noch mitspielen?

Als ich Schritte hörte saß ich in Bellas Zimmer... schätzte ich zumindest. Den Stock hielt ich fest in der Hand und Feuer knisterte neben mir. „N... Niala?", hörte ich und sah, sinnloser Weise auf. „Ora...", lächelte ich und hörte sie näher kommen. Auch nahm ich deutlich ihren Geruch wahr. Trotzdem zuckte ich zusammen als ich ihre Hand auf meinem Knie spürte. „Niala was... ist es wahr?", hauchte sie. „Dass ich... geblendet wurde? Ja... Aber vielleicht werde ich wieder. Vielleicht. Oder ich bleibe blind.", hauchte ich und senkte den Kopf. „Niala aber... was nun?", wollte sie wissen. Ich atmete tief durch und dachte nach. „Nun...", begann ich. Wären Bella und Ora nicht in meinem Leben, so würde ich zu Ast und Strick greifen. Aber sie waren in meinem Leben und liebten mich. „Sie wird trainieren.", hörte ich Bellas Heiler und Schritte. Oder eher Sprünge und das dumpfe klacken seiner Krücke. „Wie?" „Einfach. Wolf?" „Ja?" „Siehst du, Ora Wotanstochter? Hören kann sie noch. Und riechen. Sie muss ihre anderen Sinne schärfen bis ihr Augenlicht zurückkehrt... wenn es denn zurückkehrt...", erklärte er. Ich blieb stumm. Bella war draußen um etwas im Clan zu erledigen. Ich klammerte mich an den Stock und hoffte nicht vom Stuhl zu fallen. Es war die Hölle... meine persönliche dunkle Hölle. „Bring sie am Besten heute gleich zurück. Wir nehmen eine Trage. Dann können wir sie mit einer Decke verstecken. Gehen kann sie zwar aber dauert es zu lange sie über all die Wurzeln zu führen.", erklärte er. „Gut...", hörte ich Ora und blieb sitzen. Ich konnte nichts tun. Ich musste mich führen lassen.



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Hi
Besser spät als nie. War bis eben unterwegs. Tut mir leid. ABER dafür kommt das nächste Kapitel so ca um 1... aber hey, es ist immer noch Nacht also zählts als Lesenacht :D

Das süße Gift: Dämonisches BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt