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Ich weiß, dass ihr Herz schnell klopft und sie sich vor Angst in die Hose macht, während wir vor der Haustür dieser Rosalinde stehen. Allein schon wegen dem Namen kann ich diese Frau nicht ernst nehmen, dabei bin ich ihr noch nicht einmal begegnet. Amani allerdings scheint echt Schiss zu haben, was ich lachhaft finde. Sie tut doch sonst immer so auf großes Mädchen, wieso hat sie jetzt plötzlich Muffensausen in dieses Haus zu gehen und sich ein bisschen mit einer Omi zu unterhalten?
Ihre Hand hängt leblos in meiner. Sie ergreift sie nicht richtig, was mich zugegeben ein bisschen nachdenklich macht. Als wir vor der Haustür ihrer Oma standen, hätte sie mir meine Hand am liebsten zerquetscht. Ich hätte es sogar für meine bescheuerte Idee, mich als ihren Freund auszugeben, verdient. Ihre Reaktion war jedoch lustig. Ihre Reaktion ist immer lustig, sobald man uns beiden in irgendeine Beziehungsschiene drückt. Sie wird dann immer rot und an ihrem Hals erscheinen so rote, kleine Flecken, die lustig aussehen. Sie ähnelt dann einem Streuselkuchen und merkt es nicht.
Na ja, wie auch immer. Ihre Hand hängt schlapp in meiner und ihre Augen sehen die braune Holztür so innig an, dass es mich nicht wundern würde, wenn ihr Blick plötzlich ein Loch in das Holz brennt. Ich drücke ihre Hand ganz schnell und kurz, damit sich ihre Aufmerksamkeit mir widmet. Ich sule mich quasi darin, wenn sie mich aufmerksam ansieht. Und noch mehr genieße ich es, sie immer wieder ein wenig auf die Palme zu bringen. Wenn sie wütend ist, läuft sie ebenfalls rot an, und ich finde dieses kirschrote Gesicht durch und durch witzig. Ich finde es nicht nur witzig, sondern auch gleichzeitig interessant zu sehen, wie sie auf mich reagiert, und damit meine ich nicht ihr sich veränderndes Aussehen. Damit meine ich die Art, wie sie anders zu atmen beginnt, und wie sie meinen Blick zu entziffern versucht. Vielleicht denkt sie, mir würde entgehen, wie sie mich anstarrt, selbst wenn ich sie mal nicht darauf hinweise, oder wie sie meine Augenfarbe jedes Mal identifizieren will. Sie denkt wahrscheinlich auch, dass mir das nicht klar ist, wenn sie mir so genau und dringlich in die Augen sieht, aber mir ist vollkommen bewusst was sie da eigentlich macht.
Und dann gibt es da noch die Momente, in denen ich sie wie ein Blöder anstarre. Nicht etwa, weil ich sie einfach nicht verstehe, so wie sie mich nicht zu verstehen scheint, sondern weil ich manchmal nicht glauben kann, dass ich tatsächlich so ein riesiges Arschloch bin und sie in meinem Haus gefangen halte, beziehungsweise nicht gehen lassen will. Ich kann ihre Wut darüber verstehen und nachvollziehen, aber ich kann das nicht ändern. Sie gehen zu lassen, wo sie schon so viel weiß, das würde alles in Gefahr bringen. Das könnte für uns alle das Gefängnis bedeuten, wenn auch nur eine Person etwas falsches erfährt. Das könnte mein Leben, unsere Leben in den Ruin stürzen. Das würde bedeuten, dass ich Jerome und fucking Zach nie in die Finger bekomme. Ich muss die beiden kriegen. Nicht nur, um zu beenden, was die beiden schon jahrelang mit Menschen abziehen, sondern auch um mich zu rächen.
Amani's braune Augen sehen zu mir hoch. Manchmal sehe ich selbst ihre Augen zu mir hoch sehen, wenn sie nicht bei mir ist. Manchmal stelle ich mir genau diese Reaktion sogar vor. Manchmal will ich, dass sie so zu mir hoch sieht, denn ihr Blick löst etwas aus, was ich nicht beschreiben kann und von dem ich noch nicht sicher bin, ob ich es mögen oder hassen soll. Dass sie meinen Verstand immer wieder so durcheinander bringt, macht mich krank und schwach. Ich hasse es, mich so zu fühlen und keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können. Für uns beide wäre es besser, wenn wir Abstand halten, und doch halte ich ihre Hand und sehe in diese Rehaugen, die von langen, dunklen Wimpern umrandet werden.
"Hör auf so nervös zu sein, du musst ganz cool bleiben.", zische ich ihr leise zu. Mein Tonfall klingt zu warm für meinen Geschmack. Sie darf nicht denken, dass sie für mich zu einer wichtigen Person wird. Das wird sie nicht, so weit lasse ich es nicht kommen. Ich hatte gestern Nacht wieder einen Aussetzer, in dem ich nicht mehr auf meinen Kopf gehört hab. Das darf nie wieder passieren. Sie darf gar nicht erst glauben, so etwas könnte wieder passieren.
"Obwohl cool sein auch nicht dein Fachgebiet ist.", setze ich mit eisiger Stimme nach.

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AWAKE
FanfictionDas Leben kann einen Menschen in die Knie zwingen - das musste Amani schnell feststellen. Mit ihren zwei Jobs versucht sie seit Jahren den Rest ihrer Familie über Wasser zu halten. Freizeit ist für sie eine Seltenheit und ihren Vater noch nüchtern z...