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Paris.

Immer, wenn ich an diese Stadt gedacht habe, hatte ich all sie Sehenswürdigkeiten im Kopf. Ich hatte hübsche Franzosen mit süßen Akzenten im Kopf. Ich hatte einfach eine Vorstellung, an die ich mich geklammert habe und die ich nicht ändern wollte. Ich hatte dieses Abbild von Schönheit im Kopf. Ich hab an das Parfüm gedacht, an Jean Baptiste Grenouille und all das, was diesem Charakter in Paris passiert ist. Wie sein Meister in einem Haus auf der Pont au Change gelebt hat. Ich hab an die Dinge gedacht, die einem in der Schule beigebracht wurden.

Jetzt sind wir in Paris, und es ist hier so hässlich wie eh und je. Wir fahren durch verdreckte Straßen, die vielleicht die wahre Schönheit im Inneren der Stadt verstecken, aber ich habe dennoch nie so viel Schmutz gesehen. Es wirkt hier leer und kaum erträglich, total verkümmert und einsam. Ardy sagt zwar, dass Paris eigentlich schön ist und wir gerade bloß durch ein ärmeres Viertel fahren, das viel vom Altbau hat, aber ich kann mich nur auf die Menschen hier konzentrieren, die alle aussehen als hätte man ihnen jede Fröhlichkeit genommen.
Ich will allerdings auch nicht wissen wie ich aussehe, denn mir hat man ein Stück meiner Fröhlichkeit genommen. Genommen und hierher verschleppt.

Ich sehe zu T's Hand, die meine drückt, und dann hoch zu seinen Augen. Sie sehen mich an, innig und mit einem Fragezeichen ausgestattet, und ich verziehe meine Lippen zu einem künstlichen Lächeln, denn ein echtes kann ich nicht aufbringen.

Es wird heller um uns herum als wir um eine Kurve biegen, und aber dann eine weitaus hellere Straße begegnet. Das helle, schöne Paris, dessen Altbau nun wunderschön und anziehend aussieht. An manchen Straßenecken stehen Verkäufer mit ihren Ständen und bieten frisches Obst, Baguette oder Käse an. In meinem Kopf habe ich mir Franzosen immer mit einem typischen Oberlippenbart vorgestellt, doch niemand hier sieht auch nur annähernd so aus. Wenn sie nicht gerade französisch sprechen, könnten sie auch genau so gut aus meiner Nachbarschaft stammen. Sie könnten nach Köln gehören. Paris wird innerhalb von Sekunden zu einer Stadt, die ich zu mögen beginne, und ich sehe T an, dass auch er diese Stadt für besonders hält.

"Wo sind sie?", höre ich Marley Ardy von vorne fragen, der darauf antwortet: "Ihr Wagen steht in der 2 Avenue Franco-Russe." Er sagt das mit einem beabsichtigt französischen Akzent, woraufhin er von Marley kurz angesehen wird. "Das ist in der Nähe vom Eiffelturm."

"Wir fahren zum Eiffelturm?", sagt T neben mir. Ich sehe auf der Straße eine Frau, die sich lautstark mit einem Mann unterhält. Ich verstehe zwar nicht, was gesagt wird, aber ich mag ihr dunkelblaues Kleid mit den weißen Schleifen darauf. Der Mann lacht sie etwas eingeschüchtert an. Er ist der erste hier, den ich sehe, der einen Oberlippenbart trägt. Ich muss leicht lächeln.

Austin hätte mich jetzt bestimmt gefragt, was die Leute denn da reden, und ich hätte mir was ausgedacht, was ihn zum Lachen gebracht hätte. Ich hätte mit ihm gelacht. Austin wollte immer schon in die großen Städte, die nicht Köln sind. Er hat mir eine Zeit lang immer erzählt wie er in einem Bilderbuch Kopenhagen und Berlin und Bangkok und Paris gesehen hat, und wie dringend er doch dahin möchte. Eines Tages, hab ich gesagt, fahren wir in einem Mini-Bus um die ganze Welt. Und der ist dann bemalt mit bunten Blumen und drinnen kann man schlafen und überall werden dann Kissen und Decken liegen.

"Wir fahren zum Eiffelturm.", bestätigt Marley und biegt auf eine stark befahrene Straße. Er gliedert sich in den Verkehr ein. Im Radio läuft Shiver von Coldplay. "Und dann schauen wir mal, was diese Dreckskerle so treiben."

"Wir sollten uns eine Unterkunft suchen.", stellt T neben mir klar. Seine Hand zieht meine auf seinen Schoß, wo er sie nun mit beiden Händen umhüllt. "Schließlich wissen wir nicht, wie lange wir bleiben."

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