Es ist dieser eine Moment, der das Schweigen hier drinnen erträglich macht. Die Stimmen von uns versagen seit einiger Zeit, die Schlüssel liegen kalt in meinen Händen. Meine Beine berühren die des blonden jungen Mannes, der reglos aus dem Fenster schaut und seine Hände verkrampft in den Sitzbezug gekrallt hat. Die beiden anderen sitzen vorne, nehmen uns hier hinten gar nicht mehr wahr. Meine Haare lassen Tropfen auf meine nasse, triefende Kleidung fallen, und meine Haare kleben an meinen Wangen und auf meiner Stirn. Meine Beine fühlen sich eisig an, genau wie der gesamte Rest meines Körpers. Selbst mein Inneres fühlt sich eiskalt an, total ausgekühlt vom Wetter. Doch es ist nicht der Moment, in dem ich zu ihm sehe und er einfach aus dem Fenster schaut, total gedankenverloren, während wir über eine Landstraße fahren, der alles erträglich macht. Es ist nicht der Moment, in dem ich die nassen Haare auf seiner Stirn sehe, die nun so dunkel aussehen, und mir vorstelle, wie ich sie wegstreichen und ihn damit überrumpeln könnte, einfach da ich den Drang dazu habe. Es ist auch nicht der Moment, in dem von vorne leise Stimmen nach hinten dröhnen, die aus dem Radio kommen und sich zu einem Song von Maroon 5 entwickeln, den ich mag. Es ist Payphone. Aber nein, das ist auch nicht der Moment, der das Schweigen erträglich macht.
Es ist der Moment, in dem sein Blick meinem begegnet. Ich beobachte ihn schon ein Weilchen, studiere seinen verlorenen Blick nach draußen und stelle mir immer wieder vor, wie sich seine Haare wohl gerade anfühlen müssen, auch wenn ich mir diese Vorstellungen verbieten will. Er kaut auf seiner Unterlippe herum und das Septum in seiner Nase hängt schief. Ich frage mich, ob er das wohl weiß, und wenn ja, ob er es richten will oder es mag, wenn das Septum schief hängt. Ich merke, wie seine Tattoos im Tageslicht unter der nassen Haut leuchten. Wie Ich ihn mir gar nicht ohne sie vorstellen kann, denn ich kenne ihn nur mit ihnen. Ich denke, er wäre nicht er, wenn diese schwarze Tinte nicht in seiner Haut verankert wäre. Und ich denke, jeder der ihn in dem Sinne ändern will, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Es ist der Moment, in dem ich blinzle und seinen Mund zu lange anschaue, um nicht zu merken, dass er seinen Kopf in meine Richtung geneigt hat. Um zu merken, dass seine himmelblauen, manchmal ozeanblauen, manchmal mehr grauen Augen mich ansehen. Sie haben dieses Strahlen - Ich könnte ewig über seine Augen sprechen, fantasieren oder sie einfach nur wort-und gedankenlos anschauen.
Er ist so so falsch für mich, das weiß ich.
Die ganze Situation, in der ich mich befinde, ist so unfassbar falsch, surreal und komisch, dass ich wohl verrückt werde, wenn ich sie auseinandernehmen würde.Er erwidert meinen Blick so ernst, furchtlos und ohne irgendeine Regung zu zeigen, dass mir wieder ungut wird. Ich schaue aber nicht weg, im Gegenteil - Ich begegne seinem ernsten, kühlen Blick als gäbe es für mich nichts anderes mehr. Er schluckt, das sehe ich im Augenwinkel, aber er sieht nicht für eine einzige Sekunde weg. Ich presse meine Zähne aufeinander, Anspannung zieht durch meinen Körper wie Feuerwerke in den Himmel in einer Silvesternacht. Sein Blick ist starr, seine Mimik lässt auf nichts ahnen. Er ist wieder ein einziges Geheimnis, das ich noch immer nicht ganz entschlüsselt habe. Ich weiß von Sophia, doch nicht viel mehr. Ich weiß nur die Dinge, die ich wissen darf. Das gibt nicht viel über ihn Preis. Ich weiß kaum etwas von ihm, denn er zeigt mir wenig. Ich kenne ihn eigentlich nicht. Ich sehe ihn in die Augen und fühle mich aufgehoben, aber ich kenne ihn nicht, was mich beunruhigen sollte. Ich bin aber überhaupt nicht beunruhigt, eher neugierig auf mehr.
"You turned your back on tomorrow
'Cause you forgot yesterday
I gave you my love to borrow
But you just gave it away
You can't expect me to be fine
I don't expect you to care
I know I said it before
But all of our bridges burned down", kommt von vorn aus dem Radio.
"I've wasted my nights
You turned out the lights
Now I'm paralyzed
Still stuck in that time when we called it love
But even the sun sets in paradise"
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AWAKE
Hayran KurguDas Leben kann einen Menschen in die Knie zwingen - das musste Amani schnell feststellen. Mit ihren zwei Jobs versucht sie seit Jahren den Rest ihrer Familie über Wasser zu halten. Freizeit ist für sie eine Seltenheit und ihren Vater noch nüchtern z...