••44••

289 31 17
                                    

Tag 5 und 6 verlaufen relativ einsam. Ich denke viel nach. Ich denke sehr viel nach, aber am meisten denke ich an T und daran, ob er noch lebt und ob jemand ihn gerettet hat. Zach kommt ab und zu um zu schauen, ob ich noch nicht an meinem Hunger umgekommen bin. In seinem Gesicht sieht man nun deutlich das Ergebnis meines Trittes, genau wie bei Diego, und ich hab Jerome darüber nur im Hausflur fluchen hören. Ich warte mit jeder Stunde auf das, was Zach mir gedroht hat, und so lange noch nichts derartiges geschehen ist, kann ich aufatmen. Ich kann generell aufatmen, da er momentan nur so selten nach mir schaut. Er denkt wohl, dass ich klarkomme, was ich auch tue. Meine Gedanken kommen allerdings von Tag zu Tag immer weniger klar.

Am 7. Tag, den ich nur als 7. Tag entziffern kann, da ich die Sonne morgens aufgehen sehen kann, weiß ich, dass sich schon wieder alles ändert. Zach kommt morgens zusammen mit Jerome ins Zimmer. Meinen Anblick im Spiegel gegenüber habe ich schon lange aufgegeben - Ich sehe schrecklich aus.

"Guten Morgen, guten Morgen", säuselt Jerome. Sein Sohn sieht aus, als hätte man ihn bei lebendigem Leibe überfahren. Sein blaues Auge umrahmt sein Gesicht mehr als was anderes es je hätte tun können. Auf seiner Nase sitzt ein Bluterguss und seine Lippe hat eine deutliche Kruste. Vielleicht hat ihm das auch gezeigt, dass er mich nicht mehr anfassen sollte, wenn ihm was an seinem hübschen Gesicht liegt.

Ich sehe zu ihm rüber, bleibe aber stumm liegen. Mein Hals hat bestimmt bereits Abdrücke vom Seil, das darum liegt, genau wie meine Hände und Füße. Das Seil, das um meinen Bauch liegt, nehme ich manchmal schon gar nicht mehr wahr. Es verstärkt bloß meine Übelkeit. Meine Augen wandern zurück zur Zimmerdecke.

"Da ist aber jemand gut gelaunt."

"Sie ist seit Tagen so.", grummelt Zach, der mit seinen Händen meine Füße berührt und meinen boshaften Blick auf sich zieht, der ihm den Todeszuspruch zuwirft. Ich würde ihm eigenhändig die Augen auskratzen, wenn ich könnte.

"Wenn ich du wäre, würde ich deine dreckigen Hände von meinem Körper nehmen.", warne ich ihn. "Oder willst du einen gebrochenen Kiefer?"

Zach lacht auf und sieht zu seinem Vater rüber, der nur amüsiert einen Mundwinkel hebt und damit ein Grübchen auf der linken Seite entblößt.

"Sie ist lustig, oder?"

"Ja, zum totlachen.", antwortet Jerome beiläufig als er mit seiner Hand über meine Wange streichelt. Die Wange, die sein Sohn vor Tagen noch erwischt hat. "Und du willst sie sicher mit zu deiner Großmutter nehmen?"

"Ich will sie nirgendwo mit hinnehmen. Hast du sie dir mal angesehen? Sie sieht aus wie ein dreckiges Hausmädchen. Aber ich habe Großmama gesagt, dass ich Sophia mitbringe, und da Sophia nun nicht mehr da ist, muss ich wohl wen anders mitbringen."

Ich soll mit zu Zach's Großmutter?
Ich verstehe die Welt nicht mehr.

"Ich werde Aubrey sagen, dass sie sie hübsch machen soll.", fordert Jerome an, lässt seine Hand von mir schweifen und sieht zu seinem Sohn, dessen Hände nun auf meinen Beinen liegen.

"Ich soll deine Freundin spielen?", richte ich an Zach, der sein halbes Grinsen kaum noch aus dem Gesicht bekommt. Er sieht lachhaft aus. Er ist der, über den man lachen sollte.

"Meine Großmutter denkt, ich führe ein geregeltes Leben als Angestellter in einem Autohaus. Sie denkt, dass ich mit Sophia zusammen bin, aber sie hat sie noch nie kennengelernt."

"Das wundert mich nicht.", lache nun ich, aber werde von Jerome bloß mit einem herabwürdigenden Blick bestraft. Er verlässt wortlos den Raum. "Ich soll Sophia sein? Du willst mich deiner Großmutter vorstellen und denkst, dass ich das mit dir durchziehe, nachdem du mich nahe zu vergewaltigt und angefasst hast? Bist du krank?!"

AWAKE Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt