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Im Mittag des nächsten Tages steht der weiße Lieferwagen geparkt vor dem kleinen Hügel. Meine Schuhsohlen sind nass vom Gras unter meinen Füßen. Meine Augen sehen die Laterne am Baum hängen. Keine Ahnung, was für ein Baum das ist. Er sieht jedenfalls echt alt und morsch aus. T lässt sich von all den Dingen um ihn herum nicht beeindrucken, auch nicht von den Menschen, die draußen in ihren Gartenstühlen sitzen und die vom Regen durchtränkte Luft einatmen. Manche von ihnen sind noch im Schlafanzug, andere kochen Mittagessen auf einem Einwegherd.

Das Campingleben wäre nichts für mich. Absolut nicht. Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum Sophia zu finden. T's Schritte kann man kaum einholen, wenn man nicht gerade Marley ist, der mit riesigen Schritten an mir vorbeizieht und zu T aufschließt, der mit seinen Augen bereits wild aus der Ferne den zu großen Wohnwagen abscannt. Der Ford Expedition ist nicht da, aber das heißt ja nichts.

"Er sieht aus wie ein Bluthund, der eine Spur gewittert hat.", taucht Ardy neben mir auf und bleibt mit einem gewissen Abstand zu T und Marley vor dem Wagen stehen. Ich aber gehe weiter.

T hat Marley und Ardy heute morgen angerufen und ihnen erzählt was passiert ist. Die beiden haben sich unserer Aktion angeschlossen. Jetzt stehen wir vier hier und haben keine Ahnung, was genau uns erwartet und was wir überhaupt erwarten sollen.

T sieht durch das Fenster am Wohnwagen, Marley steht da, wo der Ford letzte Nacht geparkt hat, und ich geselle mich zu T um ebenfalls in den Wohnwagen zu schauen. T's Körpersprache sagt bereits das, was ich jetzt gerade auch sehe.
Nichts - alles ist still, leer und gleichzeitig beunruhigend.

"Keiner da?", fragt Ardy als hätte er genau das bereits geahnt. Seine Augen fliegen rüber zu Marley, der genau neben einer Reifenspur des Autos steht.

"Ich bringe sie um.", pflichtet T. Er geht zu der verschlossenen Tür rüber und rüttelt einige Male daran, bis ihm der Geduldsfaden reißt. Er kramt ein Klappmesser aus seiner Hosentasche, entfaltet es, steckt die Spitze in das Türschloss und ein Klick ertönt. Die Tür öffnet sich. "Und dann zertrümmerte ich ihre Knochen mit einem beschissenen Hammer."

"Beruhig dich", sagt Marley, aber T reagiert nicht. Er steigt in den Wohnwagen ein als wäre es sein eigener. Ich gehe ihm nach, auch wenn mein ungutes Bauchgefühl mich davon abhalten will.

"Sag du mir nicht, was ich tun soll.", grummelt T zurück. Seine Finger berühren Papiere, die auf einem kleinen Tisch total zerstreut herumliegen.

Er durchwühlt sie vorsichtig und sorgfältig, damit es auch nicht großartig auffällt. Ich gehe zu ihm rüber und schaue mir eine Mappe aus Pappe an, die hellbraun und echt zerfleddert ist. Sie sieht alt aus, hat sogar ein Loch auf der Rückseite. Kurz sehe ich zu Ardy und Marley, die sich draußen positioniert haben und in die Ferne blicken wie Wachhunde, dann öffne ich den Pappordner und schaue runter auf etwas, das für mich in den ersten Augenblicken keinen Sinn ergibt.
Ich sehe auf ein Foto, das rechts oben mit einer roten Büroklammer angeheftet wurde. Das erste auf dem dünnen Blatt ist eine fettgedruckte Nummer, deren Bedeutung ich nicht verstehe, und direkt darunter befindet sich eine Anzahl von Spalten, die ausgefüllt wurden.

Name:
Vorname:
Geburtsdatum:
Staatsangehörigkeit:
Augenfarbe:
Haarfarbe:
Größe:
Gewicht:
Wohnort:

Doch das ist nicht das, was mich am meisten erschreckt. Es ist die Zeile, die sich mit einigen Zentimetern Abstand wieder darunter befindet. Deren Fettdruck mich erschaudern lässt.

PREIS:

All diese Zeilen sind ausgefüllt. Ich lese die Daten erneut durch, während mich die Augen des Mädchens ansehen, das sich auf dem Foto befindet. Das Foto sieht eigentlich aus wie ein schlecht aufgenommenes Passfoto, wäre da nicht die Tatsache, dass das Mädchen auf dem Bild einen so leeren Blick hat, dass man sie für innerlich tot halten könnte.

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