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T.

Mein Herz liegt schwer in meiner Brust und meine Lunge fühlt sich an, als hätte sie schon vor einer Ewigkeit ihren Nutzen aufgegeben. Meine Augen liegen auf diesem Mädchen, dieser jungen Frau, und ich fühle mich wie gefallen. Als wäre ich soeben einen Wolkenkratzer hinab gestürzt, direkt in die Tiefe, von niemandem aufgefangen. Ich sehe sie nur an, und da ist dieses Kribbeln in mir, das mir eine Scheißangst macht.

Ich weiß, dass ich sie liebe. Das weiß ich schon eine ganze Weile, und als sie mir gesagt hat, dass sie mich liebt, da wollte ich ihr dasselbe sagen. Ich wollte ihr so oft dasselbe sagen, aber ich konnte es nie. So, als hätten mich meine Dämonen zurückgehalten.

Ich kann mich sehr genau an das erste Mal erinnern, als ich sie gesehen habe. Sie ist bei ihrer Großmutter eingezogen und ich hatte ja keinen Schimmer von ihrem Leben. Ich hatte keine Idee, was für eine Person sie doch ist. Ich hatte von nichts eine Ahnung, und jetzt steht sie vor mir und ich fühle mich, als hätte ich soeben noch die Welt erklommen und wäre danach in den Abgrund gefallen. Sie hat das Seil, an dem ich die ganze Zeit hing und das mich sicherte, einfach durchtrennt, und jetzt befinde ich mich im freien Fall, aber keiner kann mich auffangen.
Keiner, nur sie.
Ganz allein sie.

"Bitte sag was..."

Ich trete einen Schritt näher, doch sie sieht mich weiterhin an als wäre ich ein Serienmörder, der sie jeden Moment umzubringen versucht. Ihr Mund steht offen. Sie blinzelt, aber ich kann erkennen, dass sich ihr Kopf, ihre Seele ganz woanders befindet.

"Am-"

"Du liebst mich?"

Natürlich tu ich das! Wie könnte ich sie nicht lieben? Wie könnte irgendjemand auf dieser verdammten Scheißwelt sie nicht lieben? Wieso fragt sie mich das überhaupt?

"Ja", sage ich, und meine Stimme hat sich noch nie kleiner und betroffener von etwas angehört. "Hast du dich mal erlebt? Wie könnte dich irgendwer nicht lieben, verdammt?"

Sie atmet aus, ich höre es. Ich höre ihren angestrengten Atemzug und sehe ihr dabei zu, wie sie sich gegen die Tür lehnt. Ihre Augen schließt, ihre Hand auf ihr Herz legt. Ich frage mich, ob es so schnell schlägt wie meins, und wenn ja, ob es so sehr für mich schlägt wie meins für sie. Und dann frage ich mich wieder, wann das alles angefangen hat, und stelle fest, dass es nie eine Zeit gab, in der ich sie grundlegend gehasst hab. Ich hab sie immer irgendwie gemocht, hab sie immer attraktiv gefunden und ich hab mich schon immer auf irgendeine Weise nach ihr verzehrt.

"Du bist-"

"In dich verliebt? Ja." Ich muss lachen. Je öfter ich das laut ausspreche, desto besser klingt es. Ich liebe sie. Ich liebe sie. Ich liebe sie. Ich bin nicht nur verliebt, ich..."Ich liebe dich."

Kopfschüttelnd kommt sie auf mich zu, schiebt ihre Hände in meinen Nacken und zieht mich zu sich runter. Meine Lippen haben ihre bereits vermisst, genießen den Geschmack und das bloße Gefühl, ihr einfach nur nahe zu sein und unsere Probleme für eine Sekunde zu vergessen. Sie küsst mich nicht sanft, sondern lenkt den Kuss direkt in eine Richtung, die für mich gefährlich ist. Wenn sie mich so küsst, dann löst das in mir Bedürfnisse aus, für deren Befriedigung jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist. Nicht, wenn man unsere Situation betrachtet. Ich lege meine Hände an ihre Wangen, schiebe sie nur kurz von mir, um sie dann ansehen zu können. Ihre langen Wimpern, die braunen Augen, die Stupsnase, die vollen Lippen, deren Anblick mich mehr fesselt als alles andere. Diesmal küsse ich sie sanft, mit einer Leichtigkeit bei der sie seufzt, was bei mir eine Gänsehaut auslöst. Sie löst bei mir eine Gänsehaut aus. Sie und niemand anderes.

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