Es ist alles um uns herum leise.
Ich sitze in T's Zimmer, sehe mir ein neues Bild an, das Austin gemalt hat, und für einen ganzen Augenblick steht die Zeit still. Die Zeit ist ein neuer Faktor, der mir Angst macht, denn sie rennt.
Seit Austin's Atemnot sind nun 22 Stunden vergangen. Ihm geht es wieder gut. T schiebt es auf eine einfache Panikattacke, aber ich schiebe es auf die kleine Lunge, die manchmal einfach noch immer nicht richtig Luft bekommt. Manchmal hustet er auch einfach so. Leise und unbemerkt, weil er genau weiß, dass ich sonst Drama machen würde. Austin hasst Krankenhäuser und Ärzte, ich hasse sie auch."Du bist so erwachsen geworden in der Zeit, in der ich nicht da war.", höre ich Sophia im Wohnzimmer zu ihrem Bruder sagen. Ich lehne meinen Kopf gegen die nackte, weiße Wand hinter mir. Austin ist eingeschlafen. Sein Kopf ruht an meiner Schulter.
"6 Jahre sind eine lange Zeit."
"Ich hab jeden Tag an dich und an Mama und Papa gedacht.", sagt sie. Ich schließe meine Augen. Gänsehaut erreicht meinen Oberarm.
"Ich hab dich immer gesucht, überall."
"Ich weiß"
"Und ich hab die ganze Welt dafür auf den Kopf gestellt."
"Ich weiß", sagt sie. "Ich hab's mitbekommen. Jerome und Zach haben oft geredet, weißt du."
"Was haben sie gesagt?"
"Nichts besonderes", antwortet sie ihm.
Die beiden reden noch eine ganze Weile über dieses Thema. Ich höre ihnen bloß zu, auch wenn ich das nicht sollte. Marley und Vivien sind nicht da. Sie wollten zu irgendeinem Markt, der am Abend toll beleuchtet sein soll. Ich fahre meinem Bruder durch die Locken. Ziehe sie glatt, nur um sie wieder in ursprüngliche Form springen zu lassen.
Nach einer Weile höre ich den Fernseher. Ich stelle mir vor wie sie dort sitzen, Schulter an Schulter, und einfach zusammen die Zeit genießen. Ich stelle mir vor, wie sie beide glücklich sind einander zu haben, und ich stelle sie mir lächelnd vor.Die Stimme von einem Nachrichtensprecher dringt zu mir durch. Direkt in mein Unterbewusstsein, denn meine müden Augen haben den Kampf gegen das Wachbleiben längst aufgegeben.
"Heute Abend, gegen 19.30 Uhr, hat sich ein tragisches Ereignis zugetragen. In Paris, Frankreich wurde eine Leiche gefunden."
Fuck.
Bevor ich auch nur großartig nachdenken kann bin ich wach, schleiche mich aus dem Bett und begebe mich zu T und Sophia ins Wohnzimmer. Beide sitzen kerzengerade auf dem Sofa, schauen den Fernseher wie gebannt an. Ich starre auf den flimmernden Bildschirm, auf dem man den Nachrichtenkerl vor einem Tatort sieht. Vor einem sehr hohen Haus mit einer Menge Fenstern.
Ich sehe zu Sophia.
Sie starrt als sei sie in einem Film gefangen."Das ist...", murmelt sie so leise, ich kann sie kaum verstehen.
Doch dann dämmert es mir.
Ich sehe die Haustür.Ich werde an einem Arm grob von ihm festgehalten. Der Anzug, der an seinem Körper sitzt, macht ihn nicht zu einem besseren Menschen. Sein Vater sieht mich mit eiskalten Augen an, aber seine braunen Augen schauen nicht gerade wärmer aus. Seine Finger brennen sich in meine Haut. Fleisch auf Fleisch, das sich dennoch abstößt wie Öl und Wasser. Seine Fingerabdrücke befinden sich wie Brandnarben auf meinem Körper, auf meiner Seele. Ich fühle mich in dem Kleid wie in einer wandelnden Discokugel. Meine Haare sind lästig. Meine Lippen kleben. Aubrey, die rothaarige Hexe, sieht mich aus dem Wagen heraus an, der direkt vor dem Gebäude parkt. Die Haustür unten, milchiges Glas und dickes Holz, haben wir bereits passiert. Ihr dämonisches Grinsen bringt mein Blut zum Kochen. Seine Stimme flüstert mir Kommandos ins Ohr. Gutes Benehmen, das will er von mir.
Ich steige in den Wagen.
Meine Augen scannen die Leute dort drinnen.
Ich sitze fest. Vorerst sitze ich noch fest.
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AWAKE
FanfictionDas Leben kann einen Menschen in die Knie zwingen - das musste Amani schnell feststellen. Mit ihren zwei Jobs versucht sie seit Jahren den Rest ihrer Familie über Wasser zu halten. Freizeit ist für sie eine Seltenheit und ihren Vater noch nüchtern z...