••3••

495 38 11
                                    

Der nächste Tag vergeht schleichend wie nie. Ich sitze viel mit meiner Oma zusammen, unterhalte mich mit ihr über die belanglose Dinge, und beobachte Austin, wie er mit seinen Spielzeugautos spielt. Die andere Hälfte vom Tag verschlafe ich tatsächlich.
Als ich am Nachmittag wieder wach werde, da ich von draußen irgendein Gebrülle höre, ist es dann mit meiner Müdigkeit am Ende.

Meine Beine stellen sich auf mein Bett, meine Arme stützen sich an der Deckenschräge ab, nachdem ich das Fenster offen gedrückt habe. Durch das Fenster in der Dachschräge habe ich einen perfekten Blickwinkel auf das Nachbarshaus, aus dem nach und nach Leute trudeln, die aussehen, als wären sie soeben von den Toten auferstanden. Der Muskelmann steht in der Tür des Partyhauses von letzter Nacht, hält sich seinen Bauch, und der Vollidiot sitzt in den Kieselsteinen vom Vorgarten. Seine eine Hand sieht blutig aus. Als hätte er wen verprügelt.

"Kommst du wieder rein?", fragt der Muskeltyp.
"Wenn ich mich bewege, kotze ich."
"Du hast schon die ganze Nacht hier verbracht, wie lange willst du noch da rumsitzen?"

Die ganze Nacht?
Ist er mir etwa noch hinterher gelaufen?
Unsinn, er ist nun mal er. Seine ersten Eindrücke haben mich jetzt nicht davon überzeugt, er würde mir hinterherlaufen wollen.

"So lange, bis ich nicht mehr reiern muss, Mary!"
"Du hättest den Vodka nicht mehr trinken sollen." Der Muskelmann namens Mary sieht auf den Blonden runter. Mit verschränkten Armen steht er nun nicht mehr an der Tür, sondern vor dem ehemaligen Beet.
"Ja-ha", antwortet Blondie dann augenrollend.
"Und Chester hättest du auch keine reinhauen müssen."

Er hat Chester geschlagen? Das muss dann aber nach meinem Abgang passiert sein. Chester sah, bis auf seine leeren, roten Augen, ganz okay aus.

"Er hat mich provoziert."
"Was hat er gesagt?"
"Irgendwas über die Bitch von nebenan und mich, keine Ahnung."
"Und dann haust du ihm einfach eine rein?", meldet sich nun auch noch der Braunhaarige, der in einem Bademantel gekleidet nach draußen tritt.
"Nicht du auch noch...", sagt Blondie, was den Braunhaarigen nur zum Lachen bringt.
"Ich hab mitbekommen, was er gesagt hat."
"Du?", lacht Blondie laut los, "Du hast nach deiner Vodkaflasche und dem Gras mit einem Wischer geredet und gedacht, das sei Marley."

Gras...Ja, das hab ich definitiv gerochen. Dieser Geruch ist unverkennbar und in Berlin fast an jeder Ecke zu riechen. Austin hat mich mal gefragt, was denn so stinken würde, und ich musste ihm irgendwie erklären, dass das nichts gutes sei.

"Du dachtest, ein Wischer wäre ich?!", wendet sich Marley nun an Bademantel, der mit den Schultern zuckt.
"War ne verrückte Nacht."
"Wem sagst du das...", kommt von Blondie, "Da kommt diese Irre auf unsere Party, will unsere Musik abstellen, dann lade ich sie ein, dann will sie nicht eingeladen werden, und am Ende feuert sie mir eine."

Ein Schmunzeln rutscht mir von den Lippen. Das aus dieser Sicht zu hören, ist ganz amüsant. Ich hätte ihm wahrscheinlich irgendwann so oder so eine gefeuert, ganz egal ob er mich nun angegriffen und beleidigt hätte. Und geküsst? Pah, das hätte ich im Leben nicht. Das würde mir nicht einmal im Traum einfallen.

"Was hast du zu ihr gesagt?"
"Nichts"

Ha ha ha, witzig.
Als hätte er einfach nur nichts zu mir gesagt.
Ich bücke mich, schließe das Fenster wieder. Diese Kerle sind genau die Sorte von Menschen, die aus ihrem Leben nichts machen werden. Sie feiern Partys bis zum Abwinken, sehen mir nicht nach Vollblutarbeiter aus und Drogen zu nehmen gehört anscheinend auch zu ihrem Alltag. Ich kann mir nicht erklären, wie man sich mit so einem Leben überhaupt über Wasser halten kann, aber das soll auch nicht mein Problem sein. Meine Probleme kann ich an zwei Händen abzählen, was zwar nicht wirklich gut ist, aber besser als mich vollrauschen zu lassen, um mit meinem Scheiß klarzukommen.

AWAKE Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt