Tag 8 in dieser Hölle ist eine regelrechte Zumutung für meine Laune. Ich sitze auf dem Bett, Zach vor mir, als plötzlich Jerome mit seiner rothaarigen Flamme durch die Tür kommt. Sie trägt einen furchtbaren Lippenstift und ihr Eyeliner ragt ihr bis zu den Augenbrauen, aber sie tritt auf als sei sie die Queen dieses Tages. Ich sehe zu Zach, der mich ansieht und nicht seinen Vater, und auf seinen Lippen bildet sich ein kleines, dummes Lächeln, das meinem wenig begeisterten Blick gewidmet ist.
"Was ist los? Ist jemand gestorben?", witzelt Jerome und beäugt das Seil, das mir um den Hals und dessen Ende in der Hand seines Sohnes liegt. Seine Augen wandern dann weiter zu meinen Füßen, die noch immer an dem Bettgestell gebunden sind. Meine Hände überkreuzen sich auf meinem Rücken. "Sie sieht besser aus."
Na klar sehe ich besser aus. Dein Sohn hat ja auch eine gute Stunde mit mir in diesem kleinen Bad verbracht.
Zach hat mich nach meiner Dusche zwar nicht mehr angefasst, aber ich hab ihm seine heitere Laune mehr als nur angesehen. Er hat mich viel zu lange begutachtet, als ich dann wieder auf dem Bett lag. Er hat mich generell viel zu lange angesehen, bei allem was ich getan oder nicht getan habe.
Ich schaue in seine Augen, deren natürliche Farbe meine Haltung beobachtet. Eine seiner Hände liegt auf meinem Knie und die anderen stützt seinen Körper ab. Er sitzt viel zu vertraut hier. Als würde er mir vertrauen.
Er sollte mir nicht trauen, und doch tut er es anscheinend - und wenn nur ein bisschen.Ein Bisschen reicht schon aus...
"Sie hat geduscht.", sagt Jerome's Sohn mit einem heiteren Ton. Ein freundlicher Ton, der dennoch sehr bestimmt ist. Er sieht dabei aber nicht seinen Vater an, sondern mich. Ich schaue weg.
"Und du hast zugesehen.", stellt Jerome fest. Seine Flamme steht wortlos neben ihm, sie ist still. Viel zu still. "War ja klar."
Zach gibt bloß ein verachtendes Lachen von sich, sieht aber zum Bett runter und achtet kaum noch auf seinen Vater. Jerome fordert ihn auf zu gehen, aber Zach weigert sich. Er sträubt sich gegen seinen eigenen Vater wie ein trotziges, kleines Kind. Er sieht nur kurz zu ihm hoch, aber sagt dann wieder nichts. Jerome verliert gerade so ziemlich die Nerven, doch sein Sohn tut nichts, um das ein wenig zu lindern. Aubrey sieht mich wie eine giftige Schlange an, die ihre Zähne jeden Moment in meine Haut rammt und mir Gift injiziert. Sie funkelt mich mit ihren Augen bitterlich an. Ich erwidere ihren eiskalten, drängenden Blick. Ich kann in ihren Augen erkennen, dass sie will, dass ich aufgebe - aber das mache ich nicht. Schließlich ist sie diejenige, die in die Hände klatscht, und alle dazu bringt sie anzusehen.
"Wollen wir anfangen?" Sie zieht ihren aufgemalten Augenbrauen so weit in die Höhe, dass kaum noch was bis zu ihrem Haaransatz fehlt. Jerome nickt. Sie verlässt für einen Augenblick lang das Zimmer, kommt dann aber mit einem riesigen Schminkkoffer auf Rollen zurück ins Zimmer. Sie lächelt triumphierend. "Binde sie los."
Zach, an den diese Aufforderung geht, bringt wieder nur ein ersticktes Lächeln heraus. Es klingt auch wieder so als würde er denken, dass jeder hier ihn (und nur ihn) verarschen wollen würde. Es klingt herablassend. Als fände er die beiden vor ihm mehr als nur lächerlich.
"Was ist?", knurrt Jerome Zach an. Er sieht aus wie eine tickende Zeitbombe. Zach sieht so aus.
"Nichts", zuckt er bloß mit den Schultern, aber das schiefe Lächeln weicht ihm nicht von den Lippen. "Ich denke nur, dass Aubrey vielleicht nicht die richtige Wahl für eine Stylistin ist."
Jerome baut sich vor seinem Sohn auf, der seinen Vater allein mit seiner Körpergröße in die Tasche stecken könnte. Zach's Hand verkrampft sich auf meinem Knie.
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AWAKE
FanfictionDas Leben kann einen Menschen in die Knie zwingen - das musste Amani schnell feststellen. Mit ihren zwei Jobs versucht sie seit Jahren den Rest ihrer Familie über Wasser zu halten. Freizeit ist für sie eine Seltenheit und ihren Vater noch nüchtern z...