Ich stehe noch immer mit Abbi in ihrem kleinen Kiosk. Sie sieht auf meine Hände, doch ich sehe in ihr Gesicht. Ich kann einfach nicht anders. Sie ist das Gesicht das in meinem Kopf auftaucht, wenn ich an sie denke. An Mom. Sie ist ihre beste Freundin gewesen und sie liebt mich wie eine Mutter es tut, das weiß ich. Sie will nur das beste für mich und das schätze ich so an ihr. Sie ist in meinem Kopf die Vorstellung einer liebenden Mutter, die für ihre Kinder alles tun würde. Ich habe sie so unfassbar doll lieb, dass es mir weh tut, ihr nicht die vollkommene Wahrheit sagen zu können. Es tut mir weh, sie anlügen zu müssen. Ich wünschte, es wäre anders, aber das ist es nun mal nicht. Es wird nie anders sein als so, denn ich kann ihr die Wahrheit nun mal nicht erzählen, ohne dafür in die Hölle zu kommen und Menschen in Gefahr zu bringen.
Ich will ihn nicht in Gefahr bringen.
Ich will keinen von ihnen in Gefahr bringen, und das zerrt an meinen Nerven. Ich will einfach nur aus meiner Haut raus und dem allen entkommen, aber ich weiß so gut wie jeder andere hier, dass ich das nicht einfach kann. Ich kann T und seine Freunde nicht einfach im Stich lassen, und ich frage mich, wann mein Kopf diese Einstellung bekommen hat. Wann habe ich angefangen genau so zu denken? Wann habe ich angefangen ihn in den Schutz zu nehmen? Wann habe ich begonnen, sie in den Vordergrund zu rücken? Die Jungs haben mich schon so unter ihren Nagel gerissen, dass ich sie mehr als nur in den Schutz nehme. Ich setze mich für sie ein, auch wenn sie mich aus meinem Leben gerissen haben und es noch immer tun, denn sie holen jetzt gerade meine Möbel aus meiner Wohnung. Sie reißen mich weiter aus meinem Leben - das wird auch nicht aufhören. Es wird immer so weitergehen und es wird mich immer weiter konsumieren. Es wird mich auffressen, ohne Rücksicht auf Verluste, und ich kann mich nicht mehr dagegen wehren. Ich sitze viel zu tief in der Scheiße.
Ich sitze mal wieder viel zu tief in der Scheiße."Was hast du da gemacht?", fragt Abbi mich urplötzlich und reißt mich damit aus meinen Gedanken, die mich irgendwann auffressen werden. Meine Gedanken waren immer schon etwas, das mich so unendlich stark beherrschen konnte. Manchmal ist es, als würde ich in ihnen versinken.
"Hmm?" Ich sehe zu ihr auf, aber sie deutet auf meine Hände, die nun langsam aber sicher an einigen Stellen dunkelrot geworden sind. Ich versuche mir einzureden, dass schon morgen wieder alles gut sein wird, aber ich habe mich noch nie so stark verbrannt. Wahrscheinlich wird morgen alles zwar nicht mehr so rot sein, dafür aber unschön aussehen und bei jeder Berührung unangenehm pochen.
"Hast du dich verbrannt?", fragt sie. Ich nicke, aber ich kann ihren Worten nicht viel Beachtung schenken. Ich will mir am liebsten ihr Gesicht in meine Erinnerung einbrennen und nie wieder vergessen. Ich will mir merken, wie sie jetzt gerade vor mir steht und ihre dunklen Wimpern ihre braunen Augen umrahmen, die sich mit Fürsorge füllen. Ich will diesen Augenblick niemals vergessen, denn wer weiß schon, wann ich einen nächsten Augenblick mit ihr haben werde.
"Es ist nichts wildes."
"Nichts wildes? Willst du mich auf den Arm nehmen?" Sie seufzt leise. Ich weiß, dass sie mir gleich sagen wird, dass ich verrückt sei, dies als nichts wildes zu bezeichnen. Ich weiß, dass sie mich für übergeschnappt hält. "Wie ist das passiert?"
Ich hätte lügen und ihr sagen können, dass ich mich beim Kochen verbrannt habe. Dass es nichts ist und nicht weh tut. Doch stattdessen entscheide ich mich ausnahmsweise mal für die Wahrheit: "Ich hab mir heißes Wasser übergegossen."
"Autsch", verzieht sie ihr schönes Gesicht, "Wieso das denn?"
"Weil ich mir Tee machen wollte, aber ich ein Tollpatsch bin."
"Das klingt nach dir." Danke, Abbi. Ich hätte lügen sollen, dann hätte ich zumindest keinen Korb bekommen.
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AWAKE
FanfictionDas Leben kann einen Menschen in die Knie zwingen - das musste Amani schnell feststellen. Mit ihren zwei Jobs versucht sie seit Jahren den Rest ihrer Familie über Wasser zu halten. Freizeit ist für sie eine Seltenheit und ihren Vater noch nüchtern z...