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Die Sonne strahlt warm und munter auf meine Haut. Ich atme die frische Luft ein, die meine Lunge draußen durchströmt, und genieße für einen Moment einfach das bloße Dasein. Es ist einer der letzten Augenblicke, den wir hier verbringen, das weiß ich so gut wie jeder andere auf dieser Wiese. Wir alle sind hier draußen, in dem riesigen Garten der Duramóntes. Ich sitze mit T auf einer Picknickdecke, Vivien und Ardy sitzen in dem noch leicht feuchten Gras, während Chloé und Marley mit meinem Bruder Austin Fußball spielen.
Naemi und Alaric schauen von einer Hollywoodschaukel aus zu. Sie haben beide ein breites Lächeln im Gesicht. Ich höre Ardy leise seufzen und wende meinen Blick für einen Augenblick von meinem Bruder ab, der ein dickes Grinsen im Gesicht trägt. Er strahlt wie die Sonne persönlich. Er ist glücklich.
Ich wünschte, er wäre immer so glücklich.

Ardy streckt sein Gesicht der Herbstsonne entgegen. Seine Wangen glühen ein wenig, aber er sieht gesund aus. Er ist gesund, bis auf die Tatsache, dass er nie wieder ohne Krücke laufen kann. Der Schuss, den Jerome in sein Knie abgefeuert hat, hat seine Kniescheibe und das Gelenk so zerstört, dass er es nicht mehr belasten kann. Er kann es gerade noch vernünftig beugen, um sich zu setzen. Er ist nicht mehr der alte Ardy. Keiner von uns ist dieselbe Person. Alle haben sich verändert.
Vivien lässt sich neben ihm ins Gras fallen. Sie verschränkt die Arme hinter ihrem Kopf, ihr schwarzer Wollpullover rutscht dabei ein Stück nach oben. Ardy's Augen liegen nur auf Chloé, er lächelt als sie den Fußball verfehlt, ausrutscht und auf dem Hintern im Gras landet.

"Lach mich nicht aus!", ruft sie schallend zu ihm rüber. Er grinst wie ein kleiner Junge. Seine Augen strahlen sie an.

"Tu ich nicht!", ruft er zurück. Ich lehne mich an T, dessen linker Arm um mich geschlungen ist. Seine Lippen berühren meine Schläfe.

"Chloé!", sagt Alaric, ihr Vater, laut und belustigt. "Bon équilibre!"
[Gutes Gleichgewicht!]

"Ha ha!", erwidert sie und er lacht laut.

Ardy sieht kurz zu Chloés Eltern, ich folge seinem Blick. Naemi zwinkert ihm zu, während Alaric Ardy einen argwöhnischen Blick schenkt. Ardy selbst lächelt bloß schwach, dreht sich dann zu den anderen zurück und sieht Chloé dabei zu, wie sie den nächsten Treffer zu landen versucht, aber sich von meinem kleinen Bruder aufhalten lässt. Marley und Chloé lassen ihn absichtlich gewinnen. Würde ich das tun, dann würde er mich längst eine Lügnerin nennen und mich auffordern normal zu spielen.

Wir fahren heute Abend, beinahe gegen Nacht. Wir, das heißt T, Ich, Marley, Vivien, Sophia und Austin. Wir alle werden heute Nacht fahren. Ardy hat sich dazu entschlossen zu bleiben. Er bleibt diesmal tatsächlich bei Chloé in Frankreich. In Amboise. Und er lässt sich von nichts und niemandem davon abbringen. T hat nicht versucht ihn davon abzubringen. Das hat keiner. Er bleibt, weil er es so will, und er bleibt, weil er hier glücklich ist. Dieses Glück will ihm keiner von uns nehmen. Er fühlt sich so glücklich wie nie. Ich hab gelernt, dass es weitaus schöner ist, andere Menschen glücklich zu erleben, als an das eigene Glück zu denken. Auch T hat das erlebt und gelernt. Und deshalb lässt er ihn. Er hat sich seit dem Geschehen mehr verändert als irgendwer sonst. Er ist jetzt sensibler. Er ist einfühlsamer als je zuvor. Er versteht die Gefühle seiner Freunde besser als je zuvor. Er hat keine Ängste, zumindest hat er sie nicht mehr so stark. Er hat seine Schwester wieder. Er hat keine aufgestaute Wut mehr, die er unkontrolliert gegen andere Menschen einsetzt. Er ist fast ein wahrer Softie geworden.

"An was denkst du?", flüstert mir seine dunkle Stimme ins Ohr. Das ist eine Sache, die sich wohl niemals ändern wird. Er wird immer diese Stimme haben, die mir durch Leib und Seele geht.

"An dich", erwidere ich leise. Ich drehe meinen Kopf zu ihm. Seine Fingerspitzen ergreifen mein Kinn, nur um mich zu sich zu ziehen und mich küssen zu können.

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