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Meine Augen fühlen sich an, als würden sie immer schwerer werden und meinen Schädel eindrücken. Mein Hals tut weh, die Schmerzschreie stecken noch immer irgendwo in meiner Kehle fest. Unfreiwillig spüre ich wieder den gewaltigen Druck, der auf sie ausgeübt wurde, um mich ruhig zu stellen. Ich spüre ein Stechen in meinem Arm und dass ich mit etwas verbunden bin, und dann wird mir dieses lange Etwas aus dem Körper gezogen und ich atme auf. Ich kriege endlich wieder richtig Luft. Ich kann atmen, frei und unbeschwert. Unter mir fühlt sich alles wieder an, als würde ich auf einer Wolke liegen. Als würde ich auf einer Wolke wohnen. In meinem Rücken befindet sich etwas hartes, aber unter meinen Beinen fühlt es sich kuschelig weich an. Unter meinen Beinen fühlt es sich an, als würde ich schweben.
Aus meinem Mund kommt ein knurrender Laut. Ich öffne langsam meine verschlafenen Augen und Sonnenstrahlen lassen mich nahezu erblinden. Fluchend will ich mich weiter aufsetzen, aber werde von etwas daran gehindert. Oder eher...von jemandem.
Ich sitze in dem Bett im Gästezimmer, in dem ich geschlafen habe. Unter dem ich mich versteckt habe. Und meine Beine werden von zwei weiteren Beinen umrahmt. Mein Kopf liegt nicht auf einem Kopfkissen, sondern lehnt gegen eine Brust. Ich liege nicht komplett flach, sondern sitze ein wenig aufrecht, und eine tätowierte Hand drückt einen Tupfer gegen eine Stelle an meiner Armbeuge.

Ich bin verletzt.
Man hat mir ein Messer in den Bauch gerammt.

An meinem Arm befindet sich ein Verband um die Schnittwunde gewickelt, mein Oberkörper steckt in einem zu großen Pullover, dessen männlicher Duft in meine Nase steigt. Ich spüre eine weitere Hand auf meiner Schulter liegen. Sie streicht immer wieder darüber, so als würde es entweder ihn oder mich beruhigen. Ich drehe meinen Kopf, will mich weiter aufsetzen, aber erschrecke bei dem Ziehen in meinem Bauch.

"Vorsicht", murmelt die tiefe Stimme hinter mir. Sie sendet Elektrowellen über meinen Körper, die direkt zu meinen Nerven wandern. Sein Kopf erscheint neben meinem, um mich ansehen zu können. Hab ich die ganze Nacht über an seiner Brust gelehnt? Hat er mich die ganze Nacht über gehalten und auf mich aufgepasst?  "Ardy hat deine Wunde genäht, aber du musst langsam machen, sonst geht die Naht wieder auf."

"Was habt ihr mir gegeben? Was ist passiert?"

Seine Hand streicht mir über mein Haar. Kopfschmerzen bilden sich in meinem Schädel und bringen alles zum Pochen. Ich fasse mir an den Hals aber erschrecke erneut, als ich dort deutliche Druckstellen spüre.

"Morphium", sagt er. "Du hattest solche Schmerzen, wir-...Ich konnte das nicht länger ertragen. Keiner von uns konnte das. Du hättest dir sonst die Seele aus dem Leib geschrien."

Seine Finger heben den Tupfer von meiner Haut und eine Einstichwunde einer großen Nadel blitzt im Tageslicht auf. Man kann deutlich erkennen, wo genau sie in die Haut gesetzt wurde. Mir wird schon wieder schlecht. Ich hasse Nadeln.

"Ich hatte Angst um dich.", sagt er jetzt viel leiser und bestimmter. "Ich dachte, sie würden dich mitnehmen. Ich konnte mich nicht einmal mehr auf das Autofahren konzentrieren."

"Stimmt", meldet sich eine weitere Stimme zu Wort. Ardy kommt in das Zimmer gelaufen, in den Händen ein Glas Wasser und eine Banane. Seine Augen scannen T und mich, dann sieht er zu dem Fenster und öffnet es, um frische Luft herein zu lassen. "Du hättest ihn sehen müssen. Er hat wie ein Geisteskranker rote Ampeln überfahren. Mary und ich dachten, unser letztes Stündlein hätte geschlagen."

Ich nicke, nehme Ardy das Wasser ab und trinke das Glas in nur kürzester Zeit aus. Mit zitternden Händen esse ich die Banane. Die Schale drücke ich Ardy wieder in seine Hände. T's Hand liegt auf meinem linken Oberarm, den er immer wieder und wieder hoch und runter fährt. Er drückt seine Wange gegen meinen Scheitel. Seine andere Hand hält meine rechte. Ich genieße dieses Gefühl.
Ich will ihn nie wieder loslassen. Vielleicht ist es, weil wir beide auf bittere Weise erfahren mussten, wie verloren wir ohne einander sein können. Vielleicht ist es, weil wir Angst hatten. Panische Angst. Aber ich will ihn gerade nie wieder loslassen.

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