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Ich sitze schweigsam auf einem Sofa, das in einem Zimmer mit beigen Wänden steht. Es liegen gefühlt alle Augen auf mir, auch wenn mich keiner so richtig ansehen mag. Meine Beine zittern, doch mir ist nicht kalt, und meine Hände haben sich um meine Oberarme gelegt, die unter einer dicken Wolldecke stecken. Ich fühle mich wie eine Frühlingsrolle, so sehr haben sie mich mit Decken überschüttet.
Austin liegt schlafend neben mir, seine kleinen Füße berühren meine Oberschenkel so eben an der Seite. Chloé und Ardy sitzen an einem Tisch in dem Wohnzimmer, in dem wir uns befinden. Es ist im ersten Stock. Unten, so hab ich rausgefunden, wohnen die Eltern von Chloé. Oben wohnt sie, und eine Katze, die man wohl nie zu Gesicht bekommt. Marley sieht gedankenverloren aus dem Sprossenfenster, in seinen Händen eine warme Tasse gefüllt mit Kaffe. Neben ihm sitzt die andere Braunhaarige namens Vivien. Sie trinkt einen Schluck von ihrem Kakao mit Sahne.

Und T?
T sitzt in dem Sessel mir gegenüber und sieht auf den Tisch zwischen uns. Seine blauen Augen sind voller Kummer, und genau das versucht er zu verstecken. Er versucht es mir zu verheimlichen. Ich sehe es ihm an.
Ich merke doch, wie er immer wieder zu meinen Wunden sieht und wie die Tränen hinter seinen Augen brennen. Ich sehe, wie gequält er ab und zu seufzt.

Im Radio läuft ein französischer Sender. Alles hier drinnen ist trotzdem so ohrenbetäubend still, dass ich mit einem Schrei am liebsten alle aufwecken will. Keiner weiß, was er sagen soll. Keiner weiß, wie sie mich behandeln sollen, und ich weiß es selbst nicht. Ich möchte nicht angefasst werden.
Ich möchte nicht angesehen werden.
Ich möchte am liebsten unter allen Blicken versinken, wie in einem endlosen Moor, und nie wieder auftauchen.

Die Tür neben mir öffnet sich, Sophia kommt rein. Sie trocknet sich die Hände an ihrer Hose ab. Ihre blauen Augen fokussieren mich, dann ihren Bruder. Sie setzt sich neben meinen Körper, lässt das Sofa einsinken. Ich spüre ihre Anwesenheit genau neben mir, sehe zu meinen Füßen, an denen dicke Socken sitzen und mich wärmen. Meine Haare, alles an mir fühlt sich aufgebraucht und leer an. Ich hasse dieses Gefühl. Ich hasse es so sehr, dass ich mich in Luft auflösen will.

"Alles okay?"

Ich sehe rüber, instinktiv nicke ich. Auch T sieht nun zu uns, seine Augen haben jedoch einen anderen Ausdruck als die seiner Schwester. Seine Augen sehen mich mit einem Blick an, den ich nicht ertragen kann. Seine Augen sind rot, voller Wasser. Ich bemerke, wie er sich mit dem Weinen zurückhält.

Ich kann ihn nicht mehr so sehen.
Ich kann hier nicht mehr sitzen und so tun, als sei niemals was gewesen.
Ich ertrage es nicht mehr, dass sie schweigen und einfach nichts sagen, denn es muss was gesagt werden.

"Mir geht's gut.", sage ich. Ich will es so meinen. Ja, ich meine es so.

Scheiße.

"Kann ich....kann Ich vielleicht duschen?" Ich sehe Chloé an, die nun auch mich ansieht. Direkt springt sie auf und kommt zu mir rüber. Sie streckt mir ihre Hand hin, um mir hoch zu helfen, wobei ich ihr Drachentattooo sehen kann. Ihre Hand nehme ich allerdings nicht.

"Sorry", sagt sie leise. Ich nicke. Sie zieht ihre Hand parallel zurück, bittet mich dann ihr zu folgen. Sie öffnet ein paar Türen weiter eine weiße Tür mit hellblauer Schrift, die das Bad kennzeichnet. Sagt, sie würde mir gleich frische Sachen von sich bringen, während sie mir ein Handtuch auf den Toilettendeckel legt und die Vorhänge der Dusche öffnet, um diese anzuschalten.

Ich sehe bei all diesen Dingen stumm zu.
In meinem Kopf befinde ich mich wieder in dem kleinen blauen Bad, das mich so sehr eingeengt hat. Ich befinde mich wieder in der Dusche, nackt, mit Zach, der auf dem Toilettendeckel sitzt und mich beobachtet. Seine Augen, die sich in mich bohren, und seine Worte, bei denen ein Enkel mein Inneres überrennt, sinken wieder und wieder in meine Haut. Seine Lippen berühren wieder und wieder meinen Körper, so wie seine Hand. Mal sanft, mal unsanft, mal aggressiv. Mein Atem wird schwer, jemand schnürt mir die Luft ab.
Ein Strick, ein Seil um meinen Hals, an meinen Händen, an meinen Füßen, um meinen Bauch. Es zieht sich immer enger und enger.
Ich kriege kaum Luft.
Ich kriege keine Luft mehr.
Ich muss würgen, husten, mir wird schwindelig.
Ich sinke auf die Knie.
Braune Augen starren in meine Seele, gefüllt mit allem Schlechten dieser Welt. Die Gesichtszüge sind eisig kalt, unmenschlich und monströs. Seine Hand zieht das Strick um meinen Hals noch fester, sodass Tränen automatisch meine Wangen hinab laufen. Mein Körper will sich davonwinden, aber da sind diese restlichen Fesseln die mich halten.

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