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Amani

Sophia.
Der Name von der Frau drinnen ist Sophia. Das ist seine Schwester. Seine Schwester sitzt ihm so nahe, nur eine Tür entfernt. Und er lehnt an dem Ford Expedition und starrt in den Wohnwagen als gäbe es kein Morgen mehr. Er atmet schnell aber schwer, seine Hand hält meine ganz verkrampft fest und seine Augen blinzeln nicht mehr. Er sieht zu ihr und sie sieht zu ihm, ich folge seinem Blick bereits die ganze Zeit.

Und dann schüttelt sie den Kopf, als wolle sie ihm sagen, dass das, was er vor hat zu tun, keine gute Idee wäre. Sie schüttelt kaum merklich ihren Kopf, doch ich weiß dass er es sieht. Ich weiß, dass er weiß, dass er sie jetzt nicht rausholen kann. Das wäre zu gefährlich. Jerome hat eine Schusswaffe, die er auch benutzt, wenn er muss, und ich ertrage keine Verletzten. Auch T erträgt das nicht, das weiß ich. Er würde Sophia damit nur in Gefahr bringen. Er würde alle damit in Gefahr bringen.

"Wir sollten gehen.", schlage ich T vor, der mich daraufhin mit Tränen in den Augen ansieht, als hätte ich ihn soeben geohrfeigt. "Ich weiß, dass das jetzt schwer für dich ist, aber wir müssen jetzt gehen."

"Da drinnen ist meine Schwester, Am.", zischt er mir giftig zu. Seine Nasenflügel beben, seine Augen sehen mich umso gequälter an, je mehr er genau das zu realisieren scheint. Er hat sie seit 6 Jahren nicht mehr gesehen und gesucht. Jetzt sieht er sie und ich verlange von ihm, dass wir gehen. "Ich kann sie nicht einfach hier lassen. Was würdest du tun, wenn das da drinnen Austin wäre?"

Vorstellungen von so einer Situationen durchqueren meinen Kopf. Ich male mir das alles aus und es schüttelt mich. Ich würde auf der Stelle hinein gehen, ganz egal was mir passieren würde, und ich würde ihn irgendwie da rausholen. Ich weiß in welcher Zwickmühle er sich befindet. Ich weiß, dass das unglaublich schwer sein muss.
Aber wir können nicht bleiben.

"Ich weiß, T. Ich weiß.", flüstere ich angespannt und drücke seine beiden Hände. Selbst mir stehen jetzt Tränen in den Augen. Ich sehe in leiden, das hasse ich. Ich will ihn nicht leiden sehen, niemals. Er sieht wieder zu seiner Schwester und kneift dann die Augen zusammen. Seine Wangen beginnen zu schimmern. Tränen laufen. "Hey, Hey, du musst jetzt stark bleiben. Wir müssen los. Hörst du? Wir müssen jetzt gehen, sonst wird noch irgendjemand verletzt."

Er scheint mir nicht richtig zuzuhören, weshalb ich ihn mit mir ziehe. Ich versuche es, aber er lässt abrupt meine Hände los und ich stolpere nach hinten. Erschrocken sieht er mich an, rafft sich dann aber endlich auf.

"Wir müssen gehen.", sage ich wieder. Endlich stimmt er zu. Er greift erneut nach meiner Hand, um sie zu halten, und dann eilt er mit mir zusammen durch die Dunkelheit davon.

Als wir weit genug von dem Wohnwagen entfernt sind höre ich ihn leise und für sich weinen. Ich höre ihm wimmern und schluchzen, und wie er immer wieder seine Nase hochzieht und denkt, dass ich nicht merken würde, wie er weint. Er wischt sich ständig über seine feuchten Augen. Als wir im Auto sitzen und das kleine Licht über dem Rückspiegel über uns brennt, sehe ich seine geröteten, geschwollenen Augen, aus denen unkontrolliert das Wasser weicht. Es sucht sich den Weg nach unten, sein Kinn hinab, und er wischt es immer wieder und wieder weg. Sein Atem zittert, genau wie seine Hände, und er kämpft mit sich. Er kämpft nicht nur. Er trägt gerade einen innerlichen Krieg mit sich aus, und ich kann nichts tun außer dabei zusehen.

"Wir holen sie raus.", sage ich ihm und drücke ihm einen Kuss auf die Hand. Er sieht nur nach vorn. Ich weiß, dass er zum Campingplatz sieht und sich vor seinem inneren Auge immer wieder die Szene von eben abspielt.

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