5. Falsches Ziel

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• Legolas •

Ich war schon relativ früh wieder auf den Beinen und beschloss schon mal etwas Frühstücken zu gehen. Dass ich lange weg gewesen war, zeigte sich mir nur durch die neuen Wachen und Elbenkrieger im Schloss. Mir waren die vielen, unauffälligen Blicke während des Abendessens gestern irgendwann auf den Geist gegangen und deshalb wollte ich heute nun vor den 'neuen' Elben Frühstücken. Sicher, ich war der Prinz, aber das war ja nichts neues mehr hier im Waldlandreich und auch meiner Meinung nach nichts besonderes. Vielleicht lag es an meinem Platz in der Ringgemeinschaft, dass mich alle nun musterten oder sich nicht trauten mich anzusprechen. Da kam mir ein Name in den Sinn und unwillkürlich bildete sich ein Schmunzeln auf meinen Lippen. Rénee hatte nicht viel darauf gegeben, dass ich der Prinz und Teil der Ringgemeinschaft war. Sie hatte mich sogar zuerst nicht für voll genommen und mich ausgelacht und mit einem Pfeil bedroht. Mein Vater mochte die Elbin, das hatte ich sofort gesehen. Ich war zugeben sehr interessiert daran, sie weiter kennen zu lernen. So gesehen war sie ziemlich unscheinbar, ihr hellbraunes Haar floss beinahe in den Braunton der Kleidung der Waldelben über und die braunen Augen fesselten einen erst, wenn man einen intensiven Blick hinein warf. Doch mir waren beim näheren Betrachten die zarten Gesichtszüge aufgefallen, die schmale, feine Nase, die kleinen Grübchen wenn sie lachte und die geschwungenen Lippen. Ich schüttelte leicht den Kopf, so sehr war ich gerade dabei mich in ihrem Antlitz zu verlieren.
Nach dem Frühstück stattete ich Levin einen Besuch ab. Er war schon vor der Zeit Saurons eine Grenzwache meines Vaters gewesen und ein guter Freund von mir.

Rénee

Beim Frühstück spürte ich die Aufregung bereits in meinen Knochen. Gleich würde die erste Trainingseinheit mit meiner Gruppe stattfinden. Zusammen mit Legolas. Ich hatte bereits vor dem Frühstück mit Quinn gesprochen, einer rothaarigen Elbin, welche ebenfalls in meiner Gruppe war. Wir würden uns gleich vor den Flügeltüren zum Speisesaal treffen und gemeinsam zum Training gehen. "Ich beneide dich so, dass du mit Legolas in einer Gruppe bist" seufzte Aurelia, welche noch etwas müde neben mir auf ihrem Stuhl hing. Ich grinste und zuckte mit den Schultern. Ich hatte ihr bis jetzt auch noch nicht erzählt, dass ich gestern Abend noch mit Legolas allein unter vier Augen geredet und gescherzt und er mir sogar einen Handkuss gegeben hatte. Völlig überrumpelt hatte ich danach erstmal keinen Schlaf gefunden. Verträumt driftete mein Blick kurz ab, als ich wieder an Legolas dachte, doch im gleichen Moment erwachte ich auch schon wieder aus meinen Gedanken. Aurelias Blick lag noch immer auf mir. Nein, wenn ich ihr das erzählen würde, würde sie mich ganz sicher nicht damit in Ruhe lassen.
"So ist das Leben" erwiderte ich schließlich und erntete einen vielsagenden Blick von meiner Freundin. "Er sieht verdammt gut aus, ich an deiner Stelle würde mich an ihn ranschmeißen" flüsterte sie verschwörerisch und ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. "Du weißt, dass das nicht meine Art ist" erwiderte ich genauso leise und diesmal war es Aurelia, die mit den Schultern zuckte. "Na und. Dein erster Eindruck sitzt ja schon mal". Ich holte gerade wieder aus, um ihr einen bösen Tritt zu verpassen, als plötzlich ein Schatten auf uns fiel. Ich hob zeitgleich mit Aurelia den Kopf, wobei letztere vergnügt aufkicherte. Ich unterdrückte nur ein Seufzen und versuchte mich an einem freundlichen Lächeln. "Hey Rénee ich wollte dich abholen, wir sind ja in einer Gruppe und alle anderen machen sich gerade auf dem Weg zum Training" sagte Cyrian mit einem leicht verlegenem Lächeln auf den Lippen und Aurelia neben mir sprang alamiert auf. "Mist!" mit einem amüsierten Grinsen sah ich meiner Freundin dabei zu, wie sie ihrer Gruppe hinterher hechtete. Dann stand ich gut gelaunt ebenfalls auf. "Klar, vor der Tür wartet auch noch Quinn auf uns" erwiderte ich und lief voraus, Cyrian dicht hinter mir. Als wir Quinn eingesammelt hatten, machten wir uns auf den Weg nach draußen. "Weiß jemand, wo wir uns mit den anderen aus unserer Gruppe treffen?" fragte die rothaarige Elbin dann und ich blieb unwissend stehen. "Ich wollte mich mit Levin auf dem Bogenschützenplatz treffen. Wir dachten uns, bei der ersten Disziplin anzufangen, wäre keine so schlechte Idee" erwiderte Cyrian und ich nickte. Wir mussten um das Schloss herum laufen, um den Übungsplatz zum Bogenschießen zu erreichen. Schon von weitem konnte ich Levin und auch Legolas erkennen, welche zusammen lachten. Sie wirkten vertraut. Levin war bereits eine Grenzwache gewesen, als ich meine Ausbildung begonnen hatte und er hatte mir oft geholfen und Tipps gegeben, also kannte ich ihn ebenfalls gut. Als wir näher kamen, hob erst Legolas seinen Kopf, dann Levin. Sofort verfing sich mein Blick in Legolas blauen Augen, welche mich irgendwie magisch anzuziehen schienen. Aber auch Quinn neben mir schien von der Schönheit des Prinzen gefangen zu sein. "Rénee, es hat mich gefreut, dass wir in einer Gruppe sind" begrüßte mich Levin mit einem Grinsen, welches ich keck erwiderte. "Mich auch. Ich konnte ja einiges von dir lernen" sagte ich und nach mir stellten sich Quinn und Cyrian Legolas vor. "So, ich würde sagen, wir schießen einfach der Reihe nach erstmal auf ein paar Ziele und die anderen schauen zu und bewerten anschließend" schlug Cyrian dann vor und wir alle waren einverstanden. Ich konnte die meiste Zeit meinen Blick nicht von Legolas nehmen, erst recht nicht, als er als Erster nach vorne Schritt, sich einen Bogen und Pfeil schnappte und dann vor die Linie positionierte. Gebannt beobachtete ich seine Bewegungen. Flissend spannte er seinen Bogen, wobei seine angespannten Muskeln unter seiner grünen Tunika nur zu gut hervor traten. Sein blondes Haar flog leicht im Wind und es war als würde die Zeit stillstehen, als er schließlich den Pfeil los ließ. Lautlos schoss der Pfeil nach vorne und schlug in die Mitte der Zielscheibe, welche 250 Fuß von der Markierung entfernt hing, ein. Ich wusste ja bereits, dass der Prinz ein begnadeter Bogenschütze war, doch dass Legolas so perfekt schießen würde und das auch noch auf einer Entfernung von 250 Fuß, überwältigte mich dann doch. Bewundernd lag mein Blick wieder auf dem Elben, welcher sich nun mit einer erwartungsvollen Miene zu uns umdrehte. Cyrian neben mir rümpfte die Nase, während Levin, Quinn und ich anerkennend nickten. "Du enttäuschst mich nie" lachte Levin und klopfte seinem Freund auf die Schulter. Während Quinn nun nach vorne ging, trat Legolas hinter mich und hauchte mir leise ins Ohr: "Wie sieht dein Optimismus mich zu schlagen jetzt so aus?". Ich konnte den Schalk in seinen Augen fast schon vor meinem inneren Auge sehen, während sich meine Lippen zu einem Grinsen verzogen. Nebenbei spürte ich ganz deutlich die Gänsehaut, welche sich an meinen Armen und an meinem Nacken bildete. Dort, wo mich sein warmer Atem getroffen hatte und die empfindliche Spitze meines Ohres entlang gestriffen war. Ich versuchte dies zu überspielen und lenkte meine Konzentration auf Quinn, welche ihren Pfeil in diesem Moment abschoss. Sie hatte auf die Zielscheibe auf 150 Fuß geschossen und den Pfeil in der Mitte versenkt. Mit einem erleichterten Lächeln kam sie wieder zu uns und überreichte Levin den Bogen. "Das war gut, deine Haltung gefällt mir" sagte ich und sie lächelte mir dankend zu. "Da kann ich Ré nur zustimmen" meinte auch Cyrian und ich biss mir auf die Zunge, als er seinen Spitznamen für mich nannte. Ich bemerkte Legolas Blick in meinem Rücken und auch Cyrians kurzen Blick auf mich. Fast schon besitzergreifend legte er mir einen Arm um die Schulter. Ich verspannte mich sofort und war froh, als Levin mir den Bogen überreichte. Er hatte das Ziel auf 200 Fuß genommen und ebenfalls ins Schwarze getroffen. Ich ging auf die Markierung zu und stellte mich in Position. Kurz atmete ich nochmal aus, bevor ich den Bogen spannte und mein Ziel fixierte. Ich hatte schon immer ein Händchen für den Bogen gehabt und mich auch von Anfang an gut geschlagen in der Ausbildung. Meinem täglichen Training sei dank, traute ich mir zu, ebenfalls Legolas Ziel in Augenschein zu nehmen. Um mich herum war es still, ich konzentrierte mich einzig und allein auf den Pfeil und auf mein Ziel. Dann, als der für mich perfekte Moment kam, ließ ich den Pfeil und die Sehne los. Mein Pfeil bohrte sich in den Pfeil von Legolas und spaltete diesen somit. Quinn, Levin und Cyrian starrten mich perplex an, während ich zu ihnen zurück ging und Cyrian den Bogen vor die Nase hielt. Selbst Legolas schien beeindruckt und nickte mir anerkennend zu. "Okay, dein Optimismus ist zurecht existent" murmelte er dann und ich grinste breit über die Anerkennung, welche ich von seiner Seite aus erhielt. Wir trainieren noch etwas weiter, bis es schließlich Zeit für das Mittagessen wurde. Nur ich musste noch meinen letzten Pfeil abschießen. Wir hatten vorher die Zielscheiben immer höher gehangen und somit zielte ich nun auf eine Zielscheibe, welche an dem Baumstamm weit oben hing und fast vollständig von Blättern verdeckt wurde. Quinn und Cyrian hatten dabei nicht ins Schwarze treffen können, Levin und Legolas schon. Ich legte wieder all meine Konzentration auf die Zielscheibe und wartete den perfekten Moment ab. Doch als ich den Pfeil schließlich losließ, wehte ein Windstoß über die Bäume hinweg und mein Pfeil wurde höher getragen als er eigentlich sollte und schlug irgendwo in den Baumkronen ein. Fast schon etwas enttäuscht stemmte ich die Hände in die Hüften. "Das war nicht deine Schuld Rénee" hörte ich Quinn sagen, doch meine Aufmerksamkeit lag mit einem Mal auf einem Rabe, welcher sich wütend aus den Baumkronen erhob und auf mich zugeflogen kam. "Was zum-" rutschte es mir heraus, bevor er mich erreichte und sich dann auf mich stürzte, nur um mir unsanft auf dem Kopf herum zu picken. "Ich glaube du hast sein Nest getroffen oder so" hörte ich Levin lachen, während ich um mich schlug und dann auf die Anderen zu lief. "Nichts wie weg von hier!" rief ich laut und folgte den Anderen zum Schloss. Kurz vor den Toren ließ der Rabe von mir ab und flog zurück, doch meine Haare lagen nun völlig durcheinander und zerzaust auf meinem Kopf. "Schöne Frisur. Steht euch" hörte ich Legolas lachen, was mir wieder die Röte in die Wangen trieb.

Rénee | LegolasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt