Chapter 34

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P.o.V. Grell

Ich lag auf dem gelben Sofa im Gruppenraum, meine Kniekehlen über die Kante hängend und mein Kopf auf zwei Kissen liegend.
In meinen Händen die Switch - zum Glück, zumindest etwas gute Unterhaltung.
Die Sonde meiner Zwischenmahlzeit lief, das Gestell war rechts neben mir, meine Kopfhörer übertönten das maschinelle Geräusch.
Pro Schicht durfte ich die Switch eine Stunde behalten, ausnahmsweise musste ich zur Zwischenmahlzeit nicht in die Küche.
Ich esse ja sowieso nicht dazu.
Naja.. es sei denn bei der Ernährungsberatung klärt sich gleich etwas.
Heute habe ich Telefontag, wie ich mich freue.


P.o.V. Undertaker

„Weißt du schon wie es mit dem Wochenende aussieht?"
Hörte ich William durch mein Telefon sprechen.
„Das erfahr ich heute Abend erst."
Ich hörte nur mit einem Ohr zu, bereitete während des Gespräches eine Leiche auf.
„Möchtest du mitkommen?"
„Nur wenn es Grell möchte."
Ich summte.
„Ich schreibe dir wenn ich mehr weiß."
„Du kannst auch anrufen."
Ich runzelte die Stirn, das konnte er wohl irgendwie spüren.
„Schließlich hast du ja keinen wirklich zum Reden, das Haus ist totenstill ohne Grell, oder?"
„Ich habe meine Kunden."
„Deswegen auch Totenstille."
Ich kicherte.
„Ich werde es spontan entscheiden, schönen Tag noch."
Das Lachen verging, mir war nicht wirklich danach.
Mit Grell ist auch ein Stück meiner Freude gegangen.
Natürlich weiß ich, dass er nicht weg ist und das der richtige Weg sein wird.. aber trotzdem würde ich ihn gerne hier haben.
Ich setzte mich.
„Was hast du bloß mit mir gemacht.."
Zu akzeptieren, dass die dort hinten ihm besser helfen können als ich ist schon schwer zu akzeptieren.. da ich auch noch ins kleinste Detail weiß wieso das aber trotz dessen nicht in meinen Kopf rein möchte.
Wie konnte ich überhaupt zulassen, dass es so weit kommt.
Ich sollte mir keine Vorwürfe machen..
Ab nächster Woche können wir täglich telefonieren, er sollte erst zwei Tage Abstand haben, zum anfänglichen Ankommen.
Ich seufzte.

P.o.V. Grell

„Eigentlich würde man erst langsamer anfangen, normalerweise könnten die Organe das nicht verarbeiten, von einer Unterernährung zu einer Normal - beziehungsweise höheren Ernährung. Aber als Shinigami muss man nicht mit diesen Problemen kämpfen, man spürt höchstens ein Stechen ab und an."
Ich verzog meine Lippen.
„Aber ich nehme an, dass du es lieber trotzdem langsamer angehen willst."
Ich nickte zögernd.
„Schon.."
Sie summte.
Frau Menke hatte aschblondes Haar, hoch gesteckt.
Sah schon etwas älter aus.
Ihre Brille war rund, sie machte einen strengen Eindruck, war aber total lieb.
„Derzeit ist deine Sondierung auf 2800 kcal eingestellt."
Das wollte ich nicht noch mal hören.
„Kannst du dir vorstellen, noch etwas dazu zu essen?"
„Würde dann sie Sondierung runtergestuft werden?"
„Kommt drauf an wieviel du isst."
Ich überlegte.
„Ich weiß nicht.. vielleicht etwas Gemüse.. oder Obst.."
Sie nickte, das hatte sie sich wohl schon gedacht.
„Dann würde ich sie nicht runterstellen. Was ein Vorschlag wäre, du bereitest Dir zum Beispiel abends eine Paprika zu oder isst eine Karotte."
So wenig?
„Was soll das denn bringen?"
„Dann lernst du dir das eigene Essen zuzubereiten, da reicht auch schon ein Stück Obst oder Gemüse. Vor anderen etwas zu essen, und vor allem an sich zu essen."
Ah..
„..ich kann's ja mal probieren."
„Du musst dich bei der Angelegenheit nicht hetzen oder dich unter Druck gesetzt fühlen."
Ich nickte.
„Ich probier's einfach mal.."
Wir sprachen über mögliche Esspläne der Zukunft, meinen Bewegungsdrang, meine grünen, orangenen und roten Lebensmittel.
„Ich mache für Montag einen Termin, um zu schauen wie es dir das Wochenende ergangen ist. Es wäre gut wenn ich im Laufe der nächsten Woche die Ampel noch bekommen könnte."
Ich nickte.
„Mache ich."
Insgesamt haben wir 1 1/2 Stunden lang geredet.
Normalerweise geht es sonst nur 30 - 45 Minuten, wahrscheinlich weil das das erste Gespräch war.
Der Tischdienst deckte den Tisch fürs Mittagessen, ich musste in den Medi-Raum um mir die nächste Sonde anlegen zu lassen.
Seufzend klopfte ich am Dienstzimmer und Frau Zent kam mit.
„Und wie war's?"
„Besser als erwartet.."
Sie wusste, dass ich ein wenig aufgeregt vor der Ernährungsberatung war.
„Das ist doch schon mal gut."
Ich summte.
Das Pflaster an meiner Wange kratzte, es hielt den Schlauch.
Und das Geräusch startete wieder.

Nach dem Mittagessen setzte ich mich wieder in den Gruppenraum, 45 Minuten Ruhepause.
Um 13 Uhr war Mittagspause, also noch eine halbe Stunde.
Ich las ein Buch, ‚Komm, ich erzähl dir eine Geschichte', das hatte mir Undertaker gegeben.
Einige andere saßen auch mit im Raum, ich konnte mich kaum konzentrieren.
Meine Beine wippten hin und her, saß wieder direkt an der Kante.
„Und, hast du dich schon ein wenig eingelebt?"
Ich schaute hoch.
Wie hieß sie noch gleich.. Klara glaube ich.
Blasses braunes Haare bis zur Brust, schmale schlichte Brille, schmale Statue, blasse Kleidung.
Ein helles rotstechendes Hemden was an den Ärmeln aufgekrempelt war und eine blaue Jeans. 
„Ähm.. ich weiß noch nicht so recht."
Sie nickte.
„Das geht hier den meisten am Anfang so."
Ich summte.
„Wie lange bist du denn schon hier?"
Das Wippen meiner Beine hörte nicht auf.
„5 Monate."
Ich zog die Augenbrauen hoch, wollte gerade antworten.
„Du bleibst aber länger hier."
Ich drehte meinen Kopf nach links, Pierre, ein anderer Patient, beschloss auch an dem Gespräch teilzunehmen.
Er war ziemlich groß, blondes kurzes Haar, etwas breiter gebaut.
Eine sehr.. impulsive Ausstrahlung trägt er bei sich.
Eine Naive auch, um ehrlich zu sein.
„Warum glaubst du das denn?"
Fragte ich und blieb ruhig.
Klaras Blick war schon mit einer Prise Wut geprägt.
„Nun ja,"
Seine Augen gingen auf und ab, an meinem Körper.
„Die mit Anorexie bleiben meist sehr lange, also kommt ja immer aufs Gewicht an. Und ich will jetzt ja nicht sagen, aber du bist ja kaum mehr als ein Stock. Wobei meine Tante noch schlimmer war.. Essstörung ist sowieso total dumm-"
Ich hob meine Augenbrauen in leichter Fassungslosigkeit.
Wie bitte..?
„Ähm.."
„Bist du bescheuert? Es kommt doch nicht nur aufs Gewicht an. Außerdem eine Krankheit als ‚dumm' zu bezeichnen ist wirklich unterste Schublade, Pierre."
Verteidigte Klara.
„Also.."
Ich kam erst gar nicht zu Wort.
Sein Gelaber war bescheuert, ja, und trotz dessen verletzte es.
„Guck sie dir doch mal an Klara - oder ihn an?"
Hah..
„Was ich sagen will,"
Jetzt schaute er zu mir.
Ich musste mich wirklich zusammenreißen, ich war ein wenig überfordert.
„du bleibst hier wirklich lang. Ein mal der Magersucht Aspekt und durch die Zwangsaufnahme. Und die beiden Punkte zusammen? Das klingt mir nach mindestens 7 Monaten."
Magersucht war so ein unschönes Wort..
Er sah ziemlich jung aus.
Jung und dumm.
„Wie lange bist du denn schon hier?"
Fragte ich dann.
„1 1/2 Monate."
„Dann hast du also schon so viel Erfahrung gemacht und so viele getroffen, dass du das so gut bewerten kannst?"
Er verschränkte die Arme.
„Ich denke, dass ich ein gutes Gefühl dafür habe."
„Und das Gefühl war so stark, dass du es unbedingt teilen musstest. Hast du auch schon die Erfahrung gemacht, in deinen ganzen 1 1/2 Monaten, dass so etwas sehr verletzend sein kann?"
Er zischte.
„Kann ich ja nichts für, dass du dich verletzt fühlst."
„Wie oft müssen wir eigentlich noch die Betreuer ansprechen, damit du endlich mal etwas Einsicht zeigst?"
Meldete Klara hochgradig genervt.
Das war also normal von ihm.
„Ich habe doch nur gesagt, dass sie lange hier bleiben wird!"
Ich probierte weiterzulesen, er wurde lauter.
„Du sagst es aber in einem Ton-"
Sie wurde noch genervter.
„Und einer Ausdrucksweise, die einfach nur Grenzüberschreitend ist!"
Und ebenfalls etwas lauter.
„Gut, dann sage ich das jetzt so - Sie wird lange hier bleiben, weil sie nicht mehr als Haut und Knochen ist. Und es wird lange dauern, bis das ganze Gewicht wieder drauf ist, sie isst ja nicht mal!"
Dieser..
„Okay, hör zu. Ist mir scheiss egal was du denkst oder nicht denkst, aber verhalte dich gefälligst respektvoller vor mir. Du hast keine Ahnung von der Thematik wie man merkt - ich weiß nicht warum du hier bist, und du weißt einen Scheiss über mich. Also stell nicht irgendwelche Theorien auf oder tu so als hättest du die Einsicht über mich."
Ich schaute ihn an.
„Wenn du normal deine Meinung äußern willst, mach das. Wenn du etwas fragen willst, mach das. Aber änder deine Ausdrucksweise vor mir und dem Rest, und denk nach bevor du auch nur irgendetwas sagst, und überprüf lieber zwei Mal ob das jetzt angebracht ist oder nicht."
Er sagte nichts.
„Ja, sorry ey."
Kam dann.
Ich seufzte.
Er stand auf.
„Außerdem bin ich männlich."
Fügte ich hinzu, der schlimmste Satz den man mir auferlegen konnte.
Er verschwand aus dem Zimmer.
„Ist er immer so?"
Fragte ich Klara, die minimal entspannter aussah als vorher.
Sie seufzte und lehnte sich nach hinten.
„Er ist einfach nur dumm und naiv und unreif-"
Sie erzählte mir einige Sachen die er wohl schon gemacht haben soll, anscheinend hatte sie die schon oft gehört und auch schon oft wiedergegeben.
Ich seufzte.
Es schien so, als wenn die Gruppendynamik dadurch bröckeln würde.
Einer muss wohl immer aus der Reihe tanzen.
Was für eine tolle erste Begegnung..
Naja, dafür hab ich ein Gesprächsthema heute Abend mit Adrian.

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