P.o.V. GrellMittlerweile ist es Donnerstag, die Öffnung der Nähte wurde noch nicht herausgefunden, doch heute wird es wohl so weit sein.
Meine Matratze die sich wie Gummi anfühlte trugen gerade zwei Mitpatienten in mein eigentliches Zimmer.
Ich stand angelehnt an den kleinen Schränken, der Rest müde auf dem Sofa, an den Wänden.
Als ich heute morgen probiert habe meine Hose anzuziehen, merkte ich erst, wieviel ich eigentlich abgenommen hatte, bei dm Gürtel musste ein weiteres Loch rein.
Ob mich das erfreute kann man sich wohl denken.
„Grell, wir wollen heute Nachmittag einkaufen gehen und jeder Patient kann sich überlegen, was er findet, was die Station noch braucht oder für sich selbst."
Sagte Mary zu mir, mir der ich mich mittlerweile.. ganz okay verstand.
„Und ich weiß dass es gerade noch schwierig für dich ist, aber vielleicht willst du trotzdem irgendwas haben. Manche wollen zum Beispiel Eis, oder Süßes für den Film, andere aber auch bestimmtes Obst oder Joghurts."
Ich schüttelte den Kopf.
„Wahrscheinlich eher nicht."
Sie lächelte.
„Aber ich melde mich wenn sich noch was ändert, danke."
Fügte ich hinzu, da das andere vielleicht ein wenig harsch klang.
Es waren noch 10 Minuten bis zum Frühstück.
„Hast du dich schon ein wenig eingelebt?"
Fragte dann Klara, die mit auf dem roten Sofa saß.
Ich legte meinen Kopf etwas schräg.
„Ich weiß noch nicht, es ist etwas besser als am Anfang."
„Aber zumindest etwas!"
Meldete sich Mary und ich lächelte leicht.
Zumindest etwas..
Dann kamen die beiden Betreuer rein, Herr Linebeck und.. Frau Krey.
Ob ich mir die Namen irgendwann alle merken..
Frau Krey hatte mir die Sonde angelegt, und man musste schon sagen, sie war wirklich lieb.
Etwas größer als Frau Zent, also auch nicht wirklich groß, braunes glattes schulterlanges Haar welches schon fast ins graue übergingen, zierliche Figur und ein wirklich schönes ehrliches Lächeln.
Ihre Stimme konnte sehr ruhig sein, sie war wirklich angenehm, zudem machte sie mit uns auch SB, Selbstbehauptung und Ich-Stärkung, immer dienstags und donnerstags.
Naja, ich durfte noch nicht mitmachen.
Noch darf ich bei gar nichts mitmachen.
Ihre Brille war rechteckig und braun, eher unauffällig.
Sie setzte sich mit in den Tagesraum, sie war sogar in Team Blau, das freute mich sehr.
Herr Linebeck in Team Grün, Frau Zent ebenfalls in Team Blau.
Ich seufzte als ich so da saß, einfach nur die Zeit abwartete.
Jedes Mal war das so, einfach nur ätzend.
Die ersten Sonnenstrahlen fielen mir ins Gesicht, ich sank weiter in den semi-bequemen Stuhl ein.
Meine Arme überkreuzt, Beine ebenfalls.
Während der Planung änderte sich auch nichts, mein Vormittag war so wie immer gestaltet.
Ruhepause, Wochenziele, Zwischenmahlzeit, Ruhepause und wieder Wochenziele, und wieder Essen.
Dabei habe ich meine WZ's wahrscheinlich schon in 25 Minuten fertig.
Seufzend schaltete ich das Gerät aus welches anfing zu piepen, da die Sondierung durch war.
Ich schaute zu Frau Krey und sie nickte, ein Zeichen dafür, dass wir in den Medi-Raum gehen konnten, da alle anderen Patienten mit ihrer Planung fertig waren.
Mit einem kleinen Hüpfer so könnte man meinen setzte ich mich auf die Liege, sie entfernte das Gestell.
Dann saß ich wieder im Gruppenraum und tat gar nichts.
Wochenziele, Sondierung, gar nichts tun, am Klavier sein, Sondierung, gar nichts tun.
Ich kann hier nicht mehr sein.
Es war 15:45 Uhr, meine Sondierung war fertig und ich hatte wieder Ruhepause.
Saß auf dem Sofa im Gruppenraum und schaute nach draußen.
Mich interessierte nicht mal was da draußen war.
Es klopfte, die Tür ging auf.
Herr Revens.
Stimmt ja.
Wir gingen in sein Zimmer.
„Wie geht es dir?"
Ich starrte nur zur Seite.
„Ich kann nicht mehr."
Er legte seinen Kopf schräg.
„Kannst nicht mehr was?"
Ich krallte mich an mein Oberteil.
„Kann das alles hier nicht mehr. Ich kann nicht die ganze Zeit hier einfach nur dumm rumsitzen, und sondiert werden, Ruhepause haben und wieder sondiert werden. Ich kann einfach nicht mehr."
Ich seufzte.
„Ich werde es nie schaffen zu essen, sehen sie das nicht?"
Mein Blick wendete sich zu ihm.
„Schauen Sie mich doch mal an, wie soll das jemals funktionieren?"
„Ich könnte Dir jetzt einen Vortrag darüber halten, warum ich davon überzeugt bin, dass du es schaffen kannst und wirst, was für Faktoren es alle gibt und auch was du schon geschafft hast - so wie Dir mich anzuvertrauen, oder auch Herrn Rica anzuvertrauen."
Er machte eine Atempause um es ein wenig wirken zu lassen.
„Doch glaube ich nicht, dass du das von mir hören willst, und nach Argumenten schauen wirst, die du dir vielleicht auch schon zurecht gelegt hast."
Ich verzog meine Lippen.
„Was gerade sehr wichtig ist jedoch, und wovon ich eigentlich überzeugt bin dass du nicht darüber sprechen möchtest, ist deine Gewichtsabnahme. Ist doch verständlich, wie kannst du denken dass es jemals besser wird, wenn in den ersten 1 1/2 Wochen die sich wie eine Ewigkeit anfühlen, kein Gewicht dazukommt sondern abnimmt, und alles monoton weiterläuft?"
Ich schluckte, wusste worauf er hinaus wollte.
„Also ist meine Frage, was zum Teufel machst du, dass du so schnell soviel Gewicht verlierst, obwohl die Sondierung immer höher wird?"
Er bezweckte wieder diese erdrückende Stille.
Doch ich antwortete nicht.
„Dass du Sport machst ist wohl kein Geheimnis, und das ist Stück weit auch normal, auch wenn ich will dass du damit aufhörst. Aber nur damit bist du noch lange nicht im Defizit."
Sein Blick war leicht besorgt.. nicht besorgt aber, ich wusste nicht wie ich es beschreiben sollte.
Er seufzte und faltete seine Hände.
„Es regt dich auf hier zu sein, das verstehe ich. Dich nervt es diese ganzen Ruhepausen, Sondierungen und Einschränkungen zu haben, das verstehe ich auch. Bloß verlangst du all das, doch arbeitest dagegen. Wir sind hier da um dich zu unterstützen, wir wollen Dir helfen, aber das können wir nur, wenn du uns auch lässt."
Ich drückte meine meine Zähne aneinander, spürte wie mein Hals dich zusammenzog um das Weinen zu unterdrücken.
„Ich weiß doch gar nicht ob ich wieder gesund werden möchte.."
Hauchte ich und verstecke mit meinen Haaren mein Gesicht, griff mit den Händen an meine Oberarme und schaute zur Seite.
„Ich habe so Angst zuzunehmen."
Schluchzte ich und verspannte mehr.
Konnte die Tränen nicht zurückhalten.
Er sagte nichts sondern hörte zu, legte eine Packung Taschentücher auf den Tisch.
„Ich weiß, dass die Angst total irrational ist, aber.. aber es bietet mir so viel Sicherheit- die einzige Sicherheit die ich habe. Und ich tue alles dagegen, diese zu verlieren."
Ich nahm mir ein Tuch.
„Was tust du denn dagegen?"
„Als wenn ich Ihnen das sagen würde."
Er rückte näher ran.
„Wer sagt Dir, dass das deine einzige Sicherheit ist?"
Ich trocknete mir das Gesicht und schaute etwas nach oben, umschlug meine Beine und wandte mich nun etwas mehr zu ihm.
„Das fühle ich halt einfach. Wenn ich daran denke, dass sie nicht mehr da wäre - ich werde schon ganz panisch bei dem Gedanken."
Ich seufzte, auch um etwas mehr Luft zu bekommen.
„Ich weiß, dass es ‚die Stimme der Krankheit' ist, aber.. aber sie hat halt recht."
„Nein, sie hat nicht recht. Sie hat nie recht."
Ich schaute etwas zur Seite.
„Du darfst ihr nicht diesen Raum geben, sie herrscht nicht über dich oder dein Leben."
Er überlegte kurz.
„Gibt es irgendjemanden, irgendeinen Namen, den du gar nicht ausstehen kannst? Von einer Serie oder einem Film?"
Verwirrt über die Frage schüttelte ich kaum merkbar den Kopf.
„Ich weiß nicht."
Meinte ich seufzend, dachte über seine Frage nach.
„Oder irgendjemanden den du ganz doll nervig fandest."
Ich summte nachdenkend.
„Raymond... Tusk."
Breit lächelnd schaute er zu mir.
„Wer ist denn das?"
„Einer von House of Cards.. so 'ner Politikserie."
Er grinste.
„Warum ist der denn so nervig."
Mir war das ganze schrecklich unangenehm, auch noch mit seinem wirklichen Interesse.
Auch weil ich Sachen von mir offenbarte die ich mochte oder mir gefielen.. sowas war mir immer.. sehr unangenehm.
Ich weiß auf nicht wieso, vielleicht aus der Angst heraus, dass die anderen mich dafür bewerten oder kritisieren würden, so wie jetzt - was ich doch für einen schlechten Geschmack hätte was weiß ich..
„Ach keine Ahnung, der hat einfach nur rum genervt."
„Gut, also rumgenervt- was denkst du, sollen wir die Stimme Raymond Tusk nennen?"
Ich lachte leicht auf und schüttelte den Kopf.
„..meinetwegen."
„Gut, dann, jedes Mal wenn die Stimme kommt und sagt, du kannst nicht dies du kannst nicht das sagst du ‚Raymond, jetzt hör doch mal auf hier so rumzumerven.'."
Ich schüttelte weiter den Kopf, es war mir so unangenehm, es war so lächerlich und wahrscheinlich doch so hilfreich.
Meine Hand fand ich teils auf meiner Stirn wieder, um somit die Röte in meinem Gesicht zu verstecken aber auch da es so bescheuert war.
„Lass der Stimme nicht den Raum einnehmen den sie gerade hat, das ist wirklich wichtig."
Er umschlug seine Beine.
„So, und jetzt wieder zum Anfang. Was tust du, um so viel Gewicht zu verlieren - was sagt Raymond Dir."
DU LIEST GERADE
A Way To Escape
FanfictionTrigger Warning : Essstörung. Anorexie und Grell - zwei sich Suchende finden sich. Der Rotschopf wusste keinen Ausweg mehr, er hat keine andere Strategie, keinen anderen Bewältigungsmechanismus je gelernt, als Kontrolle. Es fällt ihm alles durch...