P.o.V. Grell„Ich bin seit 2 Monaten hier und bin ein Kilo über meinem Startgewicht, würden Sie das etwa als Gewinn bezeichnen?"
Er lachte etwas.
„Ich sehe weitaus mehr als das, Grell."
Und ich sah nichts anderes mehr als Fett.
„Zudem,"
Er hob einen Finger.
„Du hast 8 Kilo zugenommen, um bis dahin zu kommen, wo du jetzt bist."
„Erinnern Sie mich bloß nicht."
Er lachte mehr.
„Aber du hast doch nach dem Gewinn gefragt."
Lächelte Herr Revens.
Mein Blick sank immer weiter zum Boden.
„Ich muss noch so viel zunehmen, und ich kann jetzt schon nicht mehr."
„Das meintest du vor einigen Wochen auch."
„Und das werde ich auch noch in einigen Wochen sagen."
Er überlegte etwas, seine Gesichtszüge weicher.
„Gibt es dir Mut zu sehen, dass es geht ‚so viel' zuzunehmen? Dass es nicht unmöglich ist?"
Die Vorstellung noch mal 8 Kilo zuzunehmen.. bis zu 60kg zu kommen - bis dahin müsste ich schon von 5 Leuten aus dem Bett getragen werden, es müsste ein Kran kommen um mich hochzuheben.
„Ich möchte ja nicht mal zunehmen."
„Möchtest du, dass das Gefühl des ‚ich kann nicht mehr' weniger wird?"
Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht, ob das weggehen kann."
Meine Augen wanderten zu ihm, meine Arme schon seit Anfang der Stunde überkreuzt.
„Es ist ja nicht so, als wenn dieses Gefühl erst hier entstanden wäre."
Ich schaute wieder weg.
„Es war im Prinzip schon immer da."
„Ist es dann nicht noch besser, dass es weniger wird?"
Ich seufzte.
„Kann schon sein."
Er lehnte sich zurück in seinen Stuhl.
„Hast du deinen Zettel dabei?"
Ich stockte etwas, nickte dann jedoch und holte ihn aus meiner Hosentasche.
Herr Revens meinte, ich solle mir vor den Einzeln einen kleinen Zettel mit Themen aufschreiben die ich ansprechen möchte, mal schauen ob das hilft.
Ich seufzte und entfaltete das Stück Papier, jetzt schon sehr beschämt.
Er saß vor mir, Augen auf mich fixiert und ich hatte diesen bescheuerten Zettel in der Hand und musste das lesen und argh..- Rollstuhl
- Es macht keinen Sinn (33kg)
- Zimmer, Mary Entlassung etc.
- Geschlecht/SexualitätDer letzte Punkt war sehr klein aufgeschrieben, der Zettel war verziert mit kleinen Skizzen.
Und alles wegen Adrian..
„Also.. ähm.."
Ich konnte jetzt nicht einfach so die Themen vorlesen, oder ?
Ich hatte nicht mal geplant alle Themen anzusprechen.
Am besten fing ich wohl einfach mit dem Ersten an..
„Da ich jetzt ja über meinem Startgewicht bin, brauche ich da überhaupt noch den Rollstuhl? Ich meine, es ist ja wieder besser geworden.."
Ich schaute kurz zu ihm, doch wurde es mir sehr schnell viel zu unangenehm und ich schaute wieder weg.
„Schließlich hatte ich anfangs ja auch keinen.."
Er nickte.
„Wir müssten das im Team besprechen, doch spontan sehe ich nichts dagegen. Der Rollstuhl ist nur für extreme Situationen da und da du,"
Er sah mich scharf an und ich lachte nervös.
„Vor einigen Wochen deine kleinen Geheimnisse hattest, war der auch sehr notwendig."
Sein Blick wurde wieder lockerer.
„Doch jetzt ist es stetig besser geworden. Solange du nicht jeden Moment umkippen könntest, muss er nicht da sein."
Ich nickte.
„Okay.."
Meine Augen waren wieder auf dem Zettel fixiert.
Den zweiten Punkt hatten wir im Prinzip schon besprochen.. und die letzten beiden hängen ein wenig miteinander zusammen.
Zumindest mit Mary..
Ich verzog meine Lippen.
„Ja?"
„Ähm.."
Ich überlegte wie ich die Sätze formen sollte.
Ich würde einfach nur das mit dem Zimmer ansprechen..
Marys Entlassung steht nächste Woche an und ich frage mich ob ein Mann oder eine Frau in mein Zimmer kommt..
Wahrscheinlich ein Mann aber.. das wäre auch nicht so schlimm doch.. ach ich weiß doch auch nicht..
„Ich schlafe ja immer noch im Gruppenraum, denken sie, dass würde sich irgendwann diesen Monat noch ändern.."
In meinen Gedanken verirrt stellte ich den Satz nicht mal als Frage.
Er seufzte und überlegte.
„Ich fühle mich schon sehr.. eingeschränkt."
Probierte ich nett auszudrücken.
„Kann sein, dass das ohne den Rollstuhl besser wird, aber sonst darf ich ja auch nicht raus oder in irgendeinem Raum für mich sein.."
Er nickte.
„Das verstehe ich."
Sagte er, machte ein langes ‚Hmm' und schaute hoch.
„Ich würde es noch nicht befürworten, dass du ins Zimmer gehen kannst oder dort schläfst. Aber wir könnten die Toiletten - und Duschgänge abschaffen."
„Ah.."
Es lächelte etwas mitleidig.
„Nicht die Antwort die du hören wolltest?"
Ich lächelte etwas erzwungen.
„Ach es geht."
Er umschlug seine Beine.
„Du musst mir jedoch versprechen, dass es nicht wieder schlimmer dadurch wird. Die letzten Wochen meine ich hast du dich kaum übergeben, ich möchte nicht, dass das dadurch wieder angetrieben oder angespornt wird."
Ich nickte.
Er streckte plötzlich seine Hand aus und ich sah überfordert zu ihm.
„Bei mir werden Sachen durch Handschläge versichert."
Ich sah ihn stammelnd an, meine Augen immer wieder auf seine Hand kommend.
Jetzt bezweckte er auch noch dieses unangenehme Gefühl nicht nur durch seine erzwungenen Stillen, sondern durch die Hand die er nicht wegnehmen wird, bevor ich etwas mache!
Schluckend und unsicher bewegte ich meinen Arm in seine Richtung um er nahm meine Hand, schüttelte sie.
Schnell nahm ich sie wieder weg und er lachte.
„Wie sollten mit Expositionstraing anfangen!"
Mit wachsendem Horror sah ich ihn an.
„Auf keinen Fall."
„Auf jeden Fall!"
Ich seufzte laut.
„Das krieg ich nicht hin."
„Wir fangen auch langsam an."
Ich sah zu ihm und er grinste breiter denn je, ich schüttelte den Kopf.
„Es ist doch Donnerstag, heute werden die Wochenzielen besprochen! Expositionstraining kommt mit drauf."
Sagte er entschlossen und ich seufzte nur noch stärker.
Expositionstraing.. die Bekämpfung einer Angst, in meinem Fall, den Körperkontakt.
„Wie wär's mit, ‚ich schüttle 2x am Tag jemandem die Hand.'."
Geschockt schreckte ich hoch.
„Zwei Mal?!"
„Lieber mehr?"
Ich schüttelte hastig den Kopf.
„Das ist viel zu viel!"„Zwei Mal, kannst du dir das vorstellen? Das ist unfassbar, oder?!"
Ich hörte ihn lauthals lachen.
„Das ist alles andere als witzig!"
Er brauchte einige Momente um sich einzukriegen.
„Ich verstehe, dass das schwer für dich ist aber, dein Aufregen darüber ist einfach Urkomisch!"
Ich musste schon den Hörer vom Ohr nehmen vom ganzen Lachen auf der anderen Seite.
„Du sollst mich doch unterstützen! Das ist so eine Frechheit.."
„Aber ich unterstütze dich doch! Irgendwann geht es dann los mit Umarmungen-"
„Hör auf!"
Er lachte wieder.
„Grell, ich unterstütze dich in deinem Wachsen und Voranschreiten,"
Sagte er dann in einem etwas ernsterem Ton, doch war er immer noch etwas außer Atem und hoch amüsiert.
„Doch liebe ich auch deine Reaktion!"
Ich grummelte was ihn nur mehr anspornte.
„Mit dir geht es ja mittlerweile! Da gerate ich nicht in tausend Panikzustände wenn ich dich anfasse.."
Schmollte ich.
„Und das schätze ich wirklich sehr, ich bin mehr als geschmeichelt und gerührt darüber. Aber ich werde dich umso mehr anfeuern, dass du auch den Kontakt von anderen genießen kannst."
Ich seufzte.
„Montag fängt es schon an.. Herr Rica meinte er möchte schon am Wochenende damit anfangen."
Erzählte ich ihm verzweifelt.
„Wo du gerade vom Wochenende redest, William kommt Sonntag mit."
Überrascht weitete ich die Augen.
„Wirklich?!"
Er summte bestätigend und ganz von alleine spielte sich ein Grinsen auf meine Lippen, welches jedoch schnell verschwand.
„Lenk bloß nicht vom Thema ab!"
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A Way To Escape
FanfictionTrigger Warning : Essstörung. Anorexie und Grell - zwei sich Suchende finden sich. Der Rotschopf wusste keinen Ausweg mehr, er hat keine andere Strategie, keinen anderen Bewältigungsmechanismus je gelernt, als Kontrolle. Es fällt ihm alles durch...