P.o.V. GrellSchon beim Betreten des Raumes fiel es einem auf, überall blaue Wolle und Wollfäden auf dem sonst eher sauberen runden kleinen Tisch von Herrn Revens.
Seine Bücherregale wirkten immer eher chaotisch ordentlich, aber der Tisch war abseits des roten Minitresors, einigen Stiften und einer Taschentuchpackung seit neustem immer frei.
„Was machen Sie denn da für ein Kunstprojekt?"
Er lachte.
„Das habe ich extra vorbereitet."
Erzählte er und lehnte sich zurück.
„Doch bevor wir dazu kommen, wie geht es dir?"
Es war Mittwoch, gestern das Einzel ist ausgefallen.
Es war eher so, dass es verspätetwar, und dann hat es nicht mehr stattgefunden.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht, so wie immer."
„Wir war denn das Wochenende?"
Ich seufzte.
„Wir hatten wieder nur eine Stunde, das war.. ein wenig betrübend. Sonst so wie immer."
Ich merkte wie sich mein Blick senkte.
„Ist dein Schlaf besser geworden?"
Ich summte nur.
„Also nicht wirklich.."
Ich seufzte.
„Ich kann weder durch- noch gut einschlafen, es ist ein wenig nervig."
„Wir können auch über ein Medikament sprechen, wenn du möchtest, die anderen Strategien haben bisher ja nicht wirklich viel bewirkt. Auch wenn ich damit lieber noch eine weitere Woche abwarten würde."
Ich zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht könnten wir probieren, dass du deine erste Co-Therapie bekommst."
Da wurde ich hellhörig.
„Die Tanztherapeutin kann dir bestimmt auch noch Vieles zeigen, was dir in Richtung Schlaf und Beruhigung hilft."
Ich legte meinen Kopf schräg.
„Tanzen?"
Er lachte etwas und zog die Augenbrauen hoch.
„Man tanzt weniger, es ist eher Yoga und Achtsamkeit."
Ich nickte.
„Ja wieso nicht.."
Damit der Alltag mal ein wenig anders aussieht..
„Dann frage ich Sie, Frau Jesko, heute mal, damit sie so schnell wie möglich einen Termin mit dir ausmachen kann."
Ich nickte wieder.
Ein wenig mit Angst geprägt, war aber auch irgendwo froh. Irgendwo aber auch gleichgültig.
Ich schaute immer wieder zu den obskuren Fäden.
„Hast du noch ein Anliegen, dass du noch ansprechen wolltest?"
Ich verneinte, dann würden wir jetzt also zu seinem Projekt kommen.
„Also,"
Erklärte er und schob mir eine Schere rüber.
„Wenn du damit einverstanden bist probieren wir das aus. Du schneidest jetzt so viel Wolle ab, wieviel du denkst, über bestimmte Körperteile von dir passen. Sagen wir die Taille, dann schneidest du die Länge des Fadens ab, bei der du denkst, so groß ist meine Taille. Das gleiche dann auch mit Oberschenkeln, Hüfte, Oberarmen und so weiter."
Ich atmete etwas ein und musste schlucken.
„Was denkst du?"
Noch starr auf den Tisch gerichtet riss ich mich dann aus den Gedanken.
„Man kann's ja probieren.."
Er lächelte.
„Und wenn du sagst es geht nicht mehr dann geht's nicht mehr."
Ich nickte hastig.
„Jaja."
Wir fingen mit den Oberarmen an, nicht direkt mit meinen Problemzonen..
Ich schnitt die Schnur durch und legte sie hin, auf Blätter welche Herr Revens mit allen Körperteile beschriftet hatte.
Der Prozess dauerte ein wenig.
„Ich komme mir lächerlich vor."
Sagte ich leicht lachend, stark unter Scham, als er mich fragte wie es mir geht.
„Jahrhunderte alt, schneidet bisschen Schnur um zu gucken in wiefern diese um den Körper passen."
Sagte ich und schnitt die Partie für den Brustkorb ab.
„Findest du es schwer, den Gedanken ‚ich bin doch schon so und so viele Jahre alt, und trotzdem geht es mir schlecht'?"
Ich zögerte.
„Es geht. Ich glaube es ist egal wie alt ich wäre, ich würde mich sowieso dafür fertig machen."
Er nickte.
„Aber dann weißt du auch, dass es jeden treffen kann, Psychische Krankheiten schrecken nicht vor Alter, Geschlecht, Beruf oder Persönlichkeit zurück."
Ich seufzte.
„Ja kann schon sein."
Murmelte ich leise und legte das letzte Stück Faden auf das dazugehörige Papier.
Er nickte grinsend.
„Gut, dann leg die einzelnen Wollfäden um die Körperteile, und überprüfe mal, wie sehr sie zutreffen."
Es war eine Körperwahrnehmungsübung, toll oder?
Ich fing mit meinen Armen an, hatte mich um einige Zentimeter verschätzt, vielleicht 5.
Taille, Brustkorb.. da wurde es alles immer mehr.
Vor allem mein Bauch und meine Oberschenkel.
„Oh.."
Macht ich, als ich den Faden um mein Bein legte und sah, wieviel ich dazu gegeben hatte.
„So wie die hier jetzt liegen, so sehen dich alle anderen."
Die einzelnen Körperteile lagen jetzt in ihrer ‚richtigen Größe' auf dem Tisch.
Er nahm sich eine Schnur.
„So sehen wir dich,"
Er macht den Kreis in die Größe, in welcher ich es geschätzt habe.
„Und so du."
Ich schluckte.
Es war schon sehr.. eindrucksvoll.
Ich wusste ja, dass ich mich vielleicht ein wenig anders sehe als alle anderen, aber so sehr war schon ein wenig überraschend.
„Deshalb habe ich auch die Spiegelübung für dich angesetzt, ich glaube, dass das sehr hilfreich für dich sein kann."
Er legte den Faden wieder auf den Tisch.
„Wie fühlst du dich jetzt?"
Ich überlegte, starrte auf den Tisch.
„Ich weiß nicht. Ich sehe das zwar, aber.. es macht mir keine Angst."
„Es soll Dir auch keine Angst machen."
„Schon klar.. bloß.. ich finde, ich sehe gar nicht so krank aus. Ich sehe eigentlich ganz normal aus."
„Ich denke diese Übung zeigt, dass das nicht der Fall ist. Soll ich die Fäden mal um meinen Körper machen, für einen direkten Vergleich?"
Es war eine rhetorische Frage, er legte sie an.
„Schau mal,"
Sagte er,
„Du hast es größer als meine Proportionen eingeschätzt. Grell, ich finde das sehr eindeutig."
Ich schluckte und schaute nach unten.Reflexion mit Herrn Rica.
Ich saß in meinem blauen Rollstuhl, auf welchem Mary und Klara heute einige Sticker und motivierende Sprüche geklebt und geschrieben haben.
Immer wenn ich jetzt auf den Boden starrte sah ich sie.
„Wie war das Einzel?"
Ich seufzte.
„Eigentlich ganz gut.. es war anstrengend aber gut."
Ich hatte so Hunger...
Gott ich hatte so Heißhunger..!
Jetzt wo ich wieder langsam anfing zu essen, kurbelte das mein Verlangen an, meinen Appetit.
Dabei aß ich nur zwei Stücke Obst und Gemüse am Tag.. heute das erste mal dazu einen Joghurt..
Frau Zent wollte mich zu einem Esslöffel Müsli überreden, aber nichts da.
Ich fühlte mich komisch.
Voll und komisch.. und hungrig.
„Was ist los?"
Ich legte den Kopf schräg.
„Was meinen Sie?"
„Du siehst sehr angespannt aus."
Ich starrte auf den Boden.
„Hmm."
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A Way To Escape
FanfictionTrigger Warning : Essstörung. Anorexie und Grell - zwei sich Suchende finden sich. Der Rotschopf wusste keinen Ausweg mehr, er hat keine andere Strategie, keinen anderen Bewältigungsmechanismus je gelernt, als Kontrolle. Es fällt ihm alles durch...