P.o.V. GrellUnd ich erzählte es.
Erzählte.. alles.
Nicht an dem Tag, als wir die Stimme Raymond tauften, doch 3 Wochen später.
3 Wochen.
3 Wochen, in denen ich Adrian nur jeweils eine halbe Stunde sehen konnte.
3 Wochen, in denen ich nichts tun konnte.
3 Wochen voller Hunger, und Sport.
Gespräche, und mehr Gespräche.
Heute würde ich es erzählen.
Es kam raus, dass ich die Nähte entfernte.
Kam raus, dass ich weitere Klingen hatte.
Es kam raus, dass ich innerhalb dieser 3 Wochen weitere 6 Kilo verlor.
Es kam raus, dass Adrian sich große Sorgen machte.
Und deshalb würde ich es erzählen.
Nicht weil ich wollte, doch weil ich musste.
Ich kann nicht mehr, will nicht mehr.
Bestimmt verlor ich durch all die Tränen schon kiloweise Gewicht.
Wenn mein Blick in den Spiegel fällt, sehe ich nicht als.. Dreck und Schmutz.
Hüften die zu breit sind, Oberschenkel die besser aussehen könnten.
Wenn ich aufstehe, können meine Beine mich kaum mehr tragen.
Das merke ich vor allem heute.
Ich sitze in, wie ich es schon die ganze Zeit tat, der Küche.
Meine Wochenzielmappe vor mir, den Blick Ricas auf mir, Tränen auf meiner Wange.
Den Stift kaum in der Hand.
Meine Beine wippen ich unter dem Tisch hin und her, kann damit nicht aufhören.
Angestrengt und zielstrebig probiere ich meine Aufgaben zu machen, doch ich kriege es einfach nicht hin.
Ich kann mich nicht konzentrieren.
Immer wieder schaue ich auf die Überschrift um mich zu erinnern, was ich denn gerade tun sollte.
Und dann fließt alles wieder weg.
Heute war Wiegen.
Wer hat es endlich unter 25 Kilo geschafft?
Wer hat das unmenschliche geschafft, fernab was auch ein Gott je erreichen könnte?
Ich.. ich bin es.
Ich bin es, bei dem man jeden Knochen von außen zählen kann.
Ich, so hoch und unantastbar, leicht wie eine Feder.
„Grell.."
Ich, den keiner stoppen kann.
„Grell..?"
Ich, der niemals das erreichen wird, was er möchte.
Ich schaute zur Seite, sah jemanden.
Herr Revens.
Mit müden Augen schaute ich hoch, Ringe darunter und markant wie noch nie.
„Wollen wir?"
Lächelte er.
Wollen wir was?
Ich schaute zu meinen Sachen.
Ach ja, Einzel.
Die Papiere und Ordner legte ich alle aufeinander, drückte mich dann von der Stuhllehne und Tischkante hoch.
Angestrengt bewegte ich mich, Herr Revens alarmierend nah und einsatzbereit, so schien es.
„Warte, bleibe sitzen,"
Sagte er und ging mit seiner Hand auf meine Schulter, leicht runterdrückend.
Erschöpft setzte ich mich, schaute langsam hoch und meinem Therapeuten hinterher, welcher gerade rauslief.
Er kam mit einem Rollstuhl wieder.
„Da.. setze ich mich nicht rein."
„Soll ich dich tragen?"
Immer noch mit einer etwas schnelleren Atmung griff ich mit einer Hand dann den Stuhl und hüpfte quasi rüber.
Ich lehnte mich hinten an, und er schob das Konstrukt.
Sahen die anderen mich an?
Daran dachte ich gar nicht.
All meine Glieder lagen schlaff da, ich konnte nicht mehr.
In seinem Raum half er mir auf den anderen roten Stuhl zu kommen.
Er selbst setzte sich ebenfalls, nachdem er den Rollstuhl wegschob.
„Wie geht es dir?"
Er war ruhiger als sonst, oder?
Oder ernster?
Meine Beine waren nicht umschlagen, lange Kleidung in fünf Schichten überdeckten alles.
„So wie immer."
Antwortete ich dann, irgendwann.
„Und das wäre?"
Ich starrte ins nichts.
Sah da einfach hin.
„Wissen.."
Machte eine Pause.
„..Sie was?"
Meine Gehirn funktioniert nicht.
Meine Blick veränderte sich nicht, meine Haltung sehr auf eine Seite geneigt.
„Die Sonde, die.. ..die hat so ein Drehteil."
Ich dachte nach.
„So ein Teil, dieses Anschlussteil.. Wissen sie was ich meine?"
Mit Daumen und Zeigefinger ahmte ich die Bewegung nach, schaute zu ihm und er nickte, breitbeinig.. leicht nach vorne gebeugt, Hände gefaltet und.. zuhörend. Gespannt zuhörend, so sag ich das doch.. immer.
„Ich weiß welches du meinst."
„..genau."
Ich schaute wieder ins nichts.
„Man kann das öffnen, wussten Sie das? Und dann kann man all das.. das Essen wieder rauskriegen. Einfach so."
Ich schaute wieder zu ihm.
„Wussten sie, dass das Zeug total ekelhaft schmeckt? Kein Wunder dass man das.. Patienten über Schläuche gibt.."
...
„..damit man das nicht schmecken muss."
Ich war so schwach.
„Ich dachte immer, man hätte,"
Ich überlegte.
„..hätte immer.. genug Kraft, um Sport zu machen. Zu laufen, oder so.. zu stehen."
Mein Blick blieb starr.
„Hat man aber.. gar nicht."
Ich blickte überall hin und doch nirgendwo, wusste nicht wo ich wirklich war.
„..mir tut alles weh."
Mein Kopf fiel wieder.
„Ich kann keinen klaren Gedanken fassen, vergesse..,"
„..diese ganzen Sachen."
Stützend legte ich den Handrücken auf meine Stirn.
„Wollen Sie mich fixieren und.. Zwangsernähren? Aber dieses Mal so richtig.."
Ich spürte wie meine Sicht verschwommener wurde.
„so richtig.. auf der Matte, ohne Bewegung. Ohne dieses Drehteil, und die Pflanzen.. mit jetzt wahrscheinlich mehr Dünger."
Es tropfte.
Meine andere Hand wurde getroffen.
Still und unbemerkt floss sie.. den Handrücken entlang.
„Machen sie das jetzt.. sind sie sauer..? Die.. das Thema.."
Ich kniff meine Augen zusammen.
„..Geschlossene ist doch bestimmt schon gefallen.."
Ich seufzte.
„Sagen Sie doch auch was.."
Hauchte ich.
Er legte eine Taschentuchpackung auf den Tisch und ich unterdrückte mein Weinen.
„Wir bringen dich nicht in die Geschlossene, auch wenn du recht hast, es war Thema."
Er redete so schnell.. dabei sprach er viel langsamer als sonst.
„Ich war und bin dagegen, gerade da du so tapfer bist, und all das hier jetzt gesagt hast."
Er war näher gerückt als vorher, glaube ich.
„Ich bin auch nicht sauer.. vielleicht ein kleines bisschen, mit all den Tricks. Ich mache mir nur sorgen, denn, ich möchte dich nicht verlieren."
Die Tränen wurden mehr.
„Das ist doch nur daher gesagt.."
„Ist es nicht, Grell. Du bist mir wirklich sehr and Herz gewachsen, innerhalb dieses einen Monates."
Ich probierte mich ein wenig zentraler hinzusetzen.
Ein Monat schon?
Ein Monat.. 4 Wochen mit unglaublich vielen Gesprächen..
„Und jetzt, was ist jetzt.."
Ich schaute zu ihm, erschöpft, Haare im Weg, mit dem Kopf zur Seite. Nicht extra, sondern da ich nicht mehr konnte.
„Läuft jetzt alles so wie immer.."
„Wenn es so wie immer laufen würde, hättest du nicht all das gesagt, oder?"
Er umgriff seine Hände, schaute etwas auf den Boden.
„Du musst mir aber noch sagen, was du noch alles gemacht hast, all die Tricks. Alles was du erzählen willst, was raus muss."
Alles.. hm?
Dann erzähle ich wohl alles..
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A Way To Escape
FanfictionTrigger Warning : Essstörung. Anorexie und Grell - zwei sich Suchende finden sich. Der Rotschopf wusste keinen Ausweg mehr, er hat keine andere Strategie, keinen anderen Bewältigungsmechanismus je gelernt, als Kontrolle. Es fällt ihm alles durch...