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Mit zerrüttelten Gefühlen stehe ich am Steg und sehe zu wie das Schiff, welches ich die letzten Jahre als mein Zuhause bezeichnen durfte, davonsegelt. Joe, Smith, selbst die Knaben, die immer mit vollster Energie über das Deck gefegt sind, sie fehlen mir jetzt schon. Ich weiß jetzt schon nicht, wie ich es ohne den ganzen Trubel und die Männer um mich herum aushalten soll.

Der einzige Trost ist, dass Valeria in dem Moment neben mir steht und ebenfalls sehnsüchtig dem spektakulären Schiff hinterher sieht. Ihr Gesicht spiegelt genau das wieder, was sich in meinem Inneren abspielt - wir beide wollen nichts mehr als wieder auf dieses zurück. In unser altes neues Leben auf dem Meer.

„Was machen wir, solange wir in Valencia sind?"

Sie sieht mit einem unsicheren Ausdruck zu mir und ich brauche einen Moment, da ich zuerst nicht die richtigen Worte finden kann. Denn genau dieselbe Frage habe ich mir selbst bereits gestellt.
„Warten. Wir werden warten, bis sie zurückkommen. Und solange können wir ja schauen, was sich so in der Zeit geändert hat, in der wir fort gewesen sind."

Wenn auch skeptisch nickt sie mit ihrem Kopf, wodurch ihr offenes leicht mitwippt. Ich ziehe sie kurzerhand in meine Arme und stütze mein Kinn auf ihren Kopf. „Wir schaffen das schon. Wir lassen uns davon nicht runterziehen, ja?"

Als ich mich von ihr löse und in ihre mir so ähnlichen Augen blicke erkenne ich den Kämpfergeist, der sich in uns beiden mit der Zeit, die wir auf dem Schiff verbracht haben, entwickelt hat. Es bringt mich zum Lächeln und auch ihre Mundwinkel fangen an sich leicht zu heben.

Wir greifen nach unserem Gepäck und wenden uns um, auf den Weg zu unserem alten Zuhause. Zumindest hoffe ich, dass noch etwas davon übrig geblieben ist. Denn das erste, was mir aufgefallen ist, als das Schiff geankert ist, waren die vielen zerstörten Bereiche der Stadt. Und Stille. Eine beinahe beängstigende Stille, wie ich sie hier in all meinen Lebensjahren nicht erlebt habe.

Wir laufen einige Schritte vom Steg auf das Festland zu, bevor ich mich ein weiteres Mal Richtung Wasser wende und weit am Horizont das Schiff noch erblicken kann. Ich stelle mir vor wie mein Captain an der Reling steht, in unsere Richtung blickt und an mich denkt so wie ich an ihn. Ich weiß, dass es genau das sein wird, was mir den meisten Kummer bereiten wird. Ihn nicht mehr an meiner Seite zu wissen. Nacht für Nacht allein einzuschlafen und allein wieder aufzuwachen.

Jason ist wie eine Droge für mich geworden. Und ohne ihn zurecht zu kommen stellt mich auf einen eiskalten Entzug, der mir sicher durch Mark und Bein gehen wird.

„Sophia, kommst du?"

Nickend drehe ich mich endgültig um und überbrücke den Abstand zwischen uns, bis ich direkt neben ihr stehe und wir zusammen in Richtung der Gassen laufen. Je weiter wir in das Innere Valencias kommen umso mehr nehmen wir die fatalen Folgen der Engländer wahr. Die damals befüllten Straßen sind nahezu menschenleer, und sobald wir auf die ersten treffen, die mit gebundenen Tüchern um ihren Mund umher laufen, weiten sich geschockt meine Augen. Was ist alles geschehen?

„Verdeckt eure Nasen und Münder, Mädchen! Oder wollt ihr krank werden?", ruft uns ein Paar hinterher, welches uns misstrauisch mustert. Ich überlege nicht zwei Mal, sondern stelle meine Tasche hin und suche nach zwei Tüchern, wovon ich eines meiner Schwester entgegen halte. Diese sieht mich verunsichert an, tut es mir aber gleich und bindet sich das Tuch so gut wie nur möglich um Nase und Mund.

Prüfend sehe ich sie an, nicke dann zufrieden und greife nach meiner Tasche, als ich merke, dass der Mann und die Frau noch immer stehen und uns ansehen. Ich gehe einige Schritte auf sie zu, halte aber Abstand, als ich die erschrockenen Ausdrücke in ihren Augen erkenne.
„Was ist hier passiert?", frage ich, spreche etwas lauter, da meine Stimme durch das Tuch überdeckt wird. Sie sehen sich kurz an, ehe sie dann doch etwas näher kommen und uns genauer mustern.

Bloody SeductionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt