•10•

1.4K 96 15
                                    

Valencia 1719

Juli 1719. Das Wetter ist für den Sommer sehr angenehm und man hat nicht das Gefühl sich alle paar Stunden waschen zu müssen durch die strahlende Hitze.

Heute habe ich mir mal wieder vorgenommen Roxy's Mutter zu besuchen. Seitdem Roxy verlobt wurde sind bereits drei Jahre vergangen. Gehört habe ich von ihr nichts, was einen Teil von mir mehr als verletzt. Der andere Teil jedoch hat schon lange mit ihr abgeschlossen.

Als wir uns damals verabschiedet haben wussten wir genau, dass wir uns entweder wiedersehen oder sich unsere Wege für immer trennen werden.
Wie man sieht ist Zweiteres eingetreten.

Auch ihre Mutter weiß nichts über sie und das, obwohl sie ihre einzig lebende Verwandte ist.
Wie ich es ihr damals versprochen habe kümmere ich mich ab und an um ihre Mutter, doch in den letzten Monaten ging es ihr immer schlechter.

Erst dachte ich, dass Roxy wenigstens jetzt hierher kommen würde, doch habe ich mich anscheinend getäuscht. Ob sie freiwillig nicht kommt oder daran gehindert wird weiß ich nicht, doch die alte Roxy, meine beste Freundin, hätte alles stehen und liegen lassen nur um bei ihrer kranken Mutter zu sein.

Leise öffne ich die Haustür und laufe direkt in das Schlafzimmer ihrer Mutter. Auch wenn Roxy's neue Familie zugesichert hat sich um ihre Mutter zu kümmern scheint es nicht viel gebracht zu haben. Und ich befürchte, dass nichts mehr helfen kann.
Als ich sie auf dem Bett liegen sehe versuche ich ein kleines Lächeln auf meine Lippen zu bekommen.
„Hallo Amantis.", flüstere ich der kranken Dame zu, die liebevoll zu mir sieht.

„Ach Sophia Schätzchen, du bist es. Setz dich doch zu mir ans Bett."
Ich tue wie gesagt und lege eine Hand auf ihre Stirn, die mehr als glüht.
„Dir geht es noch immer nicht besser."
Ihr Zustand wird von Tag zu Tag schlimmer und das bereitet mir Sorgen, dass sie es wahrscheinlich bis zum Ende des Sommers nicht überleben wird.
„Auch ich werde nunmal nicht jünger.", versucht sie zu scherzen, doch hustet sofort auf.

Leicht panisch will ich schon aufstehen, als sie mich tadelnd ansieht.
„Ich brauche nichts Sophia, also setz dich. Ich habe dir was zu erzählen."
Neugierig lasse ich mich wieder auf dem Bett nieder und sehe Amantis fragend an.
„Ich habe etwas von Roxy gehört.", fängt sie nun an zu sprechen, wobei sich ein großes Lächeln auf ihre Lippen legt.

„Wirklich?", hake ich vorsichtshalber nach, denn so wirklich will ich es nicht glauben.
„Allerdings." Sie legt eine ihrer Hände auf meine und grinst.
„Meine kleine Roxy ist Mutter und trägt bereits ihr zweites Kind in sich. Ist das nicht wunderbar?"
Geschockt sehe ich die Mutter meiner damaligen besten Freundin an.
Ich hätte nie damit gerechnet, dass sie so früh schon Kinder bekommen würde.
Ich hoffe nur, dass sie sie auch freiwillig bekommen hat und nicht von Carlos dazu genötigt wurde.

„Ich höre deine Gedanken bis hierhin mein Kind.", unterbricht sie meine Gedanken und greift nach einem Brief, der neben dem Bett auf einer Kommode liegt.
Als sie ihn in der Hand hält streckt sie ihn mir entgegen.
„Lies ihn. Er ist an dich und an mich gerichtet. Und du wirst sehen, dass sie glücklich ist. Das ist alles, was ich mir für mein Mädchen gewünscht habe und nun habe ich die Gewissheit."

Schluckend haftet mein Blick auf dem Pergament, was nun in meinen Händen liegt.
Jahrelang habe ich nichts von ihr gehört und wenn es ihrer Mutter sehr schlecht geht meldet sie sich auf einmal?

Ich falte es auf und erkenne sofort die Schrift von ihr. Hier bei uns in Valencia mussten Jungen und Mädchen das Lesen und Schreiben erlernen, ein Vorteil im Gegensatz zu anderen Städten, die in der näheren Umgebung liegen.


Liebe Mutter,
du erhälst von mir diesen Brief, da ich leider nicht die Möglichkeit dazu habe zu dir zu reisen, trotz deines Zustandes. Meiner Umstände bedingt will Carlos es nicht riskieren, dass ich mich anstecken könnte, daher bleibt mir kein anderer Weg als so mit dir zu kommunizieren.
Ich muss mich nicht nur dafür entschuldigen, sondern auch für die letzten Jahre, in denen du so gut wie nichts von mir gehört hast.
Doch auch das hat seinen Grund.

Nachdem Carlos und ich geheiratet haben hat es nicht lange gedauert bis ich sein Kind unter dem Herzen getragen habe; deine Enkelin Sophia Manuela Smaraldo.
Da sie zu früh geboren wurde hatten wir einige Zeit sehr Angst um sie, daher hat sich die meiste Zeit nur um sie gedreht. Aber mein kleiner Engel ist eine kleine Kämpferin. Wie die Personen, von denen sie ihre Namen hat.

Nun erwarte ich das zweite Kind in der Hoffnung ihm einen Jungen zu schenken.
Ich würde mir nichts sehnlicher wünschen als dich in deinem Zustand zu uns zu holen, doch die Gefahr ist zu groß, dass ich mich anstecken und so dem Ungeborenen etwas passieren könnte.

Und diese Tatsache zerreißt mir das Herz, weil ich in diesem Zustand nichts sehnlicher will als neben deinem Bett zu sitzen und deine Hand zu halten.

Aber da ich weiß, dass dies nicht passieren kann, erhälst du dies und ich hoffe du verstehst meine Beweggründe, in diesem Moment nicht bei dir sein zu können.

Und ich hoffe, dass ich dir mit dem Brief die Sorgen etwas nehmen kann, die du durch mein jahrelanges Schweigen erleiden musstest.
Ich bin glücklich. Ich habe ein kleines Mädchen, dass jeden meiner Tage erhellt und einen Mann, der mich über alles liebt und den ich genauso sehr liebe, auch wenn ich dies anfangs nicht zu glauben gewagt habe.

Ich hoffe du wirst bald wieder gesund damit ich dich wiedersehen und du deine Enkelin oder sogar deine Enkel kennenlernen kannst.
Und tue mir bitte einen Gefallen: gebe diesen Brief ebenfalls meiner besseren Hälfte, damit sie sich ebenfalls keine Sorgen um mich macht.
Denn ich kenne meine beste Freundin und ich vermisse sie jeden Tag neben meiner Seite.

Das geht an dich beste Freundin:
Mach dir keine Sorgen um mich, denn es geht mir gut. Ich liebe meinen Mann und meine Kinder. Und auch wenn wir uns wahrscheinlich nicht mehr sehen werden, so werde ich jeden Tag ein kleines Mädchen vor Augen haben, die den Namen eines der wichtigsten Menschen in meinem Leben trägt und meinen Tag genauso heller strahlen lässt wie sie es immer getan hat - nämlich du. Du und dein Vater werden mein Leben immer prägen und ich hoffe, dass meine Tochter ihrem Namen gerecht werden wird. Denn ihr Name steht für eine Frau mit einem großem Kämpferherz.

Ich liebe dich. Ich liebe euch beide.
Eure Roxy



Mein verweintes Gesicht hebt sich von dem Brief und sieht in das Gesicht ihrer Mutter, die mit einem Lächeln auf ihrem Lippen und geschlossenen Augen auf dem Bett liegt.
Und trotz meiner Tränen, die nun aus zwei Gründen über meine Wangen laufen, ziert sich ein kleines Lächeln auf meinen Lippen.
Sie hat ihren Frieden gefunden.

Sie hat ihren Frieden gefunden

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
Bloody SeductionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt